Beate Zschäpe sitzt am 01.08.2017 im Verhandlungssaal zwischen ihren Anwälten Hermann Borchert (l) und Mathias Grasel.
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NSU-Prozess: Beate Zschäpe – Täterin, statt Frau im Hintergrund

Nach fast 400 Verhandlungstagen geht der Prozess gegen den NSU langsam seinem Ende entgegen. Noch vor der Sommerpause begann die Bundesanwaltschaft mit ihrem Plädoyer und benennt Zschäpe klar als Täterin, geht aber weiter nur von drei Beteiligten und wenigen Helfern aus. Die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung beobachtet den Prozess und gibt hier eine Einschätzung.

Im Prozess gegen Mitglieder des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) am Oberlandesgericht München ist immer wieder deutlich geworden, dass Beate Zschäpe als gleichberechtigtes Mitglied des NSU eine relevante Tatbeteiligung zukam. Zu dieser Auffassung ist auch die Generalbundesanwaltschaft (GBA) in ihrem Schlussplädoyer gekommen: Sie bewertet Beate Zschäpe als „gleichberechtigtes Mitglied“ des rechtsterroristischen NSU und als Mittäterin an den rassistischen und rechtsextremen Morden an Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodorus Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat. Laut GBA sei sie außerdem als Mittäterin für den Mord an der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter, dem Mordanschlag auf ihren Kollegen Martin A. und den Bombenanschlag auf das Ladengeschäft einer deutsch-iranischen Familie verantwortlich, bei dem eine junge Frau schwer verletzt wurde. Ebenso wird sie als Mittäterin des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße, bei dem 22 Personen zum Teil schwer verletzt wurden, verantwortlich gemacht. Auf einer DVD habe sie zudem die Mordanschläge in zynischer und volksverhetzender Weise dargestellt und die Opfer verhöhnt. Auch der Bombenanschlag in Nürnberg in Form einer mit Sprengstoff gefüllten Taschenlampe wird dem NSU und Beate Zschäpe zugerechnet. Zusätzlich wird sie als mitverantwortlich für 15 Raubüberfälle gesehen, die der Finanzierung der Gruppe dienten. Um Spuren zu beseitigen, habe sie nach dem letzten Überfall das mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gemeinsam bewohnte Haus in Zwickau angezündet und dabei den Tod anderer Menschen billigend in Kauf genommen. 

Die GBA benennt die gefestigte rechtsextreme und rassistische Ideologie der Angeklagten und verdeutlicht in ihrem Plädoyer nicht nur Zschäpes Rolle als gleichberechtigtes Mitglied im rechtsterroristischen NSU. Oberstaatsanwältin Greger benennt auch die geschlechterspezifische Strategie Zschäpes innerhalb des NSU

„Sie tarnte das System NSU ab. Auf diese Weise wirkte sie auch an der Ausführung der Taten mit. Ihre Rolle stellt sich als so essentiell dar, wie die der beiden männlichen Gruppenmitglieder. Weder die Anschläge noch die Überfälle hätten ohne ihr Zutun in dieser Form stattfinden und gelingen können. Die Angeklagte war der entscheidende Stabilitätsfaktor der Gruppe. Ihre Rolle im Hintergrund entspricht nicht nur dem ideologischen Geschlechterbild der Szene.“

Greger verdeutlicht, dass Zschäpe an der Planung und Organisation der Taten ebenso beteiligt war, wie die männlichen Mitglieder. Sie wird als „Tarnkappe“ bezeichnet -  sie ermöglichte die Ausführung der Taten und war für die Dokumentation der Taten sowie das soziale Leben der drei verantwortlich. Gleichzeitig wird damit Zschäpes eigene Darstellung einer nicht eingeweihten, unwissenden und emotional abhängigen Frau als geschlechterstereotype Inszenierung vor Gericht bewertet und zurückgewiesen. Diese Strategie wurde nicht zuletzt durch den von ihrer Verteidigung beauftragten Gutachter, dem Freiburger Psychiater Joachim Bauer, unterstützt. Dieser kam in seinem 56-seitigen Gutachten zu dem Ergebnis, dass Zschäpe an einer sogenannten dependenten Persönlichkeitsstörung leide und sich hilflos an ihren damaligen Lebenspartner Uwe Böhnhardt klammerte. Deswegen sei sie nur eingeschränkt schuldfähig. Der Gutachter wurde vom Gericht als befangen abgelehnt.

