Warum verbreiten Menschen diese Meldungen, wenn es doch nachweislich keine Organmafia und keinen Kinderhandel in Deutschland gibt? Dann bleibt nur ein Grund: Rassismus.
Screenshot Facebook

Rassistische Hoaxes

Viele Menschen glauben dem geschriebenen Wort – auch, wenn es im Internet steht. Dabei gibt es in Blogs und sozialen Netzwerken viele Geschichten, die gar nicht wahr sind, aber als wahr verkauft werden – so genannte Hoaxes oder Urban Legends. Diese moderne Form der Kettenbriefe gibt es auch in rassistischen Versionen – und die verbreiten sich oft noch besser. Eine Übersicht.

Von Simone Rafael

Die Facebook-Statusmeldung warnt: „Die Zeitbombe tickt!“ Über Asylbewerber würden Hepatitis C und Malaria ins thüringische Suhl eingeschleppt, es gäbe schon mehrere Fälle im Klinikum, berichtete laut mimikama.at eine rechtsextreme Wählergemeinschaft. Das Krankenhaus, dass als Quelle genannt wurde, dementierte den Sachverhalt allerdings schnell:  „Die Stadt Suhl sieht sich derzeit mit geschürten Ängsten in der Bevölkerung und ausländerfeindlicher Hetze in sozialen Netzwerken wie Facebook etc., ausgetragen auf dem Rücken des SRH Zentralklinikums Suhl, konfrontiert.  Aus dem Umfeld einer einschlägig bekannten Partei wird kolportiert, dass vermehrt asylsuchende ausländische Staatsbürger mit ansteckenden hochinfektiösen und lebensbedrohlichen Krankheiten im Suhler Zentralklinikum aufgenommen und behandelt würden. Damit wird bewusst eine akute gesundheitliche Gefahr für Leib und Leben der Suhler Bevölkerung und der Mitarbeiter sowie Patienten des Suhler SRH Zentralklinikums suggeriert und ausländerfeindliche Stimmungsmache betrieben. Dazu möchte das Klinikum klarstellen: Im SRH Zentralklinikum Suhl sind derzeit fünf asylsuchende ausländische Staatsbürger in Behandlung. Ihre Krankheiten sind bekannt, nicht ansteckend und gut therapierbar." (Pressemitteilung).

... nur im Kopf der Absender: An diesem rassistischen Hoax ist
nichts dran. (Screenshot FB)

Es handelt sich also um eine unwahres, aber bewusst in Umlauf gebrachtes Gerücht, dass Rassismus gegen Flüchtlinge schüren soll. Dies ist ein aktueller Fall eines rassistischen Hoaxes.

Was ist ein Hoax?

Die meisten der „Hoaxes“ oder  „Urban Legends“ sind unklaren Ursprungs, kommen aber über einen Bekannten ins Haus. Da sind die Virenwarnungen, die Aufrufe, nach vermissten Kindern zu suchen, Protestforderungen dagegen, dass in Asien quadratische Katzen in Flaschen gezüchtet werden – in Blogs und Sozialen Netzwerken blüht die gute alte Kettenbrief-Kultur, weil sich Inhalte selten so einfach verbreiten ließen. Weder der Wahrheitsgehalt noch die Aktualität wird von vielen Menschen vor dem Weiterverbreiten hinterfragt, wenn nur die Empörung zum Thema groß genug ist, und wenn es doch der Friseurin der Bekannten der besten Freundin „wirklich“ passiert ist. „Kinder und Tiere ziehen dabei am meisten“, sagt Paolo von mimikama.at, einer der Stellen im Internet, die sich mit der Aufklärung über Fake-Geschichten beschäftigen. Manche Geschichten – wie die mit den quadratischen Katzen – sind frei erfunden. Andere – etwa viele Meldungen über vermisste Kinder – haben zwar manchmal durchaus einen realen Hintergrund, werden aber noch über das Internet verbreitet, wenn die Kinder schon seit Jahren wieder zu Hause sind. Weil sich mit Hoaxes Inhalte so einfach und scheinbar authentisch verbreiten lassen, werden diese allerdings auch von Rassist*innen, Rechtspopulist*innen und Neonazis verwendet – vor allem, um Rassismus und Islamfeindschaft zu verbreiten.

Screenshots von einer Facebook-Seite, die den rassistischen 
Organmafia-Hoax verbreitet.

Rassistische Hoaxes

Variante 1: Ein Hoax wird rassistisch aufgeladen

Viele Hoaxes kursieren über Jahre mit verschiedenen Orten und Angaben durch das Internet – manche von ihnen werden dabei rassistisch aufgeladen.

