Proteste gegen NPD-Kundgebung Sommer 2013 in Marzahn-Hellersdorf.
Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin

Rückblick – Ausblick – Einblick: Das Jahr 2013 in Berlin

Auch in Berlin versuchte die NPD 2013, die Flüchtlingsdebatte für ihre Zwecke zu instrumentalisieren – Rassismus und Sozialchauvinismus schaffen hier Anknüpfungspunkte in der Bevölkerung. Erfreulicher ist da das Ende des "Nationalen Widerstands Berlin" – in der Folge konnte ein Rückgang militanter Aktionen beobachtet werden. Zum Aufatmen gibt es allerdings keinen Grund.

Von Sebastian Wehrhahn, Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR)

2013 waren die Auseinandersetzungen um die Unterbringung von Geflüchteten in Berlin wesentlich für die Arbeit der MBR. Dies liegt unter anderem daran, dass diese Konflikte für die rechtsextreme Szene ein wichtiges Betätigungsfeld bilden, auf dem sie versuchen, Anknüpfungspunkte zu finden, ihre Ideologie zu verbreiten und Anerkennung als politische Kraft zu erhalten. An vielen Orten in Deutschland gründeten sich 2013 vermeintliche Bürgerinitiativen gegen Flüchtlingsunterkünfte. Diese Gruppen sind meist eng mit der lokalen Neonaziszene verknüpft. Was allerdings die Anknüpfung erst ermöglicht, sind Rassismus und Sozialchauvinismus in der Bevölkerung, wie sie sich in den verschiedenen "Bürgerinitiativen" gegen die Flüchtlinge zeigen.

In Marzahn-Hellersdorf konnten wir sehen, wie die Frage personeller Überschneidungen vor dem Hintergrund inhaltlicher Schnittmengen zwischen Neonazis und Alltagsrassist/innen zunehmend an Bedeutung verlor. Auch in anderen Bezirken traten plötzlich "Bürgerinitiativen" auf den Plan, die sich von der Unterbringung von notleidenden Menschen gestört fühlten. In Reinickendorf wurde schließlich ein Zaun um einen Spielplatz errichtet, damit die Kinder aus der Flüchtlingsunterkunft dort nicht mehr spielen können.

Für den Wahlkampf der NPD waren diese Entwicklungen günstig. Gleichwohl sie erwartungsgemäß keinen nennenswerten Erfolg erzielen konnte, gelang es ihr doch, große mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das Konzept war dabei nicht sonderlich innovativ: Die wenigen Teilnehmenden der Aufmärsche und Kundgebungen wurden durch möglichst provokante Ortswahl in Szene gesetzt.

Nicht nur für die NPD erfüllte die Fokussierung auf die Unterbringung von Geflüchteten ihren Zweck: Auch der Personenkreis, der früher unter dem Namen "Nationaler Widerstand Berlin" (NW-Berlin) aktiv war und unter diesem Kampagnen und Aktionen durchführte, begleitete die Aktivitäten gegen die Geflüchteten.

NW-Berlin ist Geschichte

Seit Ende 2012 kann das Label "Nationaler Widerstand Berlin" als Geschichte angesehen werden. Die Homepage ist verschwunden, es gibt keinerlei Aktionen unter diesem Namen mehr und dementsprechend inexistent dürfte die Integrationskraft sein. Auch im Hinblick auf Infrastruktur musste die rechtsextreme Szene in Berlin herbe Rückschläge in Kauf nehmen: Mit dem Henker und dem Laden Hexogen erhielten zwei wesentliche Anlaufstellen eine Kündigung und auch der Friedrichshainer Thor Steinar-Laden musste endlich schließen. Mit dem Verlust von Infrastruktur ist immer auch ein Verlust von politischer Handlungsfähigkeit und Sichtbarkeit im öffentlichen Raum verbunden. Un-Sichtbarkeit bedeutet aber nicht Un-Tätigkeit. Von vielen Beratungsfällen in Betrieben wissen wir, dass Rechtsextremismus und Rassismus überall dort ein Problem ist, wo es sich äußert – ob dies bei öffentlichen Veranstaltungen, während der Arbeit oder im Pausenraum ist. Wo dieses Problem jedoch wahrgenommen wird, stehen die Chancen in der inhaltlichen Auseinandersetzung meist gut. In diesem Sinne sind die zahlreichen Anfragen aus Betrieben und Ausbildungsstätten auch ein erfreuliches Zeichen wachsender Sensibilität.