Aus der bisherigen Forschung zu rechtsextremen Frauen ist bekannt, dass sie in der Regel weder als politisch aktiv, noch als Täterinnen wahr- und ernst genommen werden. Dieser Gender-Bias wird in der Forschung seit Jahren unter dem „Phänomen der doppelten Unsichtbarkeit“ verhandelt. Rechtsextreme Frauen nutzen weibliche Stereotype, um sich als unpolitisch und unbeteiligt zu inszenieren. Dadurch gelingt es ihnen, unerkannt zu agieren und rechtsextreme Netzwerke zu schützen. Insbesondere bei Ermittlungsbehörden und vor Gericht werden geschlechterstereotype Inszenierungen als Hausfrau, Mutter und/oder „Freundin von“ genutzt, um Gewalttaten zu ermöglichen, Täter_innen zu schützen und rechtsextreme und rechtsterroristische Gewalt zu verharmlosen.

 

Leerstellen des Plädoyers

Problematisch und unbefriedigend bleibt, dass die Generalbundesanwaltschaft weiterhin von einem NSU-Trio ausgeht, welches nur von den Mitangeklagten Ralf Wohlleben, Holger Gerlach, André Eminger und Carsten Schultze unterstützt wurde. Dabei werden weder die rechtsextremen Strukturen und Gruppen, innerhalb denen sich die drei bewegten, noch die Personen, mit denen sie zusammen arbeiteten, in einen Zusammenhang gestellt. Beispielsweise wird behauptet, dass der mittlerweile rechtskräftig verurteilte V-Mann Tino Brandt in der Vergangenheit kaum Berührungspunkte mit der Angeklagten gehabt habe. Dabei wird ignoriert, dass die Kameradschaft Jena, der Zschäpe angehörte, als Teil des Thüringer Heimatschutzes gegründet wurde und Brandt diese maßgeblich politisierte. Auch werden Zeug_innenaussagen aus den Untersuchungsausschüssen ignoriert, die von mehr als zwei Personen an Tatorten

berichten, was dafür spricht, dass zumindest  unterstützende Personen vor Ort gewesen sein müssen. So beispielsweise am Tatort in Heilbronn nach dem Mord an der Polizeibeamtin Michéle Kiesewetter. Im Prozess, aber auch in den Untersuchungsausschüssen, gab es immer wieder deutliche Hinweise darauf, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt Unterstützung von weiteren Personen an den Tatorten erhalten haben müssen. Diese Hintergründe zu beleuchten ist mehrfach von Betroffenen und Opferangehörigen als wichtiges Anliegen formuliert worden. Der Prozess wäre der Ort gewesen, diese Unterstützungsstrukturen zu ermitteln. Im Prozess wurde jedoch nicht nur die Aufklärung unterbunden; die Bundesanwaltschaft versucht im Plädoyer auch Nebenklagevertreter_innen, die sich für ebendiese Aufklärung eingesetzt haben, zu diskreditieren. Beispielsweise wurde von Oberstaatsanwältin Greger im Plädoyer behauptet, die Nebenklagevertreter_innen hätten ihren Mandant_innen „versprochen“, dass es bei der Ausführung der NSU-Taten „rechte Hintermänner“ gegeben hätte. Weder die Ermittlungen des BKA, noch das Gerichtsverfahren und die Untersuchungsausschüsse hätten hierfür Annahmen geliefert, so Greger.

Gegen die „Trio-Theorie“ sprechen auch die aktiven Frauen rund um Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Beispielsweise waren Mandy S. und Antje Probst erwiesenermaßen bzw. mutmaßliche Unterstützerinnen des NSU und innerhalb der rechtsextremen Szene bekannt. Antje Probst war nach eigenen Angaben ein Gründungsmitglied von „Blood and Honour“ Sachsen. Vor Gericht versuchten sie sich als unpolitisch und als Mitläuferinnen darzustellen, indem sie sich teilweise unwissend gaben und ihre Rolle als Mütter betonten. Antje Probst wird im Plädoyer zwar namentlich genannt, aber es bleibt unklar, in welcher Verbindung sie zu der Angeklagten stand und welche Funktion sie innerhalb des gesamten politischen Netzwerks einnahm. Somit widersprechen die Ergebnisse aus der Beweisaufnahme der Darstellung der Bundesanwaltschaft im Abschlussplädoyer.

Eine weitere Problematik des Plädoyers ist, dass die Bundesanwaltschaft die staatlichen Ermittlungen und Verwicklungen nicht thematisiert und problematisiert. Unbenannt bleibt damit der institutionelle Rassismus, den die Opferangehörigen und Betroffenen nach den Taten erfahren mussten. Bei den Ermittlungen zeigten sich außerdem Leerstellen, die durch Geschlechterstereotype bedingt waren. Beispielsweise entfernten die polizeilichen Ermittler_innen 2007 bei einer Rasterfahndung im Raum Nürnberg – als für einen kurzen Zeitraum Rassismus als Tatmotiv in Erwägung gezogen wurde – alle Frauen von einer Liste des Verfassungsschutzes mit Namen von Neonazis. Damit wurde auch Mandy S. von der Liste gestrichen, eine schon frühe Unterstützerin des NSU. Auch die Verwicklungen von Ermittlungsbehörden wie dem Verfassungsschutz werden verneint. Und dies, obwohl es unzählige Hinweise auf dessen Mitwissen gibt, und beispielsweise über vierzig V-Personenim Umfeld des NSU zu finden waren. Unaufgeklärt bleibt weiterhin, welche Bedeutung die Anwesenheit des Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas Temme hatte, der sich in Kassel zu dem Zeitpunkt im Internet-Café aufhielt, als dort Halit Yozgat ermordet wurde.

 

Beteiligung anderer Frauen an rechtsterroristischen Taten

Beate Zschäpe ist kein Einzelfall. Wie wichtig eine Aufarbeitung rechtsterroristischer Taten auch unter einer Geschlechterperspektive ist, zeigt ein Blick auf andere Verfahren. Prozesse wie in Freital, der Oldschool Society (OSS), die Gruppe um Nauen oder Ballstädt thematisieren und verhandeln die Beteiligung von Frauen an Planung und Durchführung rechtsterroristischer Taten auf unterschiedliche Art und Weise. Im Prozess um die Gruppe aus Freital sitzt Maria K. als einzige Frau wegen Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung nach §129a StGB auf der Anklagebank, obwohl mehrere Frauen in die Planung der Taten involviert waren. Im Verfahren um die Oldschool Society erhielt Denise G. neben drei männlichen Angeklagten ebenfalls eine Haftstrafe wegen Bildung bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§129a StGB). Dennoch wird sie während des Prozesses über ihr Aussehen befragt, anstatt sich eingehender mit ihrem rassistischen Weltbild zu beschäftigen. Bei den rassistischen Anschlagsserien in Nauen wurde Frauke K. als einzige Frau in einem separaten Verfahren wegen Beihilfe verurteilt. Ihre politischen Überzeugungen blieben dabei - anders als beim Hauptverfahren gegen sechs Männer - unberücksichtigt. Eine Ermittlung nach §129 und §129a StGB wurde aus prozessökonomischen Gründen während des Prozesses gegen die männlichen Verurteilten zurückgenommen. Im Ballstädtverfahren wurde Ariane S. als Mittäterin bewertet und verurteilt, ihre Funktion innerhalb rechtsextremer Strukturen jedoch nicht berücksichtigt und der Prozess als Ganzes entpolitisiert.

Werden politische Überzeugungen, die Rolle von rechtsextremen Frauen und/oder rechtsextreme Unterstützer_innennetzwerke in Prozessen nur unzureichend berücksichtigt – wie das Plädoyer der Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess verlautbaren lässt - werden rechtsextreme Gewalt und Rechtsterrorismus als gesellschaftliches Problem weniger wahrgenommen und verharmlost. Dies ist nicht nur ein fatales Signal an die demokratische Zivilgesellschaft, Journalist_innen und die Beteiligten aus den NSU-Untersuchungsausschüssen: Die Nebenklagevertreter_innen und ihre Mandant_innen werden durch solche Annahmen nicht ernst genommen und diffamiert und ihr Wunsch nach vollständiger Aufklärung des NSU und den Unterstützer_innen nicht eingelöst.

 

Wir danken ausdrücklich der ausführlichen Protokollierung des NSU Watch und der NSU Nebenklage sowie der Berichterstattung durch die Rechtsanwälte Reinecke Scharmer und Stolle.

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