Flickr / University of Michigan School for Environment and Sustainability / CC BY 2.0

Mittels DNA-Analyse zur “Biogeografischen Herkunft“ - Rückkehr der “Rassenklassifizierung”?

Wenn die Polizei bei DNA-Analysen Merkmale wie Hautfarbe und Augenfarbe erheben darf, drohen heikle Folgen, die besonders Minderheiten diskriminieren.

 

Von Kira Ayyadi

 

Aus biologischem Fundmaterial an Tatorten dürfen Forensiker_innen in Deutschland bisher nur das Geschlecht einer Person ableiten, von der es stammte, und eine Art genetischen Fingerabdruck bestimmen. Im aktuellen Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD auf eine Ausweitung der DNA-Analyse verständigt. Die Polizei soll künftig Gendaten stärker als bisher auswerten dürfen. In Strafverfahren sollen DNA-Analysen auf Alter und äußere Merkmale wie Haar-, Augen- und Hautfarbe erweitert werden.  

Vorbild ist das neue bayerische Polizeigesetz, das die Untersuchung von DNA-Material auf äußere Merkmale und auf die sogenannte „biogeografische Herkunft“ der Tatverdächtigen erlaubt. Damit kann die Polizei in Zukunft etwa „Afrikaner“ zur Fahndung ausschreiben. Aus Sicht von Expert_innen ist das aber reine Stimmungsmache: Denn die durch die DNA bestimmte Herkunft lässt sich bestenfalls auf Kontinente eingrenzen und erlaubt kaum Rückschlüsse auf das Aussehen.

 

Was ist das Problem an der Erweiterung der DNA-Analyse?

Ergibt die DNA-Analyse häufig in der Gesellschaft vorkommende Merkmale, etwa blonde Haare, blaue Augen und europäische Abstammung, ist das Ergebnis für die Fahnder_innen weitgehend wertlos. Nur ein von der Mehrheitsbevölkerung abweichendes Ergebnis ist für die Fahnder_innen von Bedeutung – und hier steckt auch der Kern des Problems. Die Bestimmung der „biogeografischen Herkunft“ richtet sich ausschließlich gegen Minderheiten. Wenn nach einer DNA-Analyse zu einem Kriminalfall der Verdacht auf eine Person fällt, die beispielsweise zu 80 Prozent braunhaarig ist und zu 90 Prozent dunkle Augen hat, wird dies Rassismus und Vorurteile schüren.  

Der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma warnt daher vor rassistischem Vorgehen der Polizei: „Fahndungen nach Personen einer bestimmten „Herkunft“ oder Hautfarbe führen zu Pauschalverdächtigungen. Davon sind zwangsläufig nichtweiße Personen betroffen“, so Anja Reuss vom Zentralrat.

 

Die zugrundeliegende Referenzdatenbank spiegelt unsere Gesellschaft nicht wieder

Die von den Forensiker_innen verwendeten Referenzdatenbanken von vermeintlich „reinen Bevölkerungsgruppen“ entspeche nicht unserer Einwanderungsgesellschaft. Die zugrundeliegende Datenbank könne die Komplexität von Migration, multiethnischen Gesellschaften und Sexualbeziehungen zwischen Menschen mit unterschiedlicher Herkunft nicht adäquat widerzuspiegeln, bemängelt etwa ein Gutachten des „Netzwerks Datenschutzexpertise“.

Das Gutachten weist darauf hin, dass bei den meisten Menschen selbst so einfache Eigenschaften wie die Augen-, Haar- oder Hautfarbe genetisch komplexer angelegt seien. Deshalb seien sie derzeit nur mit einer erheblich geringeren Wahrscheinlichkeit bestimmbar, insbesondere wenn es sich um vermischte Farben handele. Hohe Vorhersagewahrscheinlichkeiten gebe es nur bei in Deutschland selten vertretenen Merkmalen wie etwa einer dunklen Hautfarbe, womit ein hohes Diskriminierungsrisiko auf diese Personengruppen entstehe.

 

“Biogeografische Herkunft“

Auslöser für die aktuelle Debatte um erweiterte DNA-Analysen war der brutale Sexualmord an Maria L. 2016 in Freiburg. Auch wenn der Täter letztendlich mit konventioneller Polizeiarbeit ermittelt und verhaftet werden konnte, entzündete sich an dem Fall eine rassistische Kampagne: Rechtsextreme und rechtspopulistische Blogger_innen, aber auch demokratisch gewählte Politiker_innen, sowie lokale und überregionale Medien nutzten den Fall, um erweiterte DNA-Analysen zu fordern. Dass der Täter ein afghanischer Geflüchteter war, spielte für die politische und mediale Auseinandersetzung eine wesentliche Rolle.

Bayern pochte im Zuge dieser Debatte auf die Legalisierung der Analyse in Bezug auf die „biogeografische Herkunft“. Allerdings lassen sich Rückschlüsse über die „biogeographische Herkunft“ bestenfalls auf Kontinente eingrenzen und erlaubt kaum Rückschlüsse auf das Aussehen.

 

Bayerisches Polizeiaufgabengesetz als Vorbild

Im vorigen Jahr scheiterten dahingehende Initiativen der Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern im Bundesrat. Nun soll die Erweiterung im Bundestag verabschiedet werden. Als Vorbild für den Neuanlauf gilt der aktuelle Entwurf des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes, der noch einen Schritt weiter geht.

