Die Staatsanwaltschaft in Graz wirft zehn Führungsmitgliedern und sieben "aktiven Sympathisanten" der rechtsextremen "Identitären Bewegung Österreich" (IBÖ) die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Anstachelung zum Hass sowie teilweise Sachbeschädigung und Nötigung vor.
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Interview mit dem Recherche-Kollektiv "Mensch Merz" zum IB-Prozess in Graz

Seit Mittwoch stehen führende Kader der sogenannten „Identitären Bewegung Österreich“ in Graz vor Gericht. Das Recherche-Kollektiv „Mensch Merz“ würde ein Verbot der rechtsextremen Organisation zwar begrüßen, sieht aber mehr Bedarf in der Präventionsarbeit, vor allem in ländlichen Regionen. Außerdem beobachten sie eine  strategische Neuausrichtung der IB.

 

16 Männer und eine Frau müssen sich seit Mittwoch in Graz vor dem Straflandesgericht verantworten. Zehn von ihnen sind führende Vertreter der sogenannten „Identitären Bewegung Österreich“ (IBÖ), sieben sind „aktive Sympathisanten“. Der Vorwurf gegen sie lautet: Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (bis zu drei Jahre Haft) sowie teilweise auch wegen Verhetzung (bis zu fünf Jahre Haft) und Sachbeschädigung. Einem Angeklagten wird Nötigung vorgeworfen. Die Angeklagten sind zwischen 20 bis 35 Jahren alt und stammen aus beinahe allen Bundesländern Österreichs. Zehn der Verdächtigen sind Student*innen, einer geht noch zur Schule, andere sind berufstätig.

 

Wir haben mit dem Recherche-Kollektiv „Mensch Merz“ über den laufenden Prozess in Graz gesprochen und darüber, wie die sogenannte „Identitäre Bewegung“ momentan aufgestellt ist. Die Gruppe beobachtet das Treiben und die Vernetzung der deutschsprachigen IB und klärt über deren menschenverachtende Ideologie auf Twitter und auf dem Blog „Von nichts gewusst“ auf.

 

Wie ist euer erster Eindruck vom Prozess?

Mensch Merz: Uns hat überrascht, dass die Staatsanwaltschaft so gut informiert und vorbereitet war. Die Staatsanwaltschaft Graz scheint schon einen gewissen Willen zu haben, die Anklagepunkte auch durchzubringen – das ist in Österreich leider erwähnenswert.

 

Die IB behauptet ja immer, dass sie Gewalt ablehne. Wie kann man ihr dann die Bildung einer gefährlichen kriminellen Vereinigung vorwerfen?

Dass die „Identitäre Bewegung“ und ihre Kader gewaltfrei sind, das ist die größte Lüge, die sie in den letzten Jahren geschaffen haben. Wenn man sich die Realität anschaut - von Halle über Berlin bis nach Wien und Graz - gibt es immer wieder Beispiele, in denen aus ihren Reihen Gewalt ausgeübt wird. Die Lüge, zu behaupten sie seien gewaltfrei, ist im realen Leben absolut nicht haltbar. Wenn man sich auf der anderen Seite ihre Ideologie anschaut und ihre Forderung nach ethnisch homogenen Völkern bis zum Ende denkt, wird schnell klar, dass dieses Ziel gar nicht ohne Gewalt umzusetzen wäre. Was sie wollen, ist im Endeffekt eine Eskalation und Zuspitzung auch der staatlichen Gewalt.

Ein wichtiger Punkt, der hierbei oft vergessen wird: Die „Identitären“ sind ein großer und wichtiger Teil der außerparlamentarischen extremen Rechten in Österreich. Und wir haben immer wieder gesehen, dass insbesondere Menschen, die sich kritisch geäußert haben, von der IB,  aber auch von verknüpften Organisationen wie „Ein Prozent“ oder „Info Direkt“ direkt angegriffen wurden. Mit der Konsequenz, dass den IB-Kritiker*innen nicht nur aktiv Gewalt angedroht wurde, sondern dass sie Gewalt auch erlebt haben. Dieses „Wir sind gewaltfrei“ der IB ist einfach eine Lüge in das Gesicht der zahlreichen Betroffenen.

 

Dann geht wohl auch der Richter von einer massiven Gefährdung durch die IB aus, wenn er nicht bei seinem Namen genannt werden will.

Möglich. Der Richter hatte gegenüber den anwesenden Journalist*innen den Wunsch geäußert nur als „Richter“ bezeichnet zu werden. Bisher haben Richter*innen in Österreich diese Sicherheitsmaßnahme nur bei Prozessen gegen Dschihadist*innen in Anspruch genommen. Dieses Persönlichkeitsrecht wird in den seltensten Fällen aber den Opfern rechtsextremer Gewalt zugestanden.

