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Köln: "Links sitzender Judas, Schmarotzer und Verräter"

In Köln demonstrierte am 18.8.2018 eine bizarre Mischung aus 120 Verschwörungstheoretiker*innen, Neonazis und „Wutbürger*innen“ hinter dem Bahnhof sowie im anliegenden Kunibertsviertel. Aufgerufen hatten diverse Kleinstgruppen, Hauptanmelder waren die selbsternannten, Anfang 2018 gegründeten „Patrioten NRW“. Sie sind eine Mischung aus Hooligans, „besorgten Müttern“ und Verschwörungsgläubigen. Bereits im Vorfeld hatte die Ankündigung dieser sehr rechten Kundgebung in der Kölner Tagespresse große Besorgnis ausgelöst. Im Kunibertsviertel hatten sich zahlreiche Anwohner auf eine passende Begrüßung der rassistischen Gruppierungen vorbereitet.

Von Jennifer Marken

Auch die vom Verfassungsschutz beobachteten „Identitären“ hatten zur Kundgebung aufgerufen, machten sich währenddessen jedoch nicht als Gruppe bemerkbar. Offenbar sind sie doch eher eine mediale Luftnummer als eine real arbeitende sehr rechte Gruppierung. Auch Thomas Matzke, der sich als „Gruppe“ nun den Namen Abakus-News gegeben hat, gehörte zu den Einladenden: Er war AfD-Vorsitzender des Rhein-Sieg Kreises und wurde von der AfD als Bundestagskandidat aufgestellt. Er gehörte innerhalb der AfD der „patriotischen Plattform“ an und stilisierte sich als ausgeprägter Höcke-Anhänger. Nach internen Kämpfen wurden ihm finanzielle Unregelmäßigkeiten („Sparschweinaffäre“) vorgeworfen, schließlich wurde er im Oktober 2017 aus der Partei ausgeschlossen. Per Twitter hatte er kürzlich zu einer Haverbeck-Solidaritätskundgebung im November 2018 aufgerufen. In Köln filmte er fortgesetzt Gegendemonstranten ab.

"Meinungsfreiheit": Freiheit für Haverbeck

Kundgebungsmotto war „Für die Meinungsfreiheit“. Was sie hierunter verstehen, hatte bereits ein Redner auf der „Patrioten“-Kundgebung am 2.6.2018 in Solingen deutlich gemacht: Er forderte, im Einklang mit Neonazigruppen wie „Die Rechte“, unter Beifall die Freiheit für die in Haft sitzende Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck. Eine weitere zur Kundgebung aufrufende Gruppe, die „Eltern gegen Gewalt“, waren gleichfalls einschlägig aufgefallen: Eine der Administratorinnen dieser Gruppierung präsentiert in ihrem Profilbild nach Angaben des „Westens“ einen Banner der rechtsextremen Hooligan-Band „Kategorie C“.

"Genozid am deutschen Volk"

Die Reden in Köln waren durchgehend dilettantisch, extrem rassistisch und nationalistisch; es wurden mehrfach alle demokratischen politischen Parteien sowie die Gegendemonstrant*innen in vulgärster Weise beschimpft. Inwiefern die Demoteilnehmer*innen sich hierbei über „eingeschränkte Meinungsfreiheit“ beschweren konnten bleibt ein Rätsel. Kanzlerin Merkel, NRW-Ministerpräsident Laschet und die Grünen wurden immer wieder als „Volksverräter“ und „Deutschlandzerstörer“ bezeichnet. Man schwadronierte in Nazidiktionen von „Dekadenz, Dummheit und Selbstzerstörung“, mehrere Redner sprachen von „den Systemparteien“, von täglicher „Gewalt gegen Deutsche“ durch Migrant*innen. In wahnhaft-antidemokratischer Weise wurde über die „Denkdiktatur“ geklagt, über den „Genozid am deutschen Volk“, über „illegale Waffenlieferungen an Israel“ und über die „Asylindustrie“. Die Herrschenden würden „den Islamisten die Füße küssen.“ Ein Redner machte aus seinem vulgären Antisemitismus keine Mördergrube und sprach von „links sitzendem Judas, Schmarotzer und Verräter“. Auf einem riesigen Plakat stand in hilflosestem Wutbürger-Deutsch: „Demokratie statt Merkel – Entschafung jetzt“. Die Integrationspolitik entspräche einer „Umvolkung“; selbstredend basiere diese auf einer „Verschwörung“; immerhin vermied man die Formulierung von der „jüdischen Verschwörung“. Die Regierung habe „unzählige Tote in Kauf genommen.“

