Mit Terror und Antisemitismus für den Frieden?

Seit 27. Dezember 2008 führen die israelischen Streitkräfte die Militäroperation „Gegossenes Blei“ durch. Der Operation vorangegangen waren mehrere hundert Kassam-Raketen, die seit dem Ende des Waffenstillstandes am 18. Dezember vom Gaza-Streifen aus auf israelisches Gebiet abgefeuert wurden. Überall auf der Welt wird seither gegen Israel demonstriert. Auch in Berlin nahmen mehrere tausend Menschen in den vergangenen drei Wochen an antiisraelischen Demonstrationen teil. Der Autor sah sich einige davon an.

Von Florian Eisheuer

Dem Betrachter bietet sich derzeit regelmäßig ein skurriles Bild auf den Straßen Berlins: Pace-Fahnen in Regenbogenfarben flattern friedlich neben jenen der terroristischen Hamas; auf Pappkarton gemalte Friedenstauben werden Seite an Seite mit dem Konterfei des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah empor gereckt; den „Stoppt den Mord, stoppt den Krieg“-Rufen folgt ein sattes „Intifada bis zum Sieg!“. Es ist das Demo-Szenario in der Hauptstadt, das sich immer wieder bietet, wenn Israels Militär eine Operation durchführt.

Es geht nicht um Frieden, sondern um die Vernichtung Israels

Auch wenn es sich einige Zeitungen nicht nehmen lassen, die Veranstaltungen als „Friedensdemos“ zu bezeichnen: prinzipiell gegen Krieg und Gewalt sind die meisten hier scheinbar nicht. Das Fahnenmeer repräsentiert vielmehr das Who is Who der islamistischen Terrororganisationen: Hamas, Hizb ut-Tahrir, Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden, Hisbollah. Abgerundet wird das Ganze durch Embleme der rechtsextremen türkischen Partei „Graue Wölfe“.


Hamas-Sympathisanten auf einer Demonstration in Berlin, 10.1.2009

Dementsprechend militant und bedrohlich sehen die Demonstrationszüge aus – trotz der Vielzahl mitgeschleifter Kinder. Selbst diese sind mit Hamas- und Hisbollah-Accessoires ausstaffiert und werden auf den Lautsprecherwagen gehievt, um israelfeindliche Parolen in die Menge zu rufen. Hier scheint es nicht darum zu gehen, für Frieden im Nahen Osten zu demonstrieren. Die Motivation vieler Teilnehmenden ist es offenbar vielmehr, ihre Sympathien für jene auszudrücken, die sich nichts sehnlicher wünschen als die gewaltsame Auslöschung Israels.

An den Hälsen vieler Jugendlicher baumeln Anhänger in den Farben der palästinensischen Flagge und in der Form des ersehnten Groß-Palästina: der Gaza-Streifen, das Westjordanland – und Israel. Dass es um mehr geht, als die militärischen Auseinandersetzungen der letzten Wochen, illustriert auch ein Mann mit einem Schild in der Hand, auf dem „60 Jahre israelische Besatzung“ geschrieben steht. Nicht der Mangel an Frieden ist das Problem, sondern die schiere Existenz Israels, für das in dieser Vision kein Platz vorgesehen ist. Immer wieder wird „Tod, Tod Israel“ skandiert. Der Hass, den sie Israel vorwerfen, ist ihr eigener.


Fahnen der terroristischen Hizb ut-Tahrir in Berlin, 10.1.2009.

Offener Antisemitismus…

Antisemitismus zeigt sich auf diesen Veranstaltungen nicht nur indirekt, durch die Unterstützung antisemitischer Terrororganisationen wie beispielsweise der Hamas, die den Mord an Juden als Ziel in ihrem Programm, der Charta der Hamas, festgelegt hat. Am Rande der Demonstration am 10. Januar schreien Jugendliche den dort eingesetzten Polizisten – wohl als Beleidigung – „Scheiß Juden“ entgegen. Eine Mitarbeiterin von Babel TV, dem deutsch-jüdischen Fernsehen in Berlin, bekam Ende Dezember vor laufender Kamera zu hören: „Was wollen sie hier überhaupt? Gehen sie nach Israel!“. Einem Mann, der ebenfalls auf dem im Internet verfügbaren Video zu hören ist, reicht die verklausulierte Forderung „Juden raus“ wohl nicht. Er fordert: „Alle Juden muss tot“.

