Bild aus der Meme-Werkstatt von "Reconquista Internet"
"Reconquista Internet"

"Reconquista Internet": Bürgerrechtsbewegung gegen den digitalen Hass?

Im Zuge der Doku „Lösch dich!“ über organisierte Hetze im Internet hat Jan Böhmermann dazu aufgerufen, das Internet zurückzuerobern. Innerhalb kurzer Zeit traten tausende User_innen der Love-Armee bei. Haben wir es hier mit einer digitalen „Bürgerrechtsbewegung“ zu tun?

 

Von Kira Ayyadi

 

Ende April veröffentlichte das öffentlich-rechtliche Medienangebot „funk“ die Doku „Lösch dich! So organisiert ist der Hass im Netz“ (am Ende des Textes). Das Team von YouTuber Rayk Anderson und dem Journalisten Patrick Stegemann traf sich persönlich mit Trollen und Hatern und versuchte selbst Zugang zu organisieren Troll-Netzwerken zu bekommen. Im Fokus der Doku steht das rechtsextreme Troll-Netzwerk „Reconquista Germanica“ (RG).

 

Was ist „Reconquista Germanica“?

Laut Selbstbezeichnung sei RG ein „satirisches Internet-Projekt ohne Bezug zur realen Welt“, in dem sich Gamer_innen und LARPer (Live Action Rollenspieler) vereinen. Tatsächlich haben sich aber auf dem Discord-Kanal der „Reconquista Germanica“ Trolle, Ideologen und Aktivist_innen der rechten Sphäre organisiert, um Debatten in den sozialen Netzwerken zu beeinflussen und zu manipulieren.

Neben AfD-Fans, Mitgliedern und Sympathisant_innen der „Identitären Bewegung“, Rechtspopulist_innen und selbsternannten „Patriot_innen“, tummelten sich hier auch klassische Neonazis, die RG durch eine codierte, militärisch gefärbte Sprache und abwertenden Humor dazu nutzten, um neue „Kameraden“ zu werben. Sie eint ihr Hass auf sogenannte „Gutmenschen“, auch Social Justice Warriors (SJW) genannt und der Wunsch, diese durch Trollen zu „triggern“. „Reconquista Germanica“ wollte ein  virtuelles Wohnzimmer für die rechte Sphäre sein - allerdings ein nur konspirativ zu betretendes und militärisch strukturiertes Wohnzimmer. Und genau diesen abgeschirmten Bereich betrat auch das Team von Rayk Anderson, in dem es sich Fake-Accounts zulegte und das Spiel der RG mitspielte. So stiegen sie in der hierarchischen Struktur auf und zeigen, dass es Teile des digitalen Hasses gibt die organisiert sind und eine politische Agenda verfolgen.

 

 

Zeitgleich zur Veröffentlichung der „Lösch dich!“-Doku rief Satiriker Jan Böhmermann in seiner ZDF Neo-Sendung „Neo Magazin Royal“ nun zur „Reconquista Internet“ auf – also dazu, sich das Internet zurückzuerobern. „Wenn einer den Anspruch hat, einen Haufen lichtscheuer Dauer-Onanisten vor dem Bildschirm zu mobilisieren, dann bin das immer noch ich“, so der Moderator in seiner Sendung.

Jeder, der sich „an die strengen Regeln dieses geheimen Manifests“ (das Grundgesetz) hält, kann mitmachen. Dazu muss man sich nur das Chatprogramm „Discord“ herunterladen und dem Einladungslink folgen. „Wir begegnen Hass, Gewalt und Ignoranz mit Vernunft und Liebe. Auf #ReconquistaInternet entwickeln, organisieren und koordinieren wir online und offline“, heißt es im Regelwerk.

 

Böhmermann: „Wir haben aus Versehen eine Bürgerrechtsbewegung ins Leben gerufen“

Auf der diesjährigen re:publica sagte Böhmermann am Donnerstag, es sei an der Zeit, den Populist_innen und Rechtesextremen, die die öffentliche Debatte im Netz verschieben wollen, etwas entgegen zu setzen. Mittlerweile habe der eigene Discord-Server über 40.000 Mitglieder.  „Wir haben aus Versehen eine Bürgerrechtsbewegung ins Leben gerufen“, meinte er.