 

Die Anklage gegen die IB wird in Österreich durchaus strittig diskutiert. Warum?

Der Paragraph 278 StGB zur kriminellen Vereinigung ist in Österreich unglaublich umstritten, da der Begriff so schwammig ist. Zudem muss man sagen, dass die Forderungen der IBÖ der letzten Jahre kaum radikaler waren als die,  welche die FPÖ im Wahlkampf eingebracht hat. Die Frage, die sich hier stellt, ist, wo eine kriminelle Vereinigung anfängt und ab wann sie juristisch verfolgt werden kann. Ein Problem dabei ist, dass zahlreiche Taten der IB nie zur Anzeige gebracht wurden. Über viele Bedrohungs-Szenarien, die die IB aufgebaut hat, weiß außerhalb der„informierten Blase“ keiner. Die Aktionen der IB darf man dabei nicht entpolitisieren. Die meisten Kader kommen aus einem neonfaschistischen Umfeld, das muss man immer wieder betonen. Und gleich am ersten Verhandlungstag verwies der Staatsanwalt ja auch auf die Neonazi-Vergangenheit von Martin Sellner.

 

Während des ersten Prozesstags waren auch Neonazis anwesend. Also alte Kameraden von Sellner?

Ob das „alte Kameraden“ von Sellner sind ist letztlich schwer einzuordnen. Sellner hat immer versucht sehr stark in der Öffentlichkeit Kontrolle über seine Vergangenheit zu bewahren. Dazu zählen nicht nur seine öffentlichen Beteuerungen, sondern auch der Umstand, dass er da bewusst nie alle Karten auf den Tisch gelegt hat. Sellners Kontakte und Sozialisation in der neonazistischen Szene sind ein Kapitel, dass definitiv noch umfassender aufgearbeitet gehört.

Selbst dem Richter ist aufgefallen, dass Personen im Publikum waren, die wahrscheinlich dem neonazistischen Spektrum zugerechnet werden können. Zum einen deutet dies eben auf die Verknüpfung der IB zur Neonazi-Szene hin. In den letzten Monaten haben IB-Kader der Gruppe immer wieder abgestritten dort beteiligt gewesen zu sein. Zum anderen waren diese Personen aus dem Umkreis der rechtsextrem Gruppierung „Unwiderstehlich Österreich“  vielleicht auch wegen der Spitzel-Affäre anwesend.

 

Worum ging es bei der  "Spitzel-Affäre“ genau?

Das Abwehramt des Bundesheers hatte eine Person mit Decknamen „Sandro“ in das Innere der IBÖ einschleusen können. „Sandro“ wurde 2017 allerdings von der rechtsextremen Gruppierung „Unwiderstehlich Österreich“ geoutet. Auch er könnte möglicherweise im Prozess als Zeuge auftreten. Auf der Seite der Neonazi-Gruppe wurden Dokumente vom Heeresamt öffentlich gemacht. Wie die Personen um „Unwiderstehlich“ an diese Dokumente gelangt sind, ist bis heute nicht geklärt.

 

Warum kommt das Verfahren jetzt, wo die FPÖ in der Regierung sitzt und die IB damit ihre Forderungen bereits in die Parlamente getragen hat?

Man muss sagen, dass die Staatsanwaltschaft Graz da wohl sehr hinterher ist. Allerdings muss sowas immer auch von Regierungskreisen mitgetragen werden. Möglicherweise sind die FPÖ und die ÖVP, die wegen ihrer sogenannten „Einzelfälle“ regelmäßig in der Kritik stehen, auch etwas froh, dass das Augenmerk nun auf die prägnanteste rechtsextreme außerparlamentarische Bewegung gerichtet ist.

 

Was haltet ihr von einem mögliches Verbot der IBÖ?

Natürlich würden wir ein Verbot begrüßen. Doch die Regierung und die Gesellschaft in Österreich meint momentan offenbar, nur mit Verboten gegen Rechtsextremismus vorgehen zu können. Dabei bräuchten wir vor allem im ländlichen Raum viel mehr pädagogische Angebote, endlich mal eine Ausstiegsberatung für Rechtsextreme und außerdem vernünftige Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Gewalt. Doch sowas wird seit Jahren nicht mehr diskutiert. Es geht nur noch darum, wie man einen Kopf der Hydra verbieten kann, auch wenn der Hydra zwei Monate später fünf Köpfe nachwachsen. Die 17 Angeklagten im jetzigen Prozess kommen ja aus beinahe allen Bundesländern Österreichs. Ja warum kommen die aus allen Regionen? Weil die IB besonders im ländlichen Raum große Erfolge mit ihren Konzepten einfahren.

