Am Samstag findet wieder die Neonazi-Veranstaltung "Rock für Deutschland" in Gera statt – und das bereits zum elften Mal. Das Konzert ist ein fester Termin in der rechtsextremen Szene, gegen den sich heftiger Widerstand regt. So errichteten 50 Demonstrierende ein Protestcamp auf der Wiese, die als Veranstaltungsort dient. Am Freitagmorgen räumte die Polizei den Platz. Belltower.news sprach im Vorfeld mit Bernd Stoppe, der mit dem Aktionsbündnis "Gera gegen Rechts" den Nazis am Samstag entgegentritt.
Netz-gegen-nazis.de: Am Samstag findet "Rock für Deutschland" wieder in Gera statt. Was sollte man dazu wissen?
Bernd Stoppe: Die Rechtsrock-Veranstaltung "Rock für Deutschland" findet zum elften Mal in Gera statt und ist eine ungebrochene Tradition der Neonazis. Sie wird von der hiesigen NPD und den sogenannten freien Kräften veranstaltet. Das Konzert wurde als politische Veranstaltung von Gordon Richter, einem NPD-Stadtrat, angemeldet und soll vor allem neue, junge Mitglieder anwerben. Außerdem dient das Konzert auch der Stärkung des Zusammenhalts der Szene. Die Einnahmen, die sie erzielen, helfen bei der Finanzierung der Strukturen - neben dem Geld, das sie von V-Leuten erhalten. Der Dokumentarfilm "Blut muss fließen", den wir 2012 mehrfach gezeigt haben, zeigt ziemlich gut, was in Gera am Samstag passiert: Die Lieder, die gespielt werden, sind Hasstiraden. Es wird zu Rassismus und Gewalt aufgerufen. Rechtrock ist, unserer Meinung nach, vertonter Hass. Zwar sind viele rechtsextreme Lieder inzwischen verboten, trotzdem ist es schockierend, dass es noch genügend Möglichkeiten gibt, rechte Bands auf YouTube anzuschauen oder auf Amazon Musik neonazistischer Bands zu kaufen.
Die in rechtsextremen Kreisen beliebte Band "Lunikoff-Verschwörung" mit dem populären Frontmann Michael Regener hat sich angekündigt. Ihr letzter Auftritt in Gera war 2009: Mit 4.000 rechtsextremen Besuchern wurde damals ein Höchstwert erreicht. Seitdem hat die Besucherzahl abgenommen auf etwa 1.000 Teilnehmer in den letzten Jahren, doch wir erwarten, dass sie in diesem Jahr wieder steigen wird. Michael Regener wird in der rechten Szene als Vorbild gefeiert. Wahrscheinlich werden deshalb viele Neonazis kommen – allein, um ihn zu sehen. Allerdings findet das Konzert dieses Jahr auf einem Platz statt, der etwa 1.500 bis 2.000 Personen fasst. Wir wissen also nicht, was passiert und wie die Polizei damit umgeht, wenn mehr Neonazis auftauchen sollten.
Wahrscheinlich reisen zu dem Konzert viele Neonazis aus ganz Deutschland an – aber wie sieht denn die rechte Szene vor Ort aus?
Gera hat eine verfestigte Naziszene, nicht nur während des Konzerts gibt es hier das Problem des Rechtsextremismus. Neonazis leben und arbeiten in Gera. Sie sind nicht nur einmal im Jahr hier, sondern die ganze Zeit präsent. Sie arbeiten beispielsweise in Security-Unternehmen mit. Neonazis und ihre Schmierereien sind übler Alltag in den Straßen. Das große Problem auch in Gera ist, dass der Rassismus der rechten Szene in der Mitte angekommen ist - zu viele Menschen tolerieren Nazis.
Und wie hat sich die Lage in Gera in den letzten Jahren entwickelt?
Die Lage in Gera hat sich verbessert, auch wenn man auf keinen Fall entwarnen kann. Die Auftrittsformen der Neonazis haben sich verändert: Innerhalb der rechten Szene kam es zu Umstrukturierungen. Dadurch verändert sich auch der Spielraum, wie man als Nazi-Gegner agiert und reagiert. Durch den erfolgreichen Kampf gegen Rechtsextremismus in großen Städten "fliehen" Nazis oft in kleinere Orte, erwerben dort Immobilien und bauen dort ein braunes Netzwerk auf. Das jüngste Beispiel ist Kahla, wo auch wir demonstriert und blockiert haben. In Gera verfügen die Nazis über keine Immobilien - noch passt die Stadt auf.
