Jahresrückblick 2011 - Baden-Württemberg: Gewalttätige und bewaffnete Nazi-Strukturen

Für den Jahresrückblick 2011 in Baden-Württemberg sprachen wir mit dem Politikwissenschaftler Michael Distel.

Was waren die wichtigsten Ereignisse in Baden-Württemberg im Jahr 2011, bezogen auf Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus?

Wenn man den Behörden glaubt, dann ist in Bezug auf Rechtsextremismus Baden Württemberg eine "Insel der Glückseligen". Dem ist leider nicht so. Zu so einer Einschätzung kann nur kommen, wer das rassistische und nationalsozialistische Potential im "Ländle" gnadenlos unterschätzt.

Zwei Ereignisse im Jahr 2011 zeigen dies exemplarisch:

Am 10. April 2011 findet auf einem Gelände in der Nähe von Winterbach im Rems-Murr-Kreis eine Naziparty mit ca. 60 Teilnehmern statt. Nicht zum ersten Mal. Der Nutzer des Grundstücks ist ein Polizei bekannter Rechtsextremist. Auf dem Nachbargrundstück feiern ebenfalls Jugendliche, allerdings mit türkischem und griechischem Migrationshintergrund. Die Jugendlichen werden von zahlreichen Teilnehmern der Party angegriffen und flüchten sich in eine Holzhütte auf dem Gelände. Diese wird von den Nazis angezündet. Nur mit knapper Not entkommen die Jugendlichen, zum Teil erheblich verletzt, dem Feuertod. Die Polizei ermittelt gegen mehrere Teilnehmer der Party. Im Oktober 2010 wird ein Verfahren wegen Mordversuchs gegen zwei der Partygäste eröffnet.

Im Zuge des gesellschaftlichen Aufschreis über diesen Mordversuch kommt im August 2011 heraus, dass in Korb, einer Nachbargemeinde von Winterbach, 2009 und 2010 die Landesparteitage der NPD in der Gaststätte "Schwäbischer Hof" stattfanden - mit Wissen des Bürgermeisters und des Landrats. Beide hielten jedoch dicht, um den Ruf der Gemeinde nicht zu gefährden, man will ja schließlich keine Unruhe haben. Die Wirtin soll sich stattdessen verpflichten, die NPD nicht mehr in die Gaststätte zu lassen - und hält sich nicht daran. Im Juli 2011 fand erneut eine "Vortragsveranstaltung" der NPD im "Schwäbischen Hof" statt.

Am 1. Mai 2011 findet die zentrale süddeutsche NPD-Demonstrationen in Heilbronn statt. Rund 800 Rechtsextremisten nahmen daran teil. Für den Kripochef von Heilbronn jedoch lediglich ein importiertes Problem. Für Ihn gibt es im Raum Heilbronn nur eine kleine Naziszene die kaum zur Gewalt neigt. Eine Sichtweise, der Insider und Kenner der Nazi-Szene immer wieder vehement widersprechen.

Bei einer Razzia des LKA Baden Württemberg gegen die Nazigruppe "Standarte Württemberg" kommt es auch im Raum Heilbronn zu Hausdurchsuchungen mit Waffenfunden.

Aktuell werden auf der Homepage, der im Zuge der 1. Mai Demonstration neu gegründeten,"Aktionsgruppe Heilbronn" die Mordopfer der "Zwickauer Zelle" verhöhnt. Nach Medienberichten wurde jedoch die Homepage, sowie die Facebookseite der Gruppe abgeschaltet und können aktuell nicht mehr erreicht werden.

Auch das Verfahren gegen den Bombenbastler Thomas B. aus Weil am Rhein befindet sich immer noch in der Schwebe. Dieser war gegen Ende 2009 von der Autonomen Antifa Freiburg enttarnt worden, und nicht von der Polizei. Bisher reichte seine Garage voller Materialien zum Bombenbau nebst Anleitungen nicht für eine Anklage.

Was erwarten Sie für 2012?

Wie sich die rechtsextreme Szene in Baden Württemberg 2012 entwickeln wird, hängt letztendlich nicht von dieser selbst ab, sondern davon, ob nach der Enttarnung der "Zwickauer Zelle", nun auch endlich die Behörden die Sichtweise übernehmen, welche antifaschistische Initiativen, zivil- gesellschaftliche Gruppen und zunehmend auch die Medien vertreten: Baden Württemberg ist keine Insel der Glückseligen. Es gibt zahlreiche organisierte Nazigruppen, Gewalt und Hasspropaganda sind an der Tagesordnung. Es bleibt auch an der neu gewählten Grün-Roten Landesregierung, der Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit eine angemessene Priorität zuzubilligen.

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