Auch die mit der verfassungsfeindlichen Gruppierungen „Ein Prozent“ sowie den „Identitären“ engverbundene Gruppe „Widerstandsteigtauf“ war anwesend. Im Juli 2017 hatte sie in Köln vor Flüchtlingsheimen fremdenfeindliche Hassbotschaften auf den Boden gesprüht. Und im Köln-Stammheimer Skulpturenpark hatte sie ein aus drei Figuren bestehendes Kunstwerk mit Tüchern und Luftballons entwürdigt, wodurch der Staatsschutz auf sie aufmerksam geworden sein soll. 

"Höcke geht aufrecht!"

Mehrere Demonstranten präsentierten sich in den obligatorischen Neonazi-Shirts: „Nationaler Stolz ist kein Verbrechen“, „Terrormusic" – darunter prangte ein großformatiger Revolver, „Widerstand“; ein Grauhaariger forderte „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“. Ein Demonstrant hielt immer wieder eine Tasche mit dem Konterfei Höckes und dem Spruch „Höcke geht aufrecht!“ in die Kameras. Höcke selbst hatte den Weg nach Köln jedoch nicht gefunden.

Ein Demonstrant, der außerhalb des für die Rechtsextremen reservierten, mit Sperrgittern gesicherten Demonstrationsbereiches stand und sich auf Nachfrage als AfD-Mitglied vorstellte, vollführte öffentlich auf einem Plakat eine typische antisemitische Täter-Opfer-Umkehrung: Er schrieb von „Hetze in Deutschland“, darunter prangte der gelbe „Judenstern“ und dann ein AfD-Flyer: „2013 - ?“. Es gab keinen Versuch der zahlreich anwesenden Polizei, ihn zumindest des Platzes außerhalb des Demonstrationsbereiches zu verweisen oder aber ihn wegen seiner geschichtsrevisionistischen Äußerung anzuzeigen.

Gegenproteste

An mehreren Orten hatten sich 700 eher links orientierte Gegendemonstranten vor allem von Kein Veedel für Rassismus und Köln gegen Rechts versammelt und stellten sich der Demonstration an mehreren Orten entgegen. Bereits eine Stunde vor dem rechten Kundgebungsbeginn hatten sich 200 Gegendemonstranten auf dem Kölner Ebertplatz versammelt. Der hatte im vorigen Jahr nach einem Mord im Drogenmilieu für Schlagzeilen gesorgt. Rechte Gruppierungen wie die AfD sowie eine Gruppe von Kölner Hooligans versuchten daraufhin, dieses tragische Verbrechen politisch zu instrumentalisieren - vergeblich. Insofern war der Ebertplatz als Kundgebungsort sehr bewusst gewählt worden. Die Rede eines Vertreters von Köln gegen Rechts, in dem dieser die Hintergründe der diversen rechten Splittergruppen darstellte, fand sehr viel Beifall. Bei den Kooperationsgesprächen im Vorfeld war mit der Polizei vereinbart worden, dass die Gegenkundgebung vom Ebertplatz entlang der Tunisstraße führen sollte, sofern sich mehr als 50 Teilnehmer einfänden. Nun waren es 200 Teilnehmer. Dennoch brach ein Einsatzgruppenführer nach Angaben der Organisatoren am Samstagmorgen diese Vereinbarung und untersagte den gemeinsam besprochenen Demonstrationsweg – keine gute Grundlage für einen demokratischen Konsens innerhalb Kölns.