 

Wie finanziert die IB den Prozess?

Im Vorfeld gab es eine Crowdfunding-Kampagne, in der sie recht schnell das benötigte Geld beisammen hatten. Sie scheinen sich momentan über private Finanziers über Wasser zu halten. Die „Identitären“ wie auch andere rechtsextreme Akteure sind gar nicht so sehr auf viele kleine Spenden angewiesen sind. Sie profitieren eher von einigen Großspender*innen.

 

Es besteht der Verdacht, dass die vier Verbände der IBÖ Steuern hinterzogen hätten. Wird dieser Vorwurf auch Teil des Prozesses sein?

Es laufen gegen die IBÖ gerade zwei Verfahren, zum einen der Vorwurf wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Zum anderen geht es um Straftaten nach dem Finanzstrafrecht. In diesem Zusammenhang kam es ja auch zu den Hausdurchsuchungen unter anderem von den Privatwohnungen von Patrick Lenart und Martin Sellner. Ihnen wird Steuerhinterziehung vorgeworfen, da die Einnahmen aus ihrem Versandhandel „Phalanx Europa“ möglicherweise nicht richtig versteuert worden sind. Das wird allerdings in einem separaten Prozess verhandelt. Auch aus diesem Grund lehnt sich „Ein Prozent“ bei dem jetzigen Verfahren nicht so weit aus dem Fenster. Wir glauben, für „Ein Prozent“ wäre es unglaublich gefährlich, die ganzen Finanzströme offenlegen zu müssen, falls das zur Anklage kommt.

 

Welche Aussichten rechnet ihr dem Verfahren wegen Steuerhinterziehung bei?

Die IB hat in den letzten Jahren unglaublich viel Geld eingenommen und verwaltet - als Verein. Alleine wenn wir an diese ganzen Crowdfunding-Kampagnen denken. Und auch wenn man bedenkt, dass „Ein Prozent“ immer mal wieder zehntausende Euro nach Österreich geschickt hat und diese dann irgendwo verschwunden sind. Wenn dieses Verfahren beleuchten kann, woher das Geld der IBÖ kommt und wohin es fließt, könnte es sehr spannend werden. Die Durchleuchtung der Finanzströme ist letztendlich der aussichtsreichere Punkt, um gegen die menschenverachtende Ideologie der IB vorzugehen. Das würde ihnen hart zusetzen. Wenn sie in dem Finanzprozess verurteilt würden, stünden Strafzahlungen und steuerliche Nachzahlungen an, was dazu führen könnte, dass sie als Organisation nicht mehr handlungsfähig wären.

 

Zwar schlachtet die IB auch jetzt wieder genüsslich ihre Opferrolle aus, allerdings scheinen sie nicht mehr so präsent wie noch vor einem Jahr. Oder irre ich mich hier?

Durchaus nicht. Die IB als große „Bilder-Maschine” funktioniert gerade einfach nicht mehr. Zum einen weil sie medial an Deutungshoheit verloren haben. Zum anderen, weil diverse Medien deutlich kritischer über die IB–Bilder berichten und diese nicht mehr eins zu eins übernommen werden. Allerdings ist die IB in Österreich besonders auf dem Land wahnsinnig erfolgreich. Hier inszeniert sie sich quasi als fanatische Landjugend und veranstaltet Grill- und Spieleabende. Hier sind sie immer noch ziemlich erfolgreich bei Jugendlichen. Der Aktionismus abseits der medialen Hyper-Produktion von Bildern funktioniert nach wie vor – das dürfen wir nicht vergessen.

Außerdem macht der Wegfall zahlreicher IB-Kanäle auf Facebook und Instagram schon einiges aus. Mit der Sperrung, vor allem auf Facebook, ist ihnen einiges an Reichweite verloren gegangen. Auch deshalb gehen Kampagnen momentan einfach unter. Rechtsaußen-Medien berichten jedoch nach wie vor geschlossen über diese Kampagnen und Veranstaltungen.

 

Wie aktiv schätzt ihr die IB denn momentan ein?

Sie haben jetzt eingesehen, dass ihnen der große meta-politische Lauf, den sie in den letzten Jahren entfacht hatten, gerade nicht gelingt. Daher suchen sie sich momentan solche autonomen Rückzugsorte wie das IB-Haus in Halle. Hier können sie sich verwalten, vernetzen und ihre eigenen Projekte aufbauen. Wir beobachten gerade die strategische Verlagerung vom Aktionismus hin zum Aufbau von Infrastruktur. Mit dem IB-Haus in Halle sehen wir, dass das für die „Identitären Bewegung“ zu funktionieren scheint.

 

Das Interview führte Kira Ayyadi

„prozess.report“ beobachtet den Prozess in Graz

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