Was im November 2017 passierte: Sehr unterschiedliche Verurteilungen zu Flüchtlingsheim-Brandstiftungen +++ Viel Ärger um Haus der "Identitären" in Halle +++ Nazis fahren zu Schießübungen ins Ausland +++ Rechtsrock etabliert sich in Themar +++ "Die Rechte" verliert ihren Vorsitzenden +++ Die NPD ist zu arm für Sanktionen +++ Im ostdeutschen Fußball gilt „Nazis raus“ als Provokation +++ Köln: Rechte Hooligans beschimpfen Galeriebesucher am Ebertplatz als „Künstlerpack“ +++ Der NSU-Prozess nähert sich dem Ende.
Von Simone Rafael
Rechtsextreme Gewalttaten und Bedrohungen siehe Chronik November 2017
Vor Gericht +++ Waffen +++ Rechtsextreme Musik +++ Identitäre +++ NPD +++ Die Rechte +++ Reichsbürger +++ Vermischtes
Vor Gericht
- Flüchtlingsheim-Brandstifter in Heilbronn: Vier Jahre und zwei Monate für Brandstiftung aus rassistischen Motiven (Neckar-Chronik, Spiegel)
- Gruppe Freital: Prozess geht dem Ende entgegen (SZ)
- "Freundeskreis Thüringen / Niedersachsen" / nun "Volksbewegung Niedersachsen": Anklage gegen drei Mitglieder wegen Bildung einer bewaffneten Gruppe (NDR, HNA)
- Mitarbeiter des rechtsextremen Internet-Radios "Volk und Heimat" (mz-web); Anklage der Volksverhetzung, aber keine Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung (MZ-Web).
- Berliner Polizist, der u.a. Hitlergruß gezeigt hat und rechtsextreme Tätowierungen trägt, seit 10 Jahren suspendiert: Nun ist er entlassen (vgl. Welt, Tagesspiegel, Tag24, Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel II).
- Flüchtlingsheim-Brandstifter in Jüterborg: Bewährungsstrafe. Es habe keine Tötungsabsicht vorgelegen (taz, MAZ, ZEIT, PNN).
- Verantwortliche des rechtsextremen "Thiazi"-Forums: Prozessbeginn wurde verschoben (BNR, NDR).
- Ursula Haverbeck: Haftstrafe für Holocaustleugnung (ZEIT).
- Flüchtlingsheim-Brandstifter in Dörfel: Haupttäter wird zu über zwei Jahren Gefängnis verurteilt (mdr).
Waffen
Schießübungen in Tschechien
Deutsche Neonazis nutzen offenbar private Schießstände im grenznahen Gebiet der Tschechischen Republik für Waffentraining. Die Spezialeinheit GSG 9 nahm vor kurzem am Grenzübergang Schirnding (Landkreis Wunsiedel) zwölf Rechtsextremisten fest. Die Gruppe war gerade von einem zweitägigen Ausflug nach Cheb (Eger) zurückgekehrt. In dem grenznahen Gebiet, nicht einmal zehn Kilometer von Oberfranken entfernt, absolvierten sie offenbar Schießübungen (Nordbayerischer Kurier). Den Behörden sind die Schießübungen seit Anfang 2016 bekannt (FR). Es sind seit Januar 2016 mindestens 16 Fälle bekannt (Focus).
Rechtsextreme Musik
Themar zum dritten Mal 2017 - Rechtsrockevents etablieren sich
Zum dritten Mal innerhalb weniger Monate feierte eine vierstellige Zahl an Konzertteilnehmern im südthüringischen Themar. Die Veranstaltung „Rock gegen Links“ mit 1.070 Teilnehmenden als politische Kundgebung einzustufen, erwies sich erneut als Farce. Fast wäre das Konzert massiv verkürzt worden. Auf dem Programm standen mit der rechten Hooligan-Band Kategorie C, Fortress und Oidoxie zugkräftige Headliner der Szene (vgl. Endstation rechts, ND, BILD). Ein mögliches Ende sieht der Bürgermeister nur durch einen Kauf der Festwiese (mdr).
Identitäre
Halle
- In der Adam-Kuckhoff-Straße 16 in Halle haben Anhänger_innen die "Identitären" nun ein Haus, einen Treffpunkt, dessen Existenz allein als offene Machtdemonstration der rechtsextremen Organisation gilt. Vier "Identitäre" sollen dort dauerhaft wohnen, Untermieter ist AfD-Funktionär Tillschneider, Veranstaltungen sind geplant. Nun suchen viele Nachbarn nach Gegenstrategien, beschreibt die taz. (vgl. Deutschlandfunk, Ostsee-Zeitung, RTL)
- Nach einem Info-Vortrag eines Wiener "Identitären"-Experten in Halle gibt es einen Anschlag mit Buttersäure und Steinen auf das Haus. Daraufhin beschuldigen die "Identitären" auf Twitter den Referenten und starten eine Verleumdungskampagne gegen den Mann, der mit dem Anschlag nichts zu tun hat (Störungsmelder).
