Neonazis im Netz 2.0

"88schnitte" stellt Videos ins Netz, "Heimattreu" und "Keltenkreuz88" treffen sich im Clan "Deutsches Reich" und "Major Koenig zum Zweiten" gibt als Interessen an: "Bei vz immer wieder neu anmelden". Neonazis gibt es in allen sozialen Netzwerken. Die Frage ist: Welche Auswirkungen hat das? Und was tun die nicht-rechten Nutzerinnen und Nutzer - und die Netzwerke?

Von Simone Rafael

„88schnitte“ hat einen Kanal bei Youtube, in dem sie fleißig Videos postet, die aus Materialien „Autonomer Nationalisten“ zusammengestellt sind: „Liebe Zicke als Zecke“ heißte es da und mutet fast possierlich an – wäre neben der gezeigten Blondine nicht noch ein Piktogramm: Das eine Strichmännchen schlägt dem anderen Strichmännchen den mit einem Irokesenschnitt versehenen Kopf vom Körper. Auf KWICK! treffen sich im Clan „Deutsches Reich“ User mit Nicknames wie „Foierfrei“, „Duce“, „Heimattreu“ und „Keltenkreuz88“, um „Sleipnir“- und „Nordfront“-Videos zu sehen. NPD-Kader Jürgen Gansel treibt sich auf StudiVZ nicht nur in homophoben und Anti-EU-Gruppen herum, sondern mischt sich auch unter die Fans von Depeche Mode und Caspar David Friedrich. In der Facebook-Gruppe von Belltower.news posten Republikaner-Anhänger rechtsgerichtete Kommentare, um nicht-rechte Fans der Seite zur argumentativen Weißglut zu treiben.

Facetten von Hass

Neonazis im Web 2.0 haben viele Gesichter – eins ist allen gemeinsam: Ihr Inhalt ist Hass, Rassismus, Antisemitismus, Menschenverachtung und Demokratiefeindlichkeit. Unterschiedlich ist nur, wie deutlich diese Inhalte zu Tage treten. Das Spektrum reicht von Beiträgen, die nicht-rechts wirken sollen, um zunächst Querfronten zu ermöglichen, über solche, die genau auf in der Grauzone zwischen gerade noch tolerabler Meinungsäußerung und abwertender Hetze liegen, bis zu massiven Gewaltaufrufen, NS-Verherrlichung oder Volksverhetzung. Unterschiedlich schwierig ist so auch der Umgang mit solchen Inhalten: Während strafrechtlich Verfolgbares in keinem sozialen Netzwerk die Chance hat, lange online zu stehen, wird alles andere zur Gewissensfrage: Darf jemand, der Mitglied in einer rechtsextremen Organisation ist, bei uns mitdiskutieren? Wie lang ist jemand tolerabel, der rassistische Thesen vertritt, aber sich dabei geschickt auf Personen des öffentlichen Lebens wie aktuell etwa Thilo Sarrazin beruft? Und laut nach fehlender Meinungsfreiheit oder fehlendem Demokratieverständnis ruft, sobald ein Beitrag gelöscht wird?

Über den Umgang muss demokratisch debattiert werden

Das Internet ist ein pluralistisches Medium. Rechtsextreme Webseiten grundsätzlich zu verbieten würde die demokratische Funktionalität des Internet mehr einschränken, als dadurch gewonnen wäre – so ist eine Einzelfallprüfung gefährdender Seiten die beste Lösung. Soziale Netzwerke allerdings sind nicht „das Internet“. Sie sind Unternehmen, die eine gesellschaftliche Verantwortung haben und Regeln setzen können, um ihre Nutzerinnen und Nutzer zu schützen. Viele der sozialen Netzwerke in Deutschland haben deshalb Grundsätze in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen verankert, die über das Strafrecht hinausgehen und etwa Diskriminierung, Rassismus und Gewaltaufrufe grundlegend untersagen.