Eine weitere – unmittelbare – Konsequenz aus dem Ende von NW-Berlin ist ein Rückgang militanter Aktionen, wie sie dieser Zusammenhang über mehrere Jahre durchführte. Ob dies auch mittelbar so bleiben wird, ist ungewiss. Die Erfahrungen aus anderen Bundesländern, die thematische Fokussierung der Berliner Szene und die Tendenz einer zunehmenden Militanz der letzten Jahre legen die Befürchtung nahe, dass in Zukunft nicht nur mit Aufmärschen gegen die Unterbringung von Geflüchteten zu rechnen ist.

NSU: Das kolossale Versagen der Behörden

2013 war ebenfalls das Jahr, in dem der Prozess gegen Beate Zschäpe und Teile des Netzwerks "Nationalsozialistischer Untergrund" begann. Auch der parlamentarische Untersuchungsausschuss des Bundestages legte einen umfangreichen Abschlussbericht vor, der nicht nur ein Zeugnis kolossalen Versagens der Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden ist, sondern auch einige konkrete Empfehlungen beispielsweise für die Polizeiarbeit enthält.

Es bleibt nicht nur eine wichtige politische Frage, inwiefern sich diese Empfehlungen und Erfahrungen der Untersuchungsausschüsse verstetigen werden. Auch die Aufmerksamkeit, die der Schock der NSU-Morde dem Thema bescherte ist von ungewisser Dauer und Beschaffenheit.

Die Initiative zur Aufklärung des Mordes am Berliner Burak B., die regelmäßig mit Mahnwachen und Informationsständen präsent ist, erfährt bislang wenig von dieser Aufmerksamkeit – obgleich Tatumstände und Opfer erschreckende Parallelen zum Vorgehen der NSU-Mörder aufweisen.

2014 wird in mehrerer Hinsicht ein Prüfstein werden:

  • Was bleibt von den Untersuchungsausschüssen und wie wird die Erfahrung, dass die NSU-Morde möglich waren, das deutsche Verständnis von Rassismus und Rechtsextremismus verändern?
  • Gelingt es rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien, ausgehend von lokalen Auseinandersetzungen, beispielsweise um die Unterbringung von Geflüchteten, weiteres Potenzial für sich einzuwerben?
  • Wie werden sich die demokratischen Parteien angesichts einer Konkurrenz von rechts verhalten? Haltung wird nicht nur im Bekenntnis gegen Neonazis bewiesen – sie bedeutet auch, keinen Wahlkampf auf dem Rücken von Geflüchteten zu betreiben.

Mehr Informationen:

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin

 

Das Problem heißt weiterhin Rassismus: Ein Jahresrückblick aus Berlin

Der Jahresrückblick ist entstanden durch ein Gespräch mit dem Team von ReachOut - Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, bei dem wichtige Ereignisse, die das Jahr 2013 geprägt haben, zusammengetragen und diskutiert wurden.

Von Dana Fuchs

Das Foto ist der Ausstellung „Berliner Tatorte – Dokumente rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ entnommen. Die Ausstellung ist ein Projekt von ReachOut und wird jährlich aktualisiert. (Fotografie: Jörg Möller)

17. Juni 2013: In Berlin-Marzahn wird ein 30-jähriger Mann gegen 22 Uhr von einem unbekannten Mann rassistisch beleidigt. Der Täter versucht zudem, seinen Hund auf den 30-Jährigen zu hetzen.