Ein "Klassiker" ist die Warnung vor Organhändlern, die Kinder aus Einkaufszentren entführen. Diese Geschichte, die immer einer entfernten Bekannten „wirklich“ passiert ist,  gibt es aus verschiedenen Ländern, verschiedenen Städten und aus verschiedenen Geschäften („hatte ihr Kind nur kurz bei H&M / Ikea / im Centro vor den Fernseher gesetzt und war in die Umkleidekabine gegangen…“), dann kamen „Kinderdiebe“ – die können nicht weiter benannt sein, aber die Variante, in der es rumänische oder bulgarische Roma sein sollen, ist besonders „beliebt“ und wird besonders häufig geteilt. Dies bedient ein jahrhundertealtes Klischee und wird bewusst eingesetzt, um Romafeindlichkeit zu schüren: „Sie finden nie italienische oder südamerikanische oder russische Kinderdiebe“, sagt Paolo von mimikama.at. Die Geschichte geht allerdings nicht einmal auf irgendeinen realen Ursprung zurück – die „Organmafia“ ist frei erfunden. Übrigens ebenso wie "Nachfolge"-Hoaxes wie das der "rumänischen Frauen", die Kinder in Umkleidekabinen einschließen und die Haare abrasieren, um sie dann zu entführen. Trotzdem führte diese Fake-Meldung schon dazu, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr in den Kindergarten schicken wollten, wie im Mai 2014 in Mannheim (siehe auch rheinneckarblog). 

Zu diesem Thema gibt es ein gutes, zusammenfassendes Video auf YouTube.

Variante 2: Hoaxes, die erfunden werden, um Unfrieden zu stiften

Ein weit verbreiteter muslimfeindlicher Hoax sind Berichte von Vergewaltigungen deutscher / weißer Frauen durch muslimische Männer, oft kombiniert mit ausufernden Beschreibungen der wüsten Gewalt, mit der dies geschehen sei. Um Authentizität vorzugaukeln, werden manchmal sogar Fotos dieser angeblichen Verbrecher zugefügt. Solche Meldungen werden gern von Rechtsaußen-Internetseiten als angebliche Nachrichten verbreitet und über entsprechende Kreise verbreitet und entbehren in der Regel auch jeder Grundlage. Erkennbar ist das etwa am immer ähnlichen Wortlaut und Tathergang, nur die Orte und Zeiten werden bisweilen ausgetauscht. Misstrauisch kann man auch werden, wenn alle Quellen, die genannt werden, immer wieder rechtspopulistische und islamfeindliche Blogs sind. Und ja, die gibt es nicht nur auf Deutsch, sondern auch aus anderen Ländern. Auf britische Islamfeinde-Seiten verlinken deutsche Rechtspopulisten etwa gern.

Ein antisemitisches Gerücht, das regelmäßig widerkehrt, ist der Aufruf, nicht bei einem Laden – Lidl oder Aldi – zu kaufen, weil dieser die Hälfte seines Gewinns nach Israel schicken. Diese Aufrufe werden vor allem aus der türkischen Community in Deutschland gemeldet. Der Verfasser ist unklar – der Wunsch, damit Unfrieden zu stiften, allerdings sichtbar.

Variante 3: Hoaxes, die aus verfälschen Informationen bestehen

Hier werden angebliche „Informationen“, gern auch mit Grafik in Tabellenform oder mit angeblichen amtlichen Bescheiden in Bildform zum „Beweis“ verbreitet. Thema ist oft, wie viel Geld Migrant*innen oder Flüchtlinge vom „deutschen Steuerzahler“ bekommen – entweder „wie viel“ oder „wie viel mehr als ein deutscher Hartz IV-Bezieher“. Hier geht es klar darum, Desinformationen zu verbreiten und Migrant*innen und Flüchtlinge zu diskreditieren. In diese Kategorie fällt auch die „Krankheits-Meldung“ vom Artikelstart. Solche Meldungen sind aktuell in rechtsextrem motivierten "Nein zum Heim"-Gruppen gegen Flüchtlingsheime sehr "beliebt". Die Quellen solcher Grafiken oder Facebook-Meldungen sind dann auch im Rechtsaußen-Lager zu suchen, wie etwa die Ruhrbarone an einem Pro NRW-Beispiel ausführlich dargelegt haben. Zum Teil sind es allerdings auch Grafiken aus Medien, z.B. aus der BILD-Zeitung, deren Aufmachung geeignet ist, für Hetze (miss- oder ge-)braucht zu werden - besonders, wenn man sie aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang entfernt.

Warum?

Bei vielen Hoaxes ist es nicht klar, warum sie in Umlauf gebracht werden: Wollen die Macher Aufmerksamkeit erregen, Menschen verunsichern, einfach sehen, wie weit sich „ihre“ Geschichte verbreitet, wenn sie reißerisch genug daherkommt? Manche Hoaxes werden genutzt, um damit Geld zu verdienen. Bei den hier angesprochenen ist die Intention allerdings klar: Es geht darum, Ängste zu schüren, an eventuell vorhandene Vorurteile anzuknüpfen und Rassismus zu verbreiten.

Deshalb gilt für diese – aber eigentlich auch für alle reißerisch aufgemachten Meldungen in sozialen Netzwerken: Erkundigen Sie sich nach dem Absender und der Absicht hinter der Nachricht. Teilen Sie etwas nicht einfach weiter, weil es sie so empört (Kinder! Tiere!), sondern nehmen Sie sich eine Minute zur Prüfung.

Gute Internetseiten, um sich über Hoaxes zu informieren:

www.mimikama.at
gibt es auch auf Facebook:
www.facebook.com/zddk.eu

| www.hoax-info.de

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