Neonazis rufen zum „Gedenkmarsch“ in Bad Nenndorf auf – ein breites Bündnis hält dagegen

Seit 2006 mobilisiert die Neonaziszene jährliche zum 1. August bundesweit für einen „Gedenkmarsch“ im niedersächsischen Bad Nenndorf. „Getrauert“ werden soll um Kräfte des NS-Regimes, die von 1945-1947 von britischen Alliierten im Wincklerbad gefoltert wurden, das als Verhörlager und Militärgefängnis diente. Seit 2006 marschieren jährlich mehr Neonazis durch den niedersächsischen Ort. Doch auch der Protest von zivilgesellschaftlicher Seite wächst jetzt.

Von Bea Marer

Mit solch einer weitreichend nachhaltigen Wirkung hatte Reporter Ian Cobain sicher im Leben nicht gerechnet, als er im Dezember 2005 in der britischen Zeitung „The Guardian“ rekapitulierte, welche Verhörmethoden der britische Auslandsgeheimdienst im Internierungslager Bad Nenndorf von 1945 bis 1947 anwandte. Die Gefangenen, die zum Teil aus den höchsten Kreisen des NS-Regimes kamen, wurden gefoltert – historische Tatsachen, die in Großbritannien öffentlich von Parlament und Gerichten bearbeitet wurden.

Der örtlichen Neonaziszene gab der Bericht allerdings besonders zu denken. Denn deutsche Rechtsextreme suchen gern Anlässe, um der Geschichtsverdrehung freien Lauf zu lassen und Kriegsopfern auf deutscher Seite zu „gedenken“, um Täter-Opfer-Verhältnisse umzudrehen und das Handeln der Alliierten in eine völlig unverhältnismäßige Relation zum Handeln des NS-Regimes zu setzen. Der Bericht des „Guardian“ kamen wie gerufen, um ein jährliches Szene-Event zu entwerfen, wie es die erlebnisorientierte Naziszene schätzt.

Seit 2006 findet so jeden 1. August ein „Gedenkmarsch“ durch das niedersächsische Bad Nenndorf statt, für den bundesweit und mittlerweile sogar international mobilisiert wird. Mit Erfolg: Es kommen jedes Jahr mehr Neonazis in den niedersächsischen Ort. Allerdings gibt es Menschen, die schon seit Jahren mühsam Protest organisieren. Das Bündnis „NS-Verherrlichung stoppen“ ruft jetzt zum vierten Mal im Landkreis Schaumburg zur Gegendemonstration auf. Für das Bündnis erzählt Lena*, wie sich das Engagement gegen die Nazis entwickelt hat.

Der „Gedenkaufmarsch“ am 1. August gehört mittlerweile zu den wichtigen Daten im Terminkalender der rechtsextremen Szene. 2008 waren rund 400 Nazis auf der Straße und nur etwa halb so viele Gegendemonstranten. Wie erklären Sie sich das?

Da spielt vieles zusammen. Zum einen liegt es an unseren begrenzten Kapazitäten bei der Mobilisierung, zum anderen hat die Mehrzahl der Bürger Bad Nenndorfs lange lieber weggesehen. Auch aus der nächstgrößeren Stadt Hannover gab es bisher keine Unterstützung.

Da zieht ein großer Neonaziaufmarsch nun schon im vierten Jahr durch den Ort und die Bürger haben das Problem so lange nicht sehen wollen?

Nicht nur das. Die Nazis hier in der Gegend sind das ganze Jahr aktiv und gewalttätig. Gruppierungen wie die „Freien Kräfte Gütersloh“ suchen sich gezielt Einzelpersonen heraus, um sie einzuschüchtern. Aber da Bad Nenndorf ein Kurort ist, wollten viele Menschen hier keine groß angelegten Demonstrationen mitten in der Hochsaison haben – weder rechtsextreme, noch Gegendemonstrationen. Sie hatten Bedenken, die Besucherzahlen würden zurückgehen, wenn zu viel Wirbel in der Stadt ist.

Dieses Jahr konnte zum ersten Mal ein gemeinsamer Aufruf mit dem Bürgerbündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ erreicht werden. Die Bürger haben die Augen also geöffnet?

Nachdem 2008 weniger Gegendemonstranten als Nazis da waren, haben die Bad Nenndorfer Bürger doch eingesehen, dass das so nicht weitergehen kann. Das Problem verschwindet nicht, nur weil man wegschaut. Diesmal gibt es eine Kooperation mit dem Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“.

Wie sehen die Prognosen für dieses Jahr aus?

Wir rechnen mit rund 800 Nazis aus dem gesamten nördlichen Raum Deutschlands und aus den Niederlanden. Angeblich sollen sogar welche aus Schweden und Dänemark anreisen.

Und auf Seite der Gegendemonstranten?

Aus dem Bündnis „NS-Verherrlichung stoppen“ kommen um die 300 Menschen. 500 weitere aus dem Umkreis Schaumburg, dazu die Leute aus dem Bürgerbündnis. Wir rechnen also mit mindestens 800 Demonstrantinnen und Demonstranten.

Das klingt besser als letztes Jahr. Aber ein geschichtsrevisionistischer, relativierender Nazi-„Gedenkmarsch“ – geht da nicht mehr Protest?

Wir haben Flyer verteilen, Plakate, Infoveranstaltungen, Broschüren gemacht und damit auch Unterstützer aus Göttingen und Bremen gewinnen können. Allerdings ist viel Überzeugungsarbeit zu leisten, wie wichtig der Aufmarsch inzwischen für die Neonazis ist. Selbst in den eigenen Reihen gibt es da manchmal wenig Verstärkung, weil die Ressourcen knapp sind.

Dafür haben Sie in diesem Jahr Unterstützung vom DGB.

Die ist auch eine große Erleichterung, da der uns bei der Infrastruktur geholfen hat, zum Beispiel mit Lautsprecherwagen.

Wie geht die Polizei an den 1. August heran?

In den letzen Jahren kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen. 2007 wurden die Gegendemonstranten regelrecht niedergetrampelt. 2008 durften wir die Route nicht wie geplant zu Ende laufen, weil die Polizei sagte, sie könnten unsere Sicherheit vor den Nazis nicht gewährleisten – trotz eines großen Aufgebotes an Polizei und Wasserwerfern. Dieses Jahr sollen die Einsatzkräfte von 1000 auf 2000 aufgestockt werden. Damit kann hoffentlich gewährleistet werden, dass alle Gegendemonstranten ihre Meinung kundtun können.

Protestaktionen
gegen den Neonazi-Aufmarsch in Bad Nenndorf gibt es am 31.07. ab 17:30 Uhr und am 01.08.2009 ganztägig.

Das Programm und einen Spot, in dem Fußballbundesligist „Hannover 96“ zum Protest aufruft, gibt es hier

www.bad-nenndorf-ist-bunt.com

und hier

| badnenndorf.blogsport.de/demo

Hintergrund:

| www.mut-gegen-rechte-gewalt.de

| The Guardian

*Name von der Redaktion geändert

drucken