In Bayern will man nicht nur, wie bisher vorgesehen, erweiterte DNA- Analysen im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen einsetzen, sondern auch zum Zweck der Gefahrenabwehr. Welche Definition von Gefahr dem Zugrunde gelegt wird, welche Personen und Personenkreise als Gefahr eingestuft werden und wann die zuvor erwähnten Maßnahmen gerechtfertigt sind, bleibt unklar. Aber es drängt sich zweifellos der Verdacht auf, dass es hier um die Gefahr durch die „Anderen“ geht.

 

Im bisher einzigen Fall einer biogeografischen Herkunftsermittlung kam es zu massiver Diskriminierung

Die Bestimmung der „biogeographischen Herkunft“ mittels einer erweiterten DNA-Analyse wurde in Deutschland bisher erst in einem Fall angewandt: Und zwar bei den Ermittlungen um die vom rechtsextremen Terrortrio NSU ermordete Polizistin Michelle Kiesewetter. Nach dem Mord gerieten Sinti und Roma unter Generalverdacht, weil eine untersuchte DNA-Spur (über Amtshilfe in Österreich)  auf eine Frau osteuropäischer Herkunft deutete. Offiziell 800, womöglich aber über 3.000 Sinti und Roma mussten sich bei Reihenuntersuchungen einem Speicheltest unterziehen.

Später stellte sich heraus, dass die vermeintliche Tatort-DNA von der Mitarbeiterin einer Firma stammte, die jene Wattestäbchen herstellt, mit denen die Polizei-Forensiker Erbgut-Spuren aufsammeln. DNA-Spuren der tatsächlichen Mörder, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, wären für die Fahnder_innen weitestgehend wertlos gewesen. Ihre DNA-Daten, der eine blond, der andere blauäugig, entsprechen höchstwahrscheinlich denen der Mehrheitsgesellschaft und hätten den Ermittler_innen keine exklusiven Hinweise liefern können.  

 

Über die DNA-Analyse zum Racial Profiling

Dieses Beispiel zeigt nicht nur sehr eindrücklich auf, welch hohes Diskriminierungspotential in der Einführung dieses ermittlungstechnischen Verfahrens steckt. Es verdeutlicht auch, wie sich bereits erste und noch unbestätigte Ergebnisse einer erweiterten DNA-Analyse, die eigentlich allein zur schnelleren Aufklärung von Gewaltverbrechen dienen sollen, schnell instrumentalisieren lassen für rassistische Hetze und für Stigmatisierung von Minderheitengruppen, die in Deutschland ohnehin von Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen sind.

„Das Analyseverfahren wirkt nicht in einen luftleeren Raum, sondern seine Ergebnisse fallen auf eine Folie gesellschaftlicher Verhältnisse. Vorhandene Ressentiments und Rassismus würden dadurch bedient und rassistisch diskriminierte Bevölkerungsgruppen werden dadurch unter Generalverdacht gestellt“, so Anja Reuss.

 

Verschiebung der öffentlichen Wahrnehmung von Kriminalität

Gewaltverbrechen, die von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft begangen werden, sind hingegen beinahe nie Gegenstand der allabendlichen Talkshows und ziehen demnach auch keine Forderungen nach Gesetzesverschärfungen nach sich. Das führt allerdings zu einer Verschiebung der öffentlichen Wahrnehmung von Kriminalität und Gewalt. Dadurch, dass Gewaltverbrechen nur dann bundesweit von den Medien aufgegriffen werden, wenn es sich bei dem Täter oder der Täterin um jemand vermeintlich „nicht Deutschen“ handelt, bekommt die Öffentlichkeit den Eindruck, das „nicht Deutsche“ überproportional oft Täter_innen von Gewaltverbrechen sein. Damit werden zum einen irrationale Ängste der deutschen Bevölkerung bedient. Zum anderen werden rassistische und diskriminierende Positionen von Rechtspopulist_innen und Rechtsextremist_innnen salon- und mehrheitsfähig gemacht, die Migrant_innen und Minderheiten pauschal unter Generalverdacht stellen wollen.

 

Zurück zur „Rassenklassifizierung“?

Doch besonders Deutschland kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Verantwortung zuteil. Denn wir blicken auf eine Geschichte zurück, in der im NS-Regime Minderheiten rassistisch begutachtet, klassifiziert, registriert und letztendlich durch die Staatsorgane kriminalisiert wurden. Diese „Rassenklassifizierung“ bildete die Grundlage für die Deportation und Ermordung von Millionen Menschen. Damals wurden die rassistischen Praktiken zur Rassenbestimmung noch durch Schädel- und Gesichtsvermessung vorgenommen. Die nun angestrebte erweitere DNA-Analyse könnte die Praktiken neu aufleben lassen und legitimieren.

Wir brauchen jetzt eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema, in der die Perspektive von Minderheiten einbezogen wird, in der vorhandene Kritikpunkte ernst genommen werden und in der der Schutz vor Diskriminierung von Angehörigen von Minderheiten und marginalisierten Gruppen an erster Stelle steht.

 

Titelbild: FlickrUniversity of Michigan School for Environment and Sustainability / CC BY 2.0

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