Die russischsprachige Community in Deutschland besteht aus drei bis sechs Millionen Menschen, dazu gehören Spätaussiedler, jüdische Kontingentflüchtlinge und Arbeitsmigrant_innen. Gerade den Spätaussiedlern, den sogenannten Russlanddeutschen, wird eine besondere Nähe zur AfD nachgesagt. Zusammen mit dem Deutsch-Russischen Austausch e.V. (DRA) hat die Amadeu Antonio Stiftung einen Fachaustauch in Berlin organisiert. Journalist_innen und Vertreter_innen verschiedenster Organisationen kamen zusammen und diskutierten über Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in einer Community, über die man immer noch viel zu wenig weiß.
Von Stefan Lauer
Drei bis sechs Millionen Menschen leben in Deutschland in der "russischsprachigen Community". Allein dieser Satz macht schon stutzig, denn genauere Zahlen gibt es nicht. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages stellt immerhin fest, dass 4.517.052 Spätaussiedler in den Jahren zwischen 1950 und 2014 nach Deutschland gekommen sind. Etwa 220.000 jüdische Kontingentflüchtlinge kamen zwischen 1991 und 2004 nach Deutschland. Einige davon sind schließlich nach Israel ausgewandert.
Studien zur russischsprachigen Community gibt es nur sehr wenige. Das ist damit auch die dringlichste Forderung der Expert_innen. Um auf die Community eingehen zu können, muss die Gesellschaft erstmal wissen, wie sie überhaupt tickt. Eine – umstrittene – Studie der "Boris Nemtsov Foundation" liefert immerhin einige Einblicke. So ist beispielsweise die Sicht der Community auf das Herkunftsland Russland mindestens ambivalent. Einerseits vertrauen nur 19 Prozent der Befragten westlichen Medien, 30 Prozent den russischen, andererseits wird Russland von einer großen Mehrheit der Befragten nur noch so wahrgenommen. 70% geben nämlich an, das Land nur noch seltener als alle zwei Jahre zu besuchen. Nach Ansicht der Expert_innen können solche Zahlen bereits einen Einblick in die Psyche der Community geben: Eine Hypothese könnte lauten, dass viele Vetreter_innen der Community nur beschränkten Einblick in die russische Lebensrealität haben. Sie vertrauen darauf, aus russischen Medien – denen immer wieder extrem tendenziöse Berichterstattung vorgeworfen wird – informiert zu werden.
Im Fall "Lisa" zeigte sich, wie problematisch diese Situation werden kann. Eine 13-Jährige aus der Community der Russlanddeutschen in Berlin hatte im Januar 2016 behauptet, von Geflüchteten entführt und missbraucht worden zu sein. Obwohl sich schnell herausstellte, dass das Mädchen eigentlich nur Angst hatte, nach Hause zu gehen und die Geschichte erfunden hatte, was auch von der Polizei klargemacht wurde, entwickelte sich in der Russlanddeutsche Community, vor allem auch mit Hilfe russischer Medien, große Empörung. Die russischen Medien nutzten die Aufregung, um gegen die Flüchtlingspolitik und Europa zu schießen und die Stimmung weiter aufzuheizen. In der Folge kam es zu zahlreichen flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen im ganzen Bundesgebiet aus der russlanddeutschen Community, auch in Kooperation mit Neonazis und auch vor Flüchtlingsheimen.
Gleichzeitig sehen sich viele der Befragten eher als Europäer, immerhin 19 Prozent. Das ist ein Prozent mehr als die, die sich selbst als Russen wahrnehmen. 44 Prozent sehen sich als Deutsche. Für Expert_innen ist gerade das eine große Chance. Vor allem in Hinblick der Darstellung in den russischen Medien, wo Europa auch mal als "Gayropa" bezeichnet wird.
Die Spätaussiedler gelten in Deutschland generell als gut integriert, sie bleiben in der Mehrheitsgesellschaft aber oft unsichtbar und sind politisch wenig repräsentiert. Gerade in diesem Bereich hat es die AfD geschafft, Profit zu schlagen. In der Bundestagsfraktion der Partei sitzen gleich zwei Vertreter, anders als in den Fraktionen der anderen Parteien. Ohnehin geben die Rechtspopulisten sich größte Mühe, diese Zielgruppe anzusprechen. Es gibt eine Interessengemeinschaft Russlanddeutscher in der Partei, das Programm liegt auch auf russisch vor und ohnehin legen die Rechstpopulist_innen großen Wert auf die Nähe zu Russland. Das kommt bei einigen Russlanddeutschen gut an, vor allem auch mit Blick auf Politik und Vertreter_innen anderer Parteien, die die Community eher ignorieren.
Aber auch für die Rechtspopulist_innen tun sich schnell Missverständnisse auf. So schaffen es AfD-Vertreter zwar unter Umständen in Russland und auch Kreml-nah Gehör zu finden. Die eigentliche Strategie des Landes ist aber eine andere. Russische Vertreter_innen versuchen eigentlich mit wirklichen Entscheidungsträger_innen zu reden, was sich allerdings – auch mit Blick auf die aktuellen Sanktionen – schwieriger gestaltet. Genau das ist offenbar der Grund, dass sie mittlerweile die Nähe zur AfD suchen.
Eindeutig nachweisbare Kontakte zwischen Russland und europäischen und deutschen Rechstextremen gibt es laut der Expert_innenrunde wenige. Zwar gibt es Verbindungen, etwa über das neurechte Verschwörungsheft "Compact" oder über den angeblichen Einflüsterer Putins, Alexander Dugin. Dugin war kürzlich Gast der FPÖ in Österreich und traf auch bereits Alexander Gauland in St. Petersburg. Allerdings gilt auch hier: wirklich belegbare Zahlen und Fakten gibt es keine. Ohne Zahlen ist aber auch die Gefahr der Dämonisierung Russlands groß, so werden Akteuren wie Dugin, die zwar eindeutig völkische und rechtsextreme Thesen vertreten, oft zu große Aufmerksamkeit zu Teil.
Die Expert_innen weisen auch deshalb immer wieder darauf hin: Es fehlen verlässliche Zahlen. Und das in allen Bereichen. Es wäre falsch eine so große Gruppe wie die russischsprachige Community in Deutschland einfach weiterhin zu ignorieren.
So endete der Fachaustausch auch mit dem festen Vorhaben, sich weiter zu vernetzen und gemeinsame Ressourcen sinnvoll zu nutzen.
Foto oben: Flickr / Dmitry Dzhus / CC BY 2.0