 

 

Auf „Reconquista Internet“ will Böhmermann und sein Team Informationen über rechte Aktivist_innen von RG veröffentlichen „zum Beispiel eine Liste mit den Pseudonymen, Facebook-Accounts und Twitter-Handels der echten „Reconquista Germanica“- Mitglieder, mit der ihr dann machen könnt was ihr wollt, blocken, melden, mit Liebe überschütten.“

 

Nun veröffentlichte das IB-Klatschmagazin „Arcadi“ eine Liste mit zahlreichen Twitter-Accounts. Offenbar hatte Böhmermann seine User_innen am Mittwoch dazu aufgerufen diese Accounts auf Twitter zu melden. Darunter Accounts von David Berger, Martin Sellner, André Poggenburg, Erika Steinbach, Beatrix von Storch, Björn Höcke, sowie zahlreicher weiterer AfD-Accounts. Viele rechte bis rechtsextreme Kritiker_innen werfen Böhmermann nun “Nazi-Methoden” vor.

Screenshot Twitter

 

Wir „Reconquista Germanica“ nun wieder aktiver?

Der Monitoring-Experte der Amadeu Antonio Stiftung, Miro Dittrich, warnt allerdings davor, RG zu viel Bedeutung zuzumessen, „schließlich sei politische Propaganda von Parteien, beispielsweise während der Bundestagswahl, deutlich effektiver und reichweitenstärker als die dieser angeblichen „Armee““. Auch zu RG-Höchstzeiten sei ihre Relevanz für den nationalen Diskurs eher gering gewesen. „Problematisch sind sie allerdings für Betroffene ihrer Angriffe.“ 

Zu seiner Hochzeit im vergangenen Jahr hatte der „Reconquista Germanica“-Server im Herbst über 6.000 Mitglieder. Regelmäßig wurde der „Reconquista Germanica“-Server seither gelöscht. Das führte zu Mitgliedereinbußen bei jedem neu eingerichteten Server. Aktuell sind nach Eigenangaben über 10.000 User_innen auf RG aktiv. Und offenbar hat das das rechte Troll-Netzwerk durch die Böhmermann-Aktion wieder mehr Zulauf bekommen. Denn seit „Reconquista Internet“, beobachtet Dittrich, wurden zahlreiche bereits seit längerem inaktive Twitter-Accounts aus dem RG-Umfeld wieder reaktiviert. Die Extremismus-Forscherin Julia Ebner vermutet, dass die einzelnen Kanäle lange Zeit so still waren lag daran, da eine große Aktion im Sommer geplant war.

Tagesbefehl auf dem aktuellen Reconquista-Server Quelle: Julia Ebner

 

 

Generell bleibt zu sagen, dass es durchaus begrüßenswert ist, dass durch die Doku nun vielleicht mehr Menschen auf das Problem dieser politisch motivierten Trolle aufmerksam geworden sind. Und auch Jan Böhmermanns Aktion einer „Love-Armee“ ist prinzipiell erstmal keine schlechte Idee. Es ist beeindruckend, dass er es geschafft hat, innerhalb kürzester Zeit so viele User_innen zu einen, die dem digitalen Hass etwas entgegensetzen wollen.

Tagesbefehl bei RG Quelle: Julia Ebner

 

Ist das schon eine unabhängige Bürgerrechtsbewegung?

Es bleibt abzuwarten, wie lange diese Motivation andauert. Zwar ist eine unabhängige und überparteiliche Bürgerrechtsbewegung wünschenswert, die der digitalen Hassrede etwas entgegnet und die Diskursregeln wieder in eine humanistischere Richtung lenkt, doch ob dies schon mit zwei, drei Klicks am PC erreicht ist, bleibt fraglich. Außerdem bleibt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Problem Rechtspopulismus und Rechtsextremismus unausweichlich, um ihnen in angemessener Weise etwas zu begegnen. Und gerade neonazistischer Ideologie mit Herzchen und Liebe begegnen zu wollen, halte ich – ganz persönlich – nicht für angemessen. Rechtsextreme Weltanschauungen können beinahe ausschließlich nur dann ins Wanken gebracht werden, wenn man Widersprüche am rechtsextremen Weltbild plausibel aufzeigt. Das Gegenüber muss zum eigenen Denken angeregt werden. Vielleicht gelingt es ja einigen der „Reconquista Internet“-Aktivist_innen - es bleibt zu hoffen. 

 

drucken