- Nach dem Anschlag bekam die Gruppe nach eigenen Angaben eine Spende von 40.000 Euro, um das Haus von den Schäden zu bereinigen (Tag24).
- Am 13.11. durchsucht die Polizei das Schulungszentrum, nimmt "Speichermedien mit" (MZ-Web).
- Zu den "Identitären" gehören auch Frauen. Die Huffington Post beschreibt ihr Agieren und die dahinterliegende Taktik.
- Am 21.11. kommt es zu "Pöbeleien" und "Flaschenwürfen" zwischen "Identitären" und Gegnern am Haus. Daraufhin greifen zwei Rechtsextremen an: Maskiert, mit Schutzschild, Schutzhelm und Baseballschläger. Dabei verletzen sie zwei Polizisten in Zivil, die sie aufhalten wollen, mit Pfefferspray (MZ-Web, Endstation rechts).
Aktionen
- Berlin: Rassistische Banner im Stadtgebiet aufgehangen ("Opfer von Multikulti"), dazu Pyrotechnik, angeblich „Auftakt einer Bundesweiten Kampagne gegen das Vergessen“. Polizei ermittelt (Berliner Zeitung)
- Siegen: In der Innenstadt werden Aufkleber der "Identitäre" geklebt, die mit Rasierklingen gespickt sind, damit sich diejenigen verletzten, die sie abmachen wollen (ND)
Weiteres
- Ralph Weber, AfD-Landtagsabgeordneter in Mecklenburg-Vorpommern und parlamentarischer Geschäftsführer auch im Fraktionsvorstand sitzt, fordert, dass die AfD die "Identitäre Bewegung" als Verbündeten akzeptiert (NDR).
- Großbritannien: Auch hier wollen die "Identitären" Fuß fassen, nach ihren Erfolgen in Frankreich, Österreich und Deutschland. Doch in Großbritannien gibt es viel Konkurrenz, bisherige islamfeindliche Aktionen - etwa ein Banner an der Westminster Bridge in London - verpufften (JW).
NPD
Zu arm für Sanktionen? Das Siechtum der NPD schreitet voran, könnte ihr aber zum zweiten Mal auf paradoxe Weise nutzen. In den Innenministerien gibt es nach Informationen des Tagesspiegels Bedenken, ob es überhaupt Sinn macht, sich wieder wegen der rechtsextremen Partei ans Bundesverfassungsgericht zu wenden. Nach dem im Januar gescheiterten Verbotsverfahren käme nun ein Antrag in Frage, der NPD staatliche Gelder komplett zu streichen. Der Bundestag hatte im Juni mit großer Mehrheit das Grundgesetz geändert, um verfassungsfeindlichen Parteien öffentliche Mittel zu verwehren. Allerdings könnte die finanziell angeschlagene NPD dafür inzwischen schlicht zu arm sein (Tagesspiegel). Wie schlimm es um die NPD regional bestellt ist, beschreibt für Hessen die Frankfurter Rundschau.
Trotzdem ist die NPD weiter aktiv und bringt ein neues "Druckwerk für Metapolitik und Kultur“ heraus: „Werk Kodex“. Verantworlich für das sich intellektuell gebende Blatt: Tobias Schulz alias Baldur Landogart (bnr).
Vor Gericht: Ein Usedomer NPD-Aktivist griff zur Selbstjustiz, als er auf ein Paar traf, dass NPD-Plakate beschädigt haben soll: 60 Tagessätze (Endstation rechts)
Die NPD-Jugend in Niedersachsen trainiert derweil Kampfsport mit dem russischen Neonazi-Hooligan Denis Nikitin, der auch Besitzer der rechtsextremen Sportmarke "White Rex" ist (Störungsmelder).
Die Rechte
- Verliert ihren Vorsitzenden: Christian Worch tritt zurück. Die Nachfolge übernimmt der Dortmunder Christoph Drewer (Störungsmelder, Endstation rechts).
- In Hessen hat „Die Rechte“ derweil einen Landesverband gegründet, mit Ortsgruppen im Main-Kinzig-Kries, Marburg und Wiesbaden (FR).
- In Thüringen tritt der komplette Landesvorstad zurück, das sind Enrico Biczysko und Michael Fischer (BNR).
