„Dramatische Trendwende“ – Zunahme rechtsextremer Einstellungen in der „Mitte“ der Gesellschaft

Der Rassismus ist in der sogenannten Mitte der Gesellschaft auf dem Vormarsch. Zu diesem Ergebnis kommen die Forscher Elmar Brähler und Oliver Decker in ihrer Studie „Die Mitte in der Krise“, die sie am 13. Oktober in Berlin vorstellten.

Von Tobias Willms

Am 13. Oktober lud die Friedrich Ebert Stiftung zur Veranstaltung „Mitten in der Krise?! Rechtsextreme Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft“ ein. Vorgestellt wurden von Professor Elmar Brähler von der Universität Leipzig und Dr. Oliver Decker von der Universität Siegen zunächst wichtige Forschungsergebnisse ihrer neuen Untersuchung „Die Mitte in der Krise“. In der Untersuchung wurden 2000 Menschen aus den alten und 500 Menschen aus den neuen Bundesländern befragt. Ziel der Befragung war es, die Verbreitung von rechtsextremen Einstellungen in Deutschland zu untersuchen. Die rechtsextremen Einstellungen werden von den Autoren in sechs verschiedene Dimensionen unterteilt: Befürwortung einer Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus.

„Dramatische Trendwende“

Anhand der empirischen Untersuchungen kommen die Forscher zu dem Befund einer „dramatischen Trendwende“. So stimmten beispielsweise 23,6 Prozent der Befragten folgender Aussage zu: „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“ und knapp über 30 Prozent stimmten in Ost und West der Aussage zu, „Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland“. Ein deutlicher Unterschied zwischen Ost und West zeigt sich in den Zustimmungswerten zu der Aussage „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“: 30,8 Prozent der Bürger aus den alten Bundesländern stimmten dieser Aussage zu, im Osten waren es fast 48 Prozent. Insgesamt ist der Untersuchung zufolge in Ostdeutschland die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen deutlich höher.

Diese Einstellungen sind auch bei Wählern etablierter Parteien vor zu finden, weshalb die Autoren auch der Überzeugung sind, „dass die rechtsextreme Einstellung in allen gesellschaftlichen Gruppen, in allen Altersgruppen sowie im Westen und Osten zu finden ist – eben bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass die rechtsextreme Einstellung in der Mitte der Gesellschaft längerfristig auf hohem Niveau anzutreffen ist und dass Rechtsextremismus somit ein gesamtgesellschaftliches Problem und eine dauerhafte Herausforderung ist.“

In der Präsentation haben die beiden Wissenschaftler einen Schwerpunkt auf das Verhältnis von wirtschaftlicher Krisenentwicklung und rechtsextremen Einstellungen gelegt. Ihre grundlegende These besagt, dass rechtsextreme Einstellungen begünstigt werden, wenn die wirtschaftliche Situation sich sowohl objektiv verschlechtert – also durch weniger Einkommen – als auch in der subjektiven Wahrnehmung. Diese These fanden sie allerdings nur teilweise bestätigt: Wenn die eigene wirtschaftliche Situation schlechter wird, verstärkt dies nicht zwangsläufig rechtsextreme Einstellungen, stellten die Forscher fest. Allerdings entwickeln die Befragten eher rechtsextreme Einstellungen dann, wenn sie die Wirtschaftskraft und den Wohlstand Deutschlands bedroht sehen. Deshalb kommen die Autoren zu dem Schluss, „dass nicht die Bewertung der eigenen wirtschaftlichen Lage, wie der Sorge um den Arbeitsplatz, sondern vielmehr die Wahrnehmung des Verlustes des wirtschaftlichen Wohlstandes in Deutschland eine entscheidende Determinante der rechtsextremen Einstellung ist. Eine stärkere Wahrnehmung dieses Verlustes begünstigt eine rechtsextreme Einstellung.“

Die Wirtschaft erscheine als eine abstrakte Kategorie, die von der individuellen Situation abgekoppelt ist. Wenn allerdings das Vertrauen in die Wirtschaft schwindet, dann tendieren Menschen zu antidemokratischen Einstellungen und zu einer autoritären Staatsform. Dies verdeutlicht die Zustimmung von fast 9 Prozent der Befragten zu der These, dass „im nationalen Interesse unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform ist“.

Demokratieentwicklung und Zivilgesellschaft

In einer zweiten Podiumsdiskussion wurde über „Rechtsextremismusbekämpfung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ reflektiert. Heike Kleffner, Beiratsmitglied der Mobilen Opferberatung Sachsen-Anhalt, schilderte die chronische Unterfinanzierung von Projekten zur Demokratieentwicklung.. Neben den finanziellen Problemen sei die neue „Extremismus-Debatte“ fatal, denn sie lenke von der neonazistischen Gewalt ab und könne dazu führen, dass Aktive stigmatisiert werden - oftmals sind es genau die Menschen, die die Demokratie vor Ort verteidigen. Kleffner meinte, dass durch die Extremismus-Debatte etwas vermischt wird, was nicht zusammengehört. Als weiteres Problemfeld wurde von ihr angesprochen, dass die neonazistische Gewalt aus dem Fokus der Öffentlickeit geraten sei und eine Gewöhnung statt gefunden habe.

Elmar Brähler sah eine Gefahr darin, dass soziale Konflikte ethnisiert werden und so Sündenböcke präsentiert werden. Denn der Umgang mit den Schwächeren ist der Lackmustest der Demokratie.
Einigkeit bestand auf dem Podium darin, die Demokratie zu fördern und die Zivilgesellschaft zu stärken. So ist auch der Titel der Veranstaltung zu verstehen, denn bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. In diesem Kontext sagte der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, dass die Demokratieverdrossenheit gefährlich ist und diese Verdrossenheit Hand in Hand geht mit einer erschreckenden Mobilisierung von Ressentiments im Verlauf der „Sarrazin-Debatte“. Da die Bekämpfung des Rechtsextremismus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und die Gegner rechter Gewalt auch auf positive Entwicklungen hinweisen sollten und können, sagte Klaus Staeck, dass „wir die Mitte der Gesellschaft für die Demokratisierung der Demokratie gewinnen müssen.“

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