"Deutschland den Deutschen, Ausländer raus"

Nach den recht peinlich, teils geradezu wirr wirkenden Reden der sehr Rechten marschierten diese durch das Kunibertsviertel. Hierbei wurden sie von einem Großaufgebot der Polizei begleitetet. Zahlreiche in Fenstern angebrachte Plakate, orange Transparente und auf die Straße gemalte Kreideschriftzüge protestierten gegen deren obsessiven Rassismus. In einem Haus in der Domstraße war gleich dreimal der Schriftzug „Nazis verpisst Euch“ auf großen Papptafeln angebracht worden. In ihren Demorufen dominierten offen neonazistische Parolen wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, „Frei, sozial und national“, „Wer Deutschland nicht liebt soll Deutschland verlassen“ sowie „Festung Europa – macht die Grenzen dicht“. Auch hierbei machte die Polizei kein einziges Mal den Versuch, das Rufen dieser teils verbotenen, offen rechtsextremen Losungen zu untersagen. Nach einer absolut friedlichen Straßenblockade von 20 Menschen – die Rechtsextremen waren zwischenzeitlich in eine andere Straße geleitet worden und gelangten ungestört wieder zum Hauptbahnhof - wurden die Personalien aller umstehenden 50 Personen festgehalten, obwohl sich die Mehrzahl von ihnen nicht an den Blockaden beteiligt hatten. In Berlin, wo zeitgleich 700 Neonazis beim „Rudolf Heß Marsch“ auftraten, duldete die Polizei diese Sitzblockaden übrigens; sie leitete die Neonazis um. Dies könnte in Köln unangenehme Fragen über Motive und politische Strategien aufwerfen.

Die polizeiliche Ansprache hatte sich eindeutig auch nur an die friedlich auf der Straße Sitzenden gerichtet. Vielleicht sollten die Verantwortlichen noch einmal einen Kurs über das Recht auf friedliche Proteste gegen Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus belegen.

Nach der Kundgebung: Eine gezielte Eskalation?

Minuten nach dem Ende der Kundgebung - die Rechten waren schon im Bahnhof verschwunden, die Situation war insofern „geklärt“ - kam es zu einem teils sehr massiven, wenig professionell wirkenden Vorgehen der Polizei gegen linke Demonstranten. Eine Polizeieinheit, nach Angaben von Köln gegen Rechts kam sie aus Duisburg, ließ die Situation eskalieren. Die Polizist*innen drangen mehrfach in die Gruppe der hinter einem Sperrgitter stehenden Gegendemonstrant*innen ein, teils sehr junge Menschen wurden in rücksichtsloser Weise attackiert. Mehrere Gegendemonstrant*innen beschwerten sich bei Polizisten in der Polizeikette und verlangten den verantwortlichen Polizeiführer zu sprechen. Dies wurde ihnen jedoch verweigert. Welchen Sinn diese gezielt wirkende Eskalation hatte – die antisemitischen und verfassungsfeindlichen Äußerungen und Parolen der Rechtsradikalen hatten die Verantwortlichen der Polizei offenkundig zuvor nicht gestört – bleibt ein Rätsel bzw. bedarf einer parlamentarischen und politischen Klärung.

Mehrere Demonstranten wurden festgenommen. Das massive, minutenlange Vorgehen gegen einen Afrikaner, der zuvor etwas unbeherrscht aufgetreten war und die Polizisten während der Festnahme beschimpfte, wirkte auf Umstehende schockierend. Auch nach der Kundgebung beschwerten sich mehrere Menschen über ein sehr unangemessenes Verhalten der Polizei. Sprecher von Köln gegen Rechts teilten mit, dass rechtliche Schritte geprüft werden.

Die zahlreichen verfassungswidrigen Äußerungen der Rechtsextremen hatten zuvor zu keiner einzigen Ermahnung der Polizei geführt. Für die Rassisten muss dieses polizeiliche Verhalten – das auf viele Außenstehende unverhältnismäßig wirkte - wie eine Ermutigung gewirkt haben. Unter dem früheren Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers hätte es ein solches Verhalten wohl eher nicht gegeben.

Politisch und juristisch dürfte die Sache noch nicht abgeschlossen sein.

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