Reichsbürger
Polizistenmord von Georgensgmünd: Polizist warnte Kollegen nicht
Ein Nürnberger Polizist pflegte enge Kontakte zu Reichsbürger Wolfgang P. aus Georgensgmünd – doch seine Kollegen warnte er nicht vor ihm. Seine Informationen hätten den Tod des SEK-Beamten auch nicht verhindert, so das Oberlandesgericht Nürnberg. Vor knapp zwei Wochen wurde der sogenannte Reichsbürger Wolfgang P. unter anderem wegen Mordes an einem SEK-Beamten (32) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt – P. hatte das Feuer eröffnet, als das SEK in sein Haus kam, um ihm seine 30 Kurz- und Langwaffen abzunehmen. Wäre es nach dem Willen der Staatsanwaltschaft gegangen, hätte sich in jenem Verfahren auch ein Polizeibeamter (51) verantworten müssen – denn die Ermittler unterstellten ihm, der damals als freigestellter Personalrat tätig war, seine Kollegen regelrecht verraten zu haben. Er habe von den Waffen des "Reichsbürgers" Wolfgang P. und auch dessen Gefährlichkeit gewusst, dies aber weder seiner Dienststelle noch dem Staatsschutzkommissariat mitgeteilt. Nun wurde entschieden: Für eine Gerichtsverhandlung reichen die Vorwürfe aber nicht aus (Nordbayern.de, BR).
Weiteres:
- Ludwigsburg: Ein Keller als Waffenlager: Rund 100 Schusswaffen und erhebliche Mengen Munition haben Landratsamt und Polizei in einem Privathaus im Landkreis sichergestellt. Die Besitzer: vier „Reichsbürger (LKZ)
- Donauwörth: 51-Jähriger verschanzt sich, weil er einen Gerichtstermin nicht wahrgenommen hat, und bedroht Polizisten (Augsburger Allgemeine, BR)
- In Fürstenberg greift ein „Reichsbürger“ bei der Festnahme zwei Polizisten an und enkommt (Spiegel, Merkur).
Analyse:
Grundgesetz, Behörden und Gerichte der Bundesrepublik? Gelten in der Welt der «Reichsbürger» nicht. Die Szene genau einer politischen Strömung zuzuordnen, das ist schwierig. Das hat die vom «Mediendienst Integration» organisierte Veranstaltung «Wie umgehen mit «Reichsbürgern?» am Dienstag in Mannheim gezeigt. Beate Bube, Präsidentin des Stuttgarter Landesamtes für Verfassungsschutz sagte, es handle sich bei «Reichsbürgern» mitnichten durchweg um Rechtsextreme. «Wir schätzen, dass aktuell in Baden-Württemberg etwa 2200 Personen der Szene zuzurechnen sind. 90 davon gehören verschiedenen extremistischen Kreisen an», sagte sie.Politologe Jan Rathje von der Amadeu Antonio Stiftung vertrat die Auffassung, das von «Reichsbürgern» verbreitete Bild einer «BRD-GmbH» speise sich aus Antisemitismus und Rechtsextremismus. (vgl. Stuttgarter Zeitung, Stimme, Mannheim24).
Vermischtes:
- Im ostdeutschen Fußball gilt „Nazis raus“ als Provokation (ZEIT).
- Köln: Rechte Hooligans beschimpfen Galeriebesucher am Ebertplatz als „Künstlerpack“ (KSTA, vgl. BNR)
- Der NSU-Prozess nähert sich dem Ende (Ksta).
- MV: Hooligan-Gruppe „Nordische Wut“ unter Beobachtung (Nordkurier, NDR)
- Ukraine: Deutsche Nazis heuern bei rechtsextremen Bataillon an (Spiegel)
- Neonazis stehlen Stolpersteine zum 09. November, u.a. in Berlin (Welt).
- Der III. Weg organisiert eine „Bürgerwehr“ in Fulda (FR)
- Mehr als 200 Neonazis bei „Gedenkmarsch“ in Remagen am ehemaligen Gefangenenlager der Alliierten (Störungsmelder, SWR).
- 15 Neonazis missbrauchen das Oerlinghauser Ehrenmal auf dem Tönsberg (NRW) für ein „Heldengedenken“(NW).
- Das „Compact“-Magazin trifft sich mit Leser_innen in Leipzig (Spiegel, ZEIT, Endstation rechts, mdr, Tag24, LVZ).
- 60 Vermummte ziehen unangemeldet durch Cottbus (Berliner Zeitung).
- Lindenau im Süden Brandenburgs wird Sitz des rechtsextrememen Versandhandels von Neonazi Sebastian Raack (RBB).
Artikel auf Belltower.News zum Thema im November:
Gewalteskalation: Identitäre in Halle greifen jetzt auch Polizisten an
Burschenschafter in der AfD und anderen rechten bis rechtsextremen Organisationen
Meerane - eine Kommune wehrt sich gegen rechten Hass
Rechtsaußen-Partei "Pro Deutschland" hat sich aufgelöst
Die Debatte um eine Dresdner Schülerin zeigt das wahre Gesicht der Neuen Rechten
Rechtsextreme Hooligans: Professionalisierung der Gewalt im Kampfsport