Die Junge Freiheit und Carl Schmitt

Der Schmittismus der Wochenzeitung Junge Freiheit und seine Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz

Von Wolfgang Gessenharter

Eine Strategie der Neuen Rechten ist die Intellektualisierung. Mit der politischen Theorie von Carl Schmitt schaffen die Anhänger der Neuen Rechten es, die Grenzen zwischen rechtskonservativ und rechtsextremistisch aufzuheben: Das nennt sich dann „Schmittismus“. Der Begriff ist im engsten Umfeld der Jungen Freiheit (JF) im Jahre 2003 geprägt worden. In einer Schrift des mit der JF eng verbundenen Instituts für Staatspolitik (IFS) wird für die JF ein „verbreiteter ‚Schmittismus‘“ festgestellt. Möglicherweise soll dieser Begriff, der erst einmal aufgesetzt wissenschaftlich klingt, gerade dadurch ironisieren: „Schmitt – na und!?“

Carl Schmitt – ein kurzer Überblick über seinen Einfluss auf Weimarer Republik, NS-Staat und Bundesrepublik

Carl Schmitt (1888-1985) war im Umkreis der Konservativen Revolution einer der wirkmächtigsten intellektuellen Zerstörer der Weimarer Republik und Steigbügelhalter der Nazis bei ihrer Machtergreifung. Er galt nach 1933 ganz schnell als „Kronjurist“ der Nazis. Hermann Göring machte ihn, den Staatsrechts-Professor, 1933 zum „Preußischen Staatsrat“. Schmitt feierte diesen von den Nazis neu formierten Staatsrat als das „beste Beispiel“ dafür, „daß sich die Einrichtungen des neuen nationalsozialistischen Staates mit den Begriffen früherer Verfassungszustände nicht mehr begreifen“ ließen, und stellte mit Genugtuung fest: „Immer mehr versinken die Reste des liberal-demokratischen Systems.“ Von der Universität Köln wurde er in der zweiten Jahreshälfte 1933 an die Berliner Universität berufen. 1934 rechtfertigte Schmitt die Ermordung Röhms und anderer durch die Nazis in einem berühmtberüchtigten Artikel mit dem Titel „Der Führer schützt das Recht“. Obwohl Schmitt alles daransetzte, unter Hitler Justizminister zu werden, konnte er sich im engeren Machtzirkel um Hitler auf Dauer nicht etablieren. Er blieb dort suspekt wegen seines Katholizismus und seiner – von niemandem bis heute bestrittenen – außerordentlichen Gelehrsamkeit und humanistischen Bildung. Später hat Schmitt die Distanz zwischen ihm und den Nazi-Eliten als Folge seiner eigenen inneren Emigration zu erklären versucht.

Nach 1945 verhinderten die westlichen Alliierten die Rückkehr Schmitts auf einen Lehrstuhl an einer deutschen Universität. Gleichwohl blieb Schmitt weit über einen engen Kreis rechtskonservativer Eliten hinaus für viele ein geistiger Fluchtpunkt. Sein Haus im sauerländischen Plettenberg, von ihm „San Casciano“ in Anlehnung an den Exilort Machiavellis genannt – denn er fühlte sich in der neuen Bundesrepublik als Exilant –, wurde nachgerade zum Mekka trost- und sinnsuchender Zeitgenossen.

In vielen seiner nach 1945 erschienenen Publikationen überzog Schmitt die neue Bundesrepublik und insbesondere das 1949 in Kraft gesetzte Grundgesetz mit ätzendem Spott. So ironisierte er Verfechter dieses Grundgesetzes als „Grundgesetzler“ oder verspottete die im Grundgesetz festgelegten Grundrechte als „unveräußerliche Eselsrechte“. In der JF fand sich später die in der Tat korrekte Feststellung: „Wer mit dem Grundgesetz unter dem Kopfkissen schläft, braucht Carl Schmitt nicht. Wer jedoch erkannt hat, dass die Verfassung das Gefängnis ist, in dem die res publica der Deutschen – gerade auch nach der kleinen Wiedervereinigung – gefangen gehalten wird, greift gerade jetzt zu seinen Werken“ (JF Okt. 1992, S.17). Der Sinn dieser Sätze ist klar: Wir sollten uns an Carl Schmitt halten, dann bräuchten wir dieses Grundgesetz nicht! Bernd Rüthers, ein genauer Kenner des Schmittschen Denkