Ausschnitt aus dem Titel des Buches "Für Prophet und Führer. Die islamische Welt und das 'Dritte Reich'" von David Motadel.
Klett-Cotta Verlag

NS und Islam: "Hitler war vom Islam fasziniert"

Einerseits wurden Muslime im nationalsozialistischen Deutschland gemäß der "Rassenlehre" diskriminiert, andererseits suchten die Nationalsozialisten außerhalb Deutschlands muslimische Verbündete, als die Alliierten an Boden gewannen. Wie das erfolgreich sein konnte, untersucht David Motadel in seinem Buch "Für Prophet und Führer. Die islamische Welt und das 'Dritte Reich'".

 

Von Michael Lausberg

 

Der Historiker David Motadel, Professor für Internationale Geschichte an der London School of Economics, untersucht in seinem Buch "Für Prophet und Führer. Die islamische Welt und das 'Dritte Reich'" die Islampolitik, mit der das NS-Regime Muslime in den besetzten Gebieten und weltweit als Verbündete im Zweiten Weltkrieg zu gewinnen suchte. Dabei stehen die muslimisch geprägten Länder von der Sahara über die Balkan-Halbinsel bis zu den südlichen Grenzgebieten der Sowjetunion im Mittelpunkt der Untersuchung. Es werden auch die Konstruktionen des Islambildes der Institutionen des „Dritten Reiches“ untersucht. Es soll aber „keine Sozialgeschichte muslimischen Lebens in den Kriegsgebieten noch eine Darstellung muslimischer Reaktion auf das NS-Regime“ sein. (S.11)

Während des Zweiten Weltkriegs begannen sowohl die Achsenmächte, also auch das NS-Regime, als auch die Alliierten den Islam als bedeutsam für den Ausgang des Krieges anzusehen. Die Ansprache von Muslimen durch das NS-Regime war eine Lösung, die aus der Not geboren wurde, da die Alliierten immer mehr die Oberhand im Krieg bekamen. Nach den Niederlagen bei Stalingrad, El-Alamein und anderen Schlachtfeldern wurden aus pragmatischen militärischen Gründen Muslime mit allen möglichen Propagandamitteln angeworben.

Das NS-Regime startete den Versuch, sich in den muslimischen Kriegsgebieten, in Nordafrika, im Nahen Osten, auf der Krim, im Kaukasus und auf dem Balkan als Beschützer des Islams aufzuspielen -  entgegen ihrer nationalsozialistischen „Rassenlehre“.  Denn zur Zeit der NS-Herrschaft wurden Muslime in Deutschland durch die Nürnberger „Rassegesetze“ verfolgt. Aufgrund der rassistischen Gesetze war ihnen der sexuelle Verkehr mit „Ariern“ verboten und es wurden Zwangssterilisierungen vorgenommen. Im Vergleich zu Juden und Sinti und Roma waren Muslime aber nicht systematischer Verfolgung ausgesetzt. Es gab jedoch in allen Konzentrationslagern auch arabische und muslimische Häftlinge, die genaue Anzahl von ihnen ist allerdings nicht bekannt. Auf der anderen Seite gründeten NS-Behörden muslimische Einrichtungen wie das Islamische Zentralinstitut in Berlin, das 1942 eröffnet wurde. Während das Schächten für Juden verboten war, wurde es Muslimen nach einiger Zeit wieder erlaubt. Weiterhin warben NS-Funktionäre religiöse Führer in den Kriegsgebieten an und beschworen vor allem in den muslimisch geprägten Gebieten der Sowjetunion Osteuropas und Zentralasiens antisowjetische Ressentiments.

