Für Hobbyhistoriker mit und ohne Nazihintergrund

Die Zeitschrift "Zeitungszeugen" erregt derzeit die Gemüter: Macht es Sinn, NS-Propagandablätter im Original wieder an den Kiosk zu bringen? Gefährdet es die Pressefreiheit, wenn das Bayerische Finanzministerium eben dies verbieten will? Ein Blick in die "Zeitungszeugen" lässt klarer sehen.

Von Simone Rafael

Nationalsozialismus zieht publizistisch, nach wie vor. Seien Grusel, Interesse oder Voyeurismus der Grund, auch 64 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Diktatur ziehen Hitler und Co. Käufer an die Kioske und Zuschauer vor Fernsehbildschirme und an Kinokassen. Heutzutage nennen wir geformte mediale Wirklichkeit Public Relations und Marketing, doch die Propaganda-Maschine der NSDAP hat sich am Start dieser Entwicklung mit wirkungsmächtigen Inszenierungen ohne Gleichen - gepaart mit ebensolchen Bedrohungen - ein grauenhaftes wie eindrucksvolles Denkmal gesetzt.

Kein Wunder also, dass das Zeitschriftenprojekt „Zeitungszeugen“ derzeit hohe Wellen schlägt, welches sich nicht nur mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt, sondern die Printerzeugnisse von 1933 bis 1945 im Original wieder an die Leserinnen und Leser bringt. Jede Ausgabe der „Zeitungszeugen“ besteht aus einem kommentierenden Mantelteil, darin befinden sich drei Faksimile-Nachdrucke von Zeitungen unterschiedlicher politischer Ausrichtungen. Link zwischen den Blättern ist das gemeinsame Erscheinungsdatum, an dem sich ein bedeutsames Ereignis der Zeit ereignete.

Die Kontroverse

Verleger Peter McGee und die Redaktion bewerben die „Zeitungszeugen“, die am 8. Januar starteten, als optimale Aufklärung über die Zeit des Nationalsozialismus. Der Verlagssprecher kontert salopp Befürchtungen, dass nicht nur neutrale Geschichtsinteressierte zur Leserschaft zählen könnten: “Der moderne Rechtsextreme kann mit der Sprache der dreißiger Jahre nichts anfangen. Der bedient sich im Internet aus Amerika." Befürworter des Projektes loben den Zugang zu historischen Originalquellen, die ja ohnehin in Bibliotheken und im Internet längst zugänglich seien, sehen deren erneute Veröffentlichung als Schritt in die Mündigkeit im Umgang mit NS-Originalen und Akt der Pressefreiheit.

Dagegen will das Bayerische Finanzministerium, auf das die Rechte an den Erzeugnissen des NS-Medienkonzerns Eher übertragen wurden, deren erneute Publikation verhindern – aus Respekt vor den Opfern und um einer weiteren Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts vorzubeugen. Aktuell werden Exemplare der Ausgabe 2, die den „Völkischen Beobachter“ sowie ein NS-Propagandaplakat enthält, bundesweit beschlagnahmt.

Die „Zeitungszeugen“

Der Eindruck, wenn die Leserin Ausgaben der „Zeitungszeugen“ in den Händen hält, ist zwiespältig. Auf den ersten Blick wird klar: Die viel gelobte und auch geforderte Kommentierung der Printerzeugnisse ist mau. Der kommentierende Mantel umfasst lediglich vier Druckseiten. Eine historische Einordnung des politischen Ereignisses wird gegeben (in Ausgabe 1 Hitlers Machtergreifung 1933, in Ausgabe 2 der Reichstagsbrand). Lediglich eine der vier Mantelseiten beschäftigt sich mit den enthaltenen Zeitungsausgaben und muss bei rund zwei Spalten pro Zeitung an der Oberfläche bleiben.

Also wirken die Zeitungen doch für sich. Als klar erkennbare Zeugnisse einer anderen Zeit üben sie auch im Faksimile einen Zauber aus, den jeder erlebt, der einmal in Zeitungsarchiven geforscht hat: Die andere Schrift, die andere Gestaltung, der andere Duktus in Überschriften und Sprache faszinieren. Zugleich schafft der bis heute kaum veränderte Aufbau aus Politik, Kultur, Sport und Lokalem Vertrautheit. Anzeigen vermitteln Zeitkolorit, ein Gefühl von Alltag und sind oft possierlich. Sprachlich gibt es viele vergessene Vokabeln in ihrem ehemals natürlichen Umfeld zu besichtigen.