Positiv lässt sich auch feststellen, dass die Sensibilisierung in der Bevölkerung besser geworden ist, auch wenn wir noch nicht zufrieden sind. Außerdem fällt es uns immer leichter, Leute zu mobilisieren, häufig auch in kurzer Zeit.
Wie sehen die geplanten Gegenproteste aus?
Jedes Jahr ist anders. Im Gegensatz zu den erfolgreichen Aktionen in Dresden oder seinerzeit in Jena bringen in Gera Blockaden allein nicht viel: Die Aktionsformen der Neonazis sind hier anders. Die Nazis marschieren hier nicht durch die Stadt, sondern werden von der Polizei zu ihrem Platz durch abgegitterte Laufgänge geschleust. Nach dem Konzert löst sich die Meute dann schnell auf. Das Ordnungsamt zeigt sich bisher auch wenig kooperativ: Wir erhalten keine oder viel zu spät Informationen, wann neonazistische Veranstaltungen angemeldet werden oder wo diese stattfinden sollen. Unser Eindruck: Noch bei zu vielen Mitarbeitern in den entsprechenden Behörden besteht wenig Interesse, gegen die Nazis vorzugehen. Die Situation ist vergleichbar mit einem Fußballspiel. Die Ordnungsbeamten nehmen sich als Schiedsrichter wahr, die zwischen den Mannschaften vermitteln wollen. Dass man das nicht miteinander vergleichen kann, ist ihnen noch nicht bewusst. Wegen der über Jahre fehlenden wirkungsvollen Reaktionen von Polizei, Justiz und der Stadt haben Bürgerinnen und Bürger2010 unser Aktionsbündnis "Gera gegen Rechts" gegründet.
Wir werden schon am Vortag, also am 05.07., Mahnwachen veranstalten. Am Samstag selbst planen wir eine Kundgebung und eine Demonstration. Am Bahnhofsvorplatz wird es eine Bühne vom DGB geben. Es wird wie jedes Jahr auch diesmal einen Friedensgottesdienst geben. Die Teilnehmer werden im Anschluss ebenfalls zur Kundgebung kommen. Dadurch, dass wir in der Thüringer Vernetzung der Bündnisse sehr engagiert sind, haben sich Gruppen aus Jena und Weimar sowie anderen Städten angekündigt. Die Gewerkschaften und Parteien wie Linke mit Solid, SPD mit den Jusos und Grüne, leider nur vereinzelt auch die CDU, unterstützen uns. Trotzdem ist uns das noch zu wenig. Es wird Musik geben, viel Kreatives. Es wird Rednerinnen und Redner geben, allerdings nicht ganz so prominent wie letztes Jahr. Wir erwarten etwa 1.000 Menschen und wollen versuchen, den ganzen Tag präsent zu sein – im Vergleich zum Vorjahr. Da hatten wir zwar 2.000 Personen zusammen und bis 13 Uhr auch die Überhand, doch nach der Kundgebung hat sich das ziemlich schnell aufgelöst. Das wollen wir dieses Jahr verhindern.
Erwarten Sie auch eine Reaktion der Neonazis?
Es kommt immer wieder zu Attacken von Neonazis gegen Gegner der rechten Szene, allerdings selten während des Konzerts, da die Polizei präsent ist. Die rechte Szene ist in Gera wie erwähnt jedoch fest verankert, sie ist gewaltbereit. So kommt es unter dem Jahr häufig zu Attacken gegen Nazigegner - von verbalen Angriffen bis hin zu Morddrohungen im Internet. Der Jugendpfarrer Michael Kleim, der sich stark gegen den Rechtsextremismus engagiert, wird bevorzugt von der rechten Szene angegriffen.
Was ist Ihre ganz persönliche Hoffnung für den Tag?
In erster Linie wünsche ich mir die körperliche Unversehrtheit unserer Leute, egal wo sie sich aufhalten. Außerdem wollen wir ein politisches Zeichen setzen: Gera hat viele Freunde, wenn es darum geht, den Nazis Widerstand zu leisten. Feste feiern ohne Nazis – das wollen wir an diesem Tag deutlich machen.
Das Gespräch führte Sina Laubenstein.
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