…nicht ganz so offener Antisemitismus…
Diese Vorfälle zeigen deutlich: das ist antisemitisch. Schwieriger wird es, wenn antisemitische Codes verwendet werden, die nicht (mehr) jedem hier geläufig sind. Um beispielsweise die Forderung „Blutgierige Terroristen raus aus Palästina“, die mit einem Blut triefenden Davidstern illustriert ist, richtig einordnen zu können, muss bereits etwas tiefer gegraben werden. Die so genannte „Ritualmordlegende“, das ist der Vorwurf, Juden töteten in grausamen Ritualen die Kinder Andersgläubiger, um deren Blut für die Herstellung von Matze-Brot zu verwenden, hat ihren Ursprung im 12. Jahrhundert und hatte sowohl antisemitische Prozesse als auch Pogrome zur Folge. In diesem Kontext kann auch die häufig zu hörende Parole „Kindermörder Israel“ nicht einfach nur als „emotional“ oder „übertrieben“ abgetan werden.


Demonstrationsteilnehmerin mit Schild, Berlin am 10.1.2009

… und Geschichtsrelativierung

Die Schoah relativierende Sätze wie „Stopp deinen Holocaust, Israel“ und Vergleiche der Situation im Gaza-Streifen mit jener im Warschauer Ghetto lassen sich in leichten Variationen gleich mehrfach entdecken. Ein Demonstrant hält das Foto eines verwundeten Palästinensers in der Hand, neben das er einen leuchtend gelben, nationalsozialistischen „Judenstern“ geklebt hat. Die Aussage ist klar: Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben. Die Langzeitstudie der Universität Bielefeld zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bezeichnet exakt dies als „NS-vergleichende Israelkritik“.

Und diese Form des Antisemitismus ist natürlich eine Einladung an deutsche Geschichtsverdreher. „Der Holocaust ist kein deutsches Monopol. Bürger Deutschlands, befreit euch vom Schuldkomplex“ wird es auf einem anderen Schild all jenen erklärt, die die Implikationen solcher Sprüche sonst immer noch nicht kapiert hätten. Je brauner Israel angestrichen wird, desto weißer erscheint die Weste Deutschlands. Die moralische Entnazifizierung Deutschlands folgt auf die Nazifizierung des jüdischen Staates. Und jeder, so läuft die Assoziationskette weiter, der sich nicht mit ganzem Hass den neuen Nazis entgegenstellt, ist ebenso schlimm wie jene, die damals einfach weggesehen haben. Die Vernichtung Israels wird so indirekt zur moralischen Pflicht erhoben.

Die Funktion, die diese Form der Agitation erfüllt, nämlich in Deutschland als Entlastungsantisemitismus zu fungieren, wird auch im Text auf einem anderem Schild derselben Machart deutlich: „Die Opfer von gestern sind die Täter von heute“. Hier wird nicht mal mehr versucht, die Fassade aufrecht zu halten, man meine eigentlich nur die Israelis (oder die Zionisten). Es ist ganz klar: hier wird von den Opfern von Auschwitz und Majdanek, Sobibor und Treblinka gesprochen, und somit die an den Kriegshandlungen beteiligten Israelis in erster Linie als Juden, und nicht etwa als israelische Soldaten, wahrgenommen.

„Deutschland erwache!“

Die Geschichtsklitterung und –verharmlosung ist perfekt. Ein weiterer Demonstrant, der wohl befürchtet, dass noch nicht alle hier das Potenzial solcher Formeln durschaut haben, empfiehlt in Form eines bekannten NS-Schlachtrufs: „Deutschland erwache!“.

Weiterführende Links

| EUMC-Arbeitsdefinition Antisemitismus

| Babel TV (Im Menü unter „Wählen sie eine Sendung aus“ die Aufzeichnung vom 4.1. anklicken. Die im Artikel erwähnten Vorgänge sind ab ca. 19:00 zu sehen)

| Video Dokumentation der Demo am 3.1.2009 auf YouTube

| Antisemitismus in Deutschland. Kurzbericht des GMF-Survey 2005/1

Alle Fotos von Florian Eisheuer

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