Allerdings bleibt die Frage der Umsetzung und der Umsetzbarkeit. Um etwa gegen User vorzugehen, die mit rechtsextremen Codes operieren oder Verschwörungstheorien mit antisemitischer Argumentation verbreiten, müssen diese erst einmal erkannt werden. Nicht alle Netzwerke haben Spezialisten und Spezialistinnen, die sich dem gewachsen fühlen. Auch die pure Datenmasse ist ein Problem. Auf Youtube wird in jeder Minute Videomaterial von 24 Stunden Laufzeit hochgeladen; auf SchülerVZ posten 5,5 Millionen Nutzer viele Millionen Beiträge am Tag. Diese Mengen kann kein Unternehmen kontrollieren; Filtersoftware, die zum Einsatz kommt, kann oft mit wenigen Veränderungen umgangen werden. Und reicht das nicht, nennen sich Neonazis politisch eben nicht mehr „nationalsozialistisch“, sondern „kronroyal“. Nicht zuletzt sind alle sozialen Netzwerke voll mit Gruppen wie „Die Gelöschten kehren wieder“ oder Usern, deren Nicknames wie „Major König zum zweiten“ schon ansagen, dass sie bereits gelöscht wurden. Wer eine Mission zu verbreiten hat – und viele Neonazis denken, dass sie das haben – zeigt oft zermürbende Penetranz.

Warum überhaupt etwas tun?

Angesichts dieser Schwierigkeiten könnte man fragen: Warum überhaupt etwas gegen Rechtsextreme in sozialen Netzwerken tun? Das hat inhaltliche und praktische Komponenten. Neonazis verfolgen – online wie offline – eine Wortergreifungsstrategie: Sie versuchen, Themen zu setzen, Diskussionen in eine gewünschte Richtung zu lenken, Dominanz zu erringen. Im Internet gelingt ihnen das mehr als im wirklichen Leben. Immer wieder schalten etwa Tageszeitungen ihre Kommentarfunktionen zu Artikeln zum Thema ab, weil sie mit der Flut von Beiträgen voller gezielter Fehlinformationen, Dramatisierungen, Beschimpfungen und populistischer Stimmungsmache nicht mehr klarkommen – und sich die demokratischen Leserinnen und Leser, die Gegenstimmen bieten könnten, irgendwann entnervt zurückziehen.

Weil Hass wirkt

Bleiben aber rassistische Themen oder antisemitische Stereotype unwidersprochen stehen, setzten sie sich in vielen Köpfen fest, erscheinen sagbarer und werden weniger hinterfragt – eine Normalisierung setzt ein. Schließlich treffen solche Thesen auf eine Gesellschaft, die selbst nicht frei von abwertenden Vorurteilen ist.

Die Medienwirkungsforschung zeigt, dass Medien nicht in der Lage sind, Einstellungen komplett zu verändern. Allerdings verstärken sie latente bestehende Einstellungen. Sprich: Der Antirassist wird durch das Lesen rassistischer Postings nicht zum Rassisten – aber derjenige, der selbst rassistische Thesen im Hinterkopf hat, wird in ihnen bestärkt. Dazu kommt der Vernetzungseffekt des Internet: Die Hemmschwelle der Kontaktaufnahme sinkt – gerade, wenn rechtsextreme Inhalte in sozialen Netzwerken in unverfänglichem Umfeld zwischen Familienfoto und Lieblingsfernsehserie platziert werden. Und wer in einer neonazistischen Gruppe landet, hat von dort per Verlinkung problemlosen Zugang zu Propagandamaterialien, Videos, Demonstrationseinladungen und Versandhandeln aller rechtsextremer Art.

Um Neonazis ihre Feier zu verderben

Wer Neonazismus in sozialen Netzwerken betrachtet, merkt aber schnell auch, wie wichtig diese Vernetzung und Selbstpräsentation auch innerhalb der gefestigten Neonazi-Szene ist. Das zeigen allein die unzähligen plattesten Nazi-Nicknames („NSDAP88“, „Adolfh“ usw.) wie aus dem Sprachcodes-Lehrbuch, die eine Sperrung schon in der Anlage beinhalten, aber zur Repräsentation der eigenen Gesinnung wohl sein müssen. Die eigene Weltanschauung wird als rechtsextreme Erlebniswelt präsentiert und gefeiert; wichtiger als die Informationsvermittlung scheint, dass hier Fanatismus und Aggressivität exzessiv ausgelebt oder zumindest angedroht werden – auch, weil das in der Anonymität des Internet noch leichter fällt als im wirklichen Leben.