Und tatsächlich war die Ansprache erfolgreich. Zehntausende von Muslimen wurden für die Wehrmacht und für die  SS rekrutiert: „Zwischen 1941 und dem Kriegsende rekrutierten Wehrmacht und Waffen-SS Hunderttausende nichtdeutsche Freiwillige aus allen Teilen der besetzten Gebiete. (…) Deutsche Soldaten konnten den Krieg nicht allein gewinnen.“ (S. 262) Diese Gruppen sollten hinter den feindlichen Linien für Unruhe sorgen und den Umschwung im Zweiten Weltkrieg einleiten. Dies waren Angehörige der „Turk-Völker, Krim-Tataren und Kaukasiern im Osten sowie albanische und bosnische Divisionen auf dem Balkan.“ (S. 263)

Diese Kämpfer glaubten, durch den Eintritt in die faschistischen Divisionen den Kampf gegen den Bolschewismus und den britischen Imperialismus für die Freiheit ihrer Länder zu führen. Tatsächlich scheint Antisemitismus eine weniger große Rolle gespielt zu haben. Motadel sagt dazu in einem Interview mit der "Neuen Westfälischen": "Antisemitismus spielte grundsätzlich in der deutschen Auslandspropaganda eine große Rolle. Im Hinblick auf die Muslime ging es häufig um die Einwanderung von Juden nach Palästina, die in den Zwischenkriegsjahren stark zugenommen hatte. In vielen Teilen der muslimischen Welt hatten Muslime und Juden über Jahrhunderte mehr oder weniger friedlich nebeneinander gelebt. Ich habe einige Kollegen, die glauben, dass die NS-Propaganda den Antisemitismus in die arabische Welt gebracht hat, der heute dort vielerorts zu beobachten ist. Nachweisen lassen sich solche direkten Verbindungen aber nicht. Der Antisemitismus, den wir vor allem bei manchen muslimischen Flüchtlingen erleben, beruht häufig eher auf dem Palästinakonflikt seit Ende des Zweiten Weltkrieges." Andererseits betonte etwas SS-Führer Heinrich Himmler, Deutsche und Muslime hätten gemeinsame Feinde, den "Bolschewik, England, Amerika, alle immer wieder getrieben vom Juden." 

Das Islambild der Faschisten wiederum glich einem monolithischen Block, was in der Wirklichkeit niemals zutraf: „Vertreter des NS-Staates gingen gemeinhin davon aus, dass Religion und Politik in der ‚muslimischen Welt‘ eng miteinander verknüpft seien. Der Islam wurde als politische und häufig auch als militante Kraft gesehen. Darüber hinaus beruhte Berlins Politik auf der Annahme, der Islam könne für die eigenen politischen und militärischen Ziele instrumentalisiert werden. Der Islam schien ein verständliches, kohärentes religiöses Instrumentarium bereitzustellen, welches genutzt und manipuliert werden könne. Islamische Gebote, denen Muslime blind zu folgen schienen, wurden als ideale Grundlage zur Legitimierung von Macht und Autorität angesehen.“ (S. 10)

Das Buch von David Motadel schließt eine wichtige Forschungslücke im Bereich des Zweiten Weltkrieges. Es zeigt eindrücklich, mit welchen dubiosen Propagandamitteln Muslime als Unterstützung in einem verloren geglaubten Krieg angeworben und sie dabei ihre eigenen „Rassengesetzen“ wissentlich widersprachen. Das Buch ist glänzend recherchiert und geschrieben. Nationalsozialistische Kampfbegriffe wie „Drittes Reich“, „Volksgemeinschaft“ oder Institutionennamen wie „Reichsministerium für Volksaufklärung“ sollten weiterhin unbedingt in Anführungszeichen gesetzt werden.

Motadel berichtet außerdem: "Hitler war vom Islam fasziniert. Während für ihn der Katholizismus eine schwache, verweichlichte, feminine Religion darstellte, pries er nachweislich den Islam als starke Kriegerreligion. 'Der Mohammedanismus könnte mich noch für den Himmel begeistern', sagte er einmal. SS-Führer Heinrich Himmler sprach vor NSDAP-Funktionären davon, dass er nichts gegen den Islam einzuwenden habe. Schließlich verspräche dieser nach dem Tod auf dem Schlachtfeld den Himmel. 'Eine für Soldaten praktische und sympathische Religion', so seine etwas zynische Äußerung."  

 

David Motadel:
Für Prophet und Führer. Die islamische Welt und das „Dritte Reich“.

Aus dem Englischen von Susanne Held und Cathrine Hornung
Klett-Cotta
Stuttgart 2018
ISBN: 978-3-608-98105-6

30 Euro

https://www.klett-cotta.de/autor/David_Motadel/84718

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