30. Juli 2013: In Berlin-Spandau wird ein Mann gegen 23:10 Uhr von einem Unbekannten rassistisch beleidigt und vom Fahrrad gestoßen. Während er am Boden liegt, wird er von einem anderen Unbekannten geschlagen.

25. August 2013: In Berlin-Neukölln wird eine 28-jährige Frau gegen 13:45 Uhr auf einem Parkplatz beim Aussteigen aus ihrem Auto von einem unbekannten Mann rassistisch beleidigt und ins Gesicht geschlagen.

Rassismus bleibt das häufigste Tatmotiv

Diese Einträge aus der Chronik rechter, rassistischer und antisemitischer Angriffe in Berlin sind keine Einzelfälle. Auch 2013 kommt es immer wieder zu rassistischen, rechtsextremen, antisemitischen, homo-/transphoben und sozialchauvinistischen Angriffen und Beleidigungen. Die Orte und Uhrzeiten zeigen dabei, dass es immer und überall passieren kann. Die Chronikeinträge bis September bestätigen das Bild der letzten Jahre: Rassismus bleibt das hauptsächliche Tatmotiv in Berlin. Doch die Strafverfolgungsbehörden erkennen das nicht immer so an.

ReachOut stellte bei der Hälfte der gemeldeten Fälle Rassismus als Tatmotiv fest. Danach folgen zu jeweils rund einem Fünftel Angriffe gegen Schwule und Lesben und politische Gegner*innen. Am seltensten kommt es zu antisemitischen und sozialchauvinistischen Angriffen.

Veröffentlichung des Abschlussberichts zum NSU lässt Fragen offen

Am 22. August wurde der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses vorgelegt. Dass hier Rassismus nicht nur ein Tatmotiv war, sondern auch die Aufklärung der Morde verhindert hat, wird nicht angesprochen. Rassistische Aspekte der Polizeiarbeit werden weiterhin als "Versagen der Ermittlungsbehörden" verharmlost.

Die Existenz von institutionellem Rassismus müsse endlich anerkannt werden. Das ist die Forderung der politischen Bündnisse, die sich in Folge der NSU-Morde gegründet hatten. ReachOut ist Teil des „Bündnisses gegen Rassismus" und des Bündnisses zur Vorbereitung des Festivals gegen Rassismus, das in diesem Jahr zum zweiten Mal stattgefunden hat.

Eine weiteres Bündnis, in dem sich ReachOut engagiert, ist die "Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.".

Der Mord an Burak B. ist ungeklärt

Am 5. April 2012 wurde Burak B. in Berlin-Neukölln ermordet. Bis heute ist ungeklärt, weshalb er sterben musste. Das Bündnis selbst schreibt dazu: „Unabhängig von der tatsächlichen Motivation des unbekannten Täters, wird dieser Mordanschlag auf eine Gruppe von Jugendlichen zu einem Symbol: Wenige Monate nach dem Bekanntwerden des NSU sind die Parallelen mehr als offensichtich. Unabhängig davon ob der Mörder ein organisierter Neonazi war, ein normaler Rassist oder auch jener „verrückte Einzeltäter“ der die Polizei in „alle Richtungen“ ermitteln lässt, schafft der Mordanschlag eine breite Verunsicherung auf den Straßen – vor allem unter Jugendlichen. Denn der Täter läuft noch immer frei herum. Und von Seiten der Polizei und der Behörden gibt es keinerlei Informtionen.”  Sabine Seyb von ReachOut erkärt dazu: „Das Bündnis fordert, ein rassistisches Motiv aufgrund der Tatumstände nicht auszuschließen. Das ist eine Lehre, die wir aus den Taten des NSU ziehen müssen. Wir haben gesehen, wozu Nazis und Rassist*innen fähig sind." Dieses Wissen zu ignorieren sowie ein diffuses Vertrauen in die Arbeit der Ermittlungsbehörden, hätten dazu geführt, dass die Taten des NSU so viele Jahre unentdeckt geblieben sind und dass stattdessen die Angehörigen verdächtigt und gedemütigt wurden. ReachOut sieht in der Unterstützung eben solcher Bündnisse, einen wichtigen Schritt dahin, institutionellen Rassismus zu thematisieren und neben der individuellen Beratung Betroffener auch politisch zu agieren.