Um nicht-rechte Userinnen und User zu schützen und zu stärken

Das hat auch Auswirkungen auf nicht-rechte Userinnen und User: Sie fühlen sich, wo viele Neonazis unterwegs sind, genervt. Schlimmstenfalls werden sie sogar eingeschüchtert und bedroht. Und das kann für eine demokratische Gesellschaft nicht hinnehmbar sein: Auch im Internet enden die Rechte des einen dort, wo sie die Rechte eines anderen verletzen. Dies ist auch die Antwort auf die Diskutanten, die vermeintlich mangelnde Meinungsfreiheit sehen, wenn homophobe, rassistische oder holocaustleugnende Thesen gelöscht werden.

Was tun?

Damit eine Demokratie funktioniert, braucht sie Bürgerinnen und Bürger, die sich für sie einsetzen – das ist im Internet nicht anders als im wirklichen Leben. Sie braucht Internet-Unternehmen, die die Menschenrechte als Grundlage ihrer Arbeit sehen, und auch konsequent umsetzen, das Rassismus und Verhetzung in ihrem Einflussbereich keine Chance haben: Die Löschung rechtsextremer Inhalte zeigt Konsequenz, entmutigt auf Dauer eben doch und führt so dazu, dass Neonazis (hier) weniger aktiv sind. So schrieb etwa Frank Franz, NPD Saarland, auf seinem StudiVZ-Profil (bevor es gelöscht wurde): "Mal sehen, wie lange ich hier bleiben darf. Bei wkw dauert meine Mitgliedschaft nie länger als einen Tag. Facebook hat mich auch schon wieder gelöscht. Ohne Angaben von Gründen."

Für die demokratische Mehrheit aktiv werden

Zugleich braucht es aber auch aufmerksame Userinnen und User, denn Neonazis müssen auch inhaltlichen Gegenwind bekommen. Wenn ihre Hetze isoliert wird, sind sie genervt, manchmal auch irritiert und verunsichert - und Raum für demokratische Diskussionen ist gewonnen. Aus denen grenzen sich Rechtsextreme selbst aus: Denn es geht ihnen nicht um einen gleichberechtigten Austausch von Argumenten. Sie agitieren, um Räume für ihre Positionen zu erobern. Ihnen genau dieses streitig zu machen ist nicht nur legitim, sondern überaus wichtig. Es ist erfreulich zu sehen, dass dies immer mehr Menschen als ihre Aufgabe sehen, um sich die geschätzten Freiheiten des Web 2.0 nicht verderben zu lassen.

Soziale Netzwerke gegen Nazis

Um nicht-rechte Nutzerinnen und Nutzer zu stärken und ihnen klar zu machen, dass die Betreiber sozialer Netzwerke auf ihrer Seite stehen, hat Belltower.news die Kampagne „Soziale Netzwerke gegen Nazis“ ins Leben gerufen. Zwanzig in Deutschland aktive soziale Netzwerke beteiligen sich, klären ihre Nutzerinnen und Nutzer auf und ermuntern sie, gegen Neonazis aktiv zu werden. Das ist ein erster Schritt, um gemeinsam zu überlegen, welche kreativen Möglichkeiten das Web 2.0 noch bieten kann, um Rassismus, Antisemitismus, Homophobie oder Sexismus entgegen zu treten.

Mehr Informationen zur Kampagne und zum Thema „Neonazis 2.0“ gibt es auf

| www.soziale-netzwerke-gegen-nazis.de

Unterstützen Sie die Kampagne auf Ihrem Profil »

Während der Kampagnenwoche (11. bis 17. Oktober) gibt es jeden Tag auf Belltower.news einen Artikel, der einen Aspekt des Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus in Sozialen Netzwerken redaktionell betrachtet.

Mehr auf netz-gegen-nazis.de.

| Alles zum Thema "Neonazis in Sozialen Netzwerken"

drucken