Wer beispielsweise Angela Merkel in der betrieblichen Kantine für den Untergang des Abendlandes verantwortlich macht oder offen auf der Weihnachtsfeier erzählt, dass man bei der vergangenen Bundestagswahl die AfD gewählt habe, müsse um seinen Job fürchten. Hundertfach am Tag würden „Patriot_innen“ in Deutschland wegen ihres rechten Weltbildes fristlos gekündigt. Das suggeriert zumindest das neueste Projekt der extrem rechten Crowdfunding-Kampagne von „Ein Prozent“. Ihre Gegenstrategie: das Eindringen in Gewerkschaftsstrukturen. Gleichgesinnte Arbeiter_innen sollen sich als Kandidat_innen zu Betriebsratswahlen aufstellen lassen.
Von Kira Ayyadi
„Ein Prozent“ hat sich vor allem durch „Mobilisierungen zu asylfeindlichen Veranstaltungen, Rekrutierungen weiterer Unterstützer, Diffamierung der Asylpolitik der Bundesregierung sowie Spendenaktionen für „geschädigte“ Teilnehmer rechter Demonstrationen hervorgetan“, heißt es als Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag. Nun will diese neurechte NGO, die inhaltlich und personell eng mit der AfD und der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ verknüpft ist, offenbar Einfluss auf das Gewerkschaftsmillieu gewinnen.
Vorgestellt wurde der neueste Versuch der Raumeinnahme auf der „Compact“-Konferenz am 25. November 2017. Oliver Hilburger stellte die neue Kampagne in Leipzig vor. Bis 2009 war Hilburger noch Mitglied bei „Noie Werte“, einer der bekanntesten und einflussreichsten deutschen Rechtsrockbands. Zwei Lieder der rechtsextremen Band dienten dem Bekennervideo des terroristischen NSU-Trios als Hintergrundmusik. Hildburger wurde in diesem Jahr vom NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg als Zeuge vernommen.
Zudem war Hilburger Mitgründer des rechtsextremen Plattenlabels G.B.F.-Records, welches in den 90er Jahren erheblich dazu beigetragen hat, dass sich das mittlerweile in Deutschland verbotene international agierende Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“ in der Bundesrepublik etablieren konnte. Hilburger tut das alles als „Jugendsünden” ab.
Die rechte Gewerkschaft „Zentrum Automobil e. V.“
Kurz nach seinem Ausstieg aus der Band gründete Hilburger 2009 die Betriebsratsliste „Zentrum Automobil e. V.“ und kandidierte bei den Betriebsratswahlen 2010. Bis heute ist Hilburger gewählter Betriebsrat bei Daimler in Stuttgart und Vorsitzender für das „Zentrum Automobil e.V.“, dem Vorbild und Kooperationspartner der „Ein Prozent“-Initiative.
Unterstützt durch “Compact”
Unterstützung erfährt die neurechte Kampagne auch vom „Compact Magazin“ um Jürgen Elsässer. In einem Online-Beitrag schrieb er Anfang Oktober: „Vor allem in der Automobilbranche gärt es, hier fährt das grünversiffte Establishment über die Diesel-Lüge einen zusätzlichen Frontalangriff, eine Million Jobs sind bedroht. Bei Daimler-Benz haben oppositionelle Betriebsräte, die zum Teil die AfD unterstützen, zehn Prozent der Belegschaft hinter sich gebracht. Dieser Funke soll nun auch auf andere Großbetriebe überspringen.“
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Deutsche Gewerkschaften waren im Kern stets dezidiert antifaschistisch
Deutsche Gewerkschaften standen nach dem Zweiten Weltkrieg stets an vorderster Stelle bei der Auseinandersetzung mit dem historischen Faschismus und dem zeitgenössischen Rechtsextremismus. Rechtsextremismus wird daher vielfach als etwas angesehen, gegen das die Gewerkschaften immun sind. Dass dieses antifaschistische Grundgerüst deutscher Gewerkschaften nicht so stabil ist, wie viele meinen, legt jedoch Richard Stöss in einer aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema „Gewerkschaften und Rechtsextremismus in Europa“ nahe.