Was die spontane Betrachtung der Zeitungen vermittelt, ist eine ganz andere Auffassung von Berichterstattung, die die Zeitungen der dreißiger Jahre eint: Der Ton ist in allen Blättern lauter, parteiischer und emotionaler, als es heute jemals denkbar wäre. Die Freude an Menschenmassen, die „wie ein Block“ reagieren, die in allen Blättern vorkommt, verbreitet beim heutigen Leser wissendes Unbehagen.

Die nationalsozialistischen Zeitungen unter der Leitung Josef Goebbels – in Ausgabe 1 „Der Angriff“ , in Ausgabe 2 der „Völkische Beobachter“ – versprühen Gift und Hass, wie es nicht nur zu erwarten ist, sondern auch hinlänglich bekannt. Antisemitische Karikaturen, Hetze gegen Kommunisten, Punkte machen mit Sozialthemen und angeblichem Einstehen für die Schwachen, dazu Lobhudelei aller NS-Aktionen und unerträgliche Propaganda-Texte, warum das Volk einen Führer braucht – die Neonazis von heute haben es eben von den Original-Nazis gelernt. Und können auch noch mehr lernen, denn kleine Seitenartikel wie der im „Angriff“ über „Propaganda im Vorortzug“ können auch heute für die Rechtsextremen ein netter Denkanstoß sein und enthalten gemeißelte Sätze wie „Das ist echte Nazi-Art: Immer Propaganda treiben, immer werben und kämpfen für unsere herrliche Idee, bis die besten des deutschen Volkes sie erfasst haben.“

Für Laienhistoriker mit und ohne Nazihintergrund

Wenn dann die „Zeitungszeugen“, wie auf einer Tankstelle im ländlichen Brandenburg gesehen, prominent in der Auslage neben „Landser“-Heftchen präsentiert werden, erreichen sie wohl mehr historisch interessiertes Laienpublikum mit Nazi-Hintergrund, dass sich an Hakenkreuzen und Hetzsprüchen sicherlich auch dauerhaft erfreut hätte, von nachgedruckten NS-Postern wie in Ausgabe 2 ganz zu schweigen. Allerdings lies die Redaktion aufgrund des öffentlichen und polizeilichen Drucks verlautbaren, ab Ausgabe 3 erst einmal auf nationalsozialistische Presseerzeugnisse zu verzichten. Faktisch bieten sie sie nur nicht mehr am Kiosk an, der geneigte Leser kann sie aber offenbar beim Verlag direkt bestellen. Die ersten Ausgaben werden inzwischen schon zu hohen Preisen bei ebay gehandelt.

Nach der Lektüre bleibt jedenfalls der Eindruck, dass die Faszination der „Zeitungszeugen“ für das Nichtnazipublikum vermutlich nach wenigen Ausgaben zu Ende sein dürfte: die Erkenntnisse dieser Präsentationsform sind schnell erfasst, die Lektüre der Frakturschrift und der unübersichtlichen Layouts ist mühsam, und dann bleibt als Leseanreiz nur das Gruseln, weil der grausige Ausgang der Hetze bekannt ist. Schlussendlich bleibt die Frage, ob es nicht eigentlich ganz in Ordnung ist, dass derjenige, der solche Publikationen des Hasses lesen will, sich Mühe geben muss, statt die Hetze einfach ins Haus geliefert zu bekommen. Denn auch wenn es in der Diskussion bisweilen anders scheint: Was in den „Zeitungszeugen“ abgedruckt wird, sind keine Geheimakten, sondern Printerzeugnisse, die in Bibliotheken und Archiven zugänglich sind. Verständlicher werden sie allerdings mit wirklicher Kommentierung. Zum Glück hat schon jemand zu diesem Zweck das Buch erfunden.

Diskutieren Sie mit!
| Zeitungszeugen - Nazipropaganda aus dem Dritten Reich druckfrisch am Kiosk

Zum Thema:

| Interview mit Chefredakteurin Sandra Paweronschitz auf ZEIT Online

drucken