Aktiv gegen Racial Profiling in Deutschland

Passend dazu wurde im Juni 2013 der Film "ID – WITHOUTCOLOURS" vom Migrationsrat Berlin – Brandenburg, KOP (Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt) und ReachOut vorgestellt. Dies ist der erste Dokumentarfilm über Racial Profiling in Deutschland.

Welche Erfolge ein hartnäckiges und kontinuierliches Engagement bringen kann, zeigt auch die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V. Diese hatte am 12. November ein neues Brandgutachten vorgestellt, das die bisherigen Gutachten in Frage stellt. Die neuen Erkenntnisse hatten eine erschütternde Wirkung auf die Justiz und führten dazu, dass die Initiative erneut Strafanzeige wegen Totschlags oder Mordes stellen konnte, diesmal bei der Generalbundesanwaltschaft.

Biplab Basu von ReachOut meint dazu: "Der Mut und das Durchhaltevermögen der Initiative sollte auch für andere Projekte und Bündnisse ein Augenöffner sein: Nur so ist die Aufklärung von rassistischen Tatmotiven und eine Veränderung von rassistischen Strukturen in staatlichen Behörden möglich."

Refugee Strike in Berlin thematisiert Rassismus im Alltag und in den Behörden neu

Das Leben in einem rassistischen Alltag wurde neben den genannten Bündnissen auch durch die Flüchtlingsproteste am Oranienplatz und Brandenburger Tor immer wieder ins öffentliche Bewusstsein geholt. Seit mittlerweile über einem Jahr schaffen es Flüchtlinge und Unterstützer*innen ihren Protest im städtischen Diskurs zu verankern. Die Situation von Flüchtlingen und ihre Forderungen sind vor allem durch das Camp auf dem Oranienplatz präsent und können so nicht mehr ignoriert werden.

ReachOut geht davon aus, dass die dadurch erreichte Sensibilisierung dazu beigetragen hat, die massive Hetze gegen die Flüchtlingsunterkunft im Bezirk Hellersdorf durch die "Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf" nicht unwidersprochen zu lassen. Ungewöhnlich schnell etablierte sich eine stadtweite Solidarität mit den Menschen, die gezwungen waren, in dieser ablehnenden Stimmung zu leben. Verschiedene Bündnisse und Initiativen waren vor Ort, um "Hallo" zu sagen und die Flüchtlinge willkommen zu heißen. So gründete sich z.B. der Verein "Hellersdorf hilft" und die Crew des Pinkhaus Skateshops führte zusammen mit den Bewohner*innen der Notunterkunft die Aktion "We say hello with Skateboards" durch.

Rassistische Gewalt ist real: Betroffene brauchen weiterhin Beratungsstellen

Insgesamt ist es sicher auch in Folge der NSU Morde möglich geworden, die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Rassismus und deren Auswirkungen offener zu thematisieren.

"Jetzt müssen aber auch die staatlichen Stellen den Vorwurf des institutionellen Rassismus ernst nehmen", fordert Biplab Basu. Doch beim bloßen Ansprechen dürfe es nicht bleiben. Rassismus ist real und bedroht täglich Menschen. Eine Konsequenz muss daher sein, dass sich Betroffene überall an Beratungsprojekte wenden können, die auch politisch etwas verändern wollen und nicht bei der individuellen Beratung stehen bleiben. Es bedarf eines bundesweiten Monitorings, um das Ausmaß rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt zumindest annähernd beschreiben und aufzeigen zu können.

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