Rechtes Gedankengut bei Gewerkschaftsmitgliedern
Eine extrem rechte Gewerkschaft könne laut dieser Studie durchaus ein gefährliches Mobilisierungspotential entwickeln. Denn Rechtsextremismus könne Modernisierungsverlierer_innen den völkische-homogenen Nationalstaat als Gegenentwurf zu den unerwünschten Begleiterscheinungen der Globalisierung schmackhaft machen. „Durch die Kritik an der Globalisierung verbindet sich die nationalistische und die völkische Komponente des Rechtsextremismus nahtlos mit der sich immer dringlicher stellenden „sozialen Frage“. Die in diesem Kontext geäußerte Kapitalismuskritik bezieht sich vor allem auf das Finanzkapital, das – angeblich in jüdischer Hand […]– die Weltherrschaft anstrebt.“
Nach der letzten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, aus dem November 2016 zeigt sich, dass in einigen Bereichen menschenfeindlichen Denkens die Zustimmung unter Gewerkschaftsmitgliedern sogar höher wäre, als unter Menschen, die keiner Gewerkschaft angehören (S.65).
Das Wahlverhalten der Gewerkschaftsmitglieder entsprach immer in etwa dem Bevölkerungsdurchschnitt. Wenn allerdings nur die Arbeiter unter den Gewerkschaftsmitgliedern betrachtet werden, dann fällt laut der Studie auf, dass in jüngster Vergangenheit deutlich überdurchschnittliche Sympathien für die AfD erkennbar wären.
Rechter Aufruf: „Werde Betriebsrat“
Vom 1. März bis zum 31. Mai 2018 finden bundesweit Betriebsratswahlen statt. Jeder, der seit mindestens sechs Monaten in einem Betrieb arbeitet, kann kandidieren - Zeit spielt hier also eine entscheidende Rolle. Der nun massive Aufruf von „Ein Prozent“ und extrem rechten Akteur_innen sich als Betriebsrat oder Betriebsrätin aufstellen zu lassen, könnte also durchaus auf fruchtbaren Boden fallen.
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Inhaltlich nichts zu bieten als Rassismus
Klaudia Tietze von „Gelbe Hand- mach meinen Kumpel nicht an“ einem Verein des gewerkschaftlichen Engagements gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus sagte gegenüber Belltower.News, dass Betriebsräte momentan zum Thema sensibilisiert werden. „Sie werden darauf vorbereitet, dass es in Zukunft vermehrt zu rechten Betriebsratslisten kommen kann. Inhaltlich hat dieser rechte Vorstoß aber nichts anzubieten außer Spaltung der Belegschaft.“
Politische Einstellung eines Arbeitnehmers als Kündigungsgrund?
Ausformuliertes Ziel der rechten Kampagne ist es „das Kartell der Gesinnungswächter“ zu entmachten und „andere Partrioten zu schützen“.
Doch können Betriebe ihren Arbeiter_innen wegen ihrer politischen Meinung kündigen, wie es uns die „Ein Prozent“-Kampagne glauben machen will? Wie bei vielen juristischen Fragen käme es jedoch auf den Einzelfall an, erläutert der Berliner Rechtsanwalt Jan Mönikes gegenüber Belltower.News: „Dass ein Arbeitgeber einem Arbeiter oder Angestellten kündigt, nur weil dieser AfD-Politiker ist oder zu Pegida geht, wäre vor Gericht regelmäßig gar nicht durchzusetzen. Nur wenn der Betreffende seine politische Meinung aggressiv in den Betrieb hinein trägt und damit den innerbetrieblichen Frieden stört, könnte dies einen Grund für eine Kündigung liefern, die auch vor Gericht Bestand hat.“
„Patrioten schützen Patrioten“ oder eher Nazis schützen Nazis?
Das Motivationsvideo zur neuen rechten Kampagne will dennoch glauben machen, dass solche Kündigungen hundertfach am Tag in Deutschland ausgesprochen werden. Zwar verfügt die Arbeitsgerichtsbarkeit über keine Informationen, wie viele Kündigungen ausgesprochen werden, da nicht gegen jede Kündigung juristisch vorgegangen wird. „Ob eine Kündigung aufgrund "politischer Einstellungen" erfolgt, wird nicht statistisch erfasst “. Allerdings gab es auf eine Anfrage von Belltower.News laut der Pressestelle des Arbeitsgerichts in Berlin im Jahr 2017 lediglich ein Verfahren, das einen solchen Hintergrund haben könnte. Im September wurde eine Kündigung verhandelt, in der ein Mitarbeiter des Reinickendorfer Bezirksamt während seiner Arbeitszeit die Originalausgabe von Hitlers mein Kampf gelesen hatte. Dieses Klientel möchte die neuste Kampagne von „Ein Prozent“ also offensichtlich schützen.
-- Am 25. Mai 2018 tritt die Datenschutzgrundverordnung (DSVGO) in Kraft. Die Rechtslage für Fotos ist unklar. Bis sich daran etwas ändert, machen wir Personen, die auf Fotos zu sehen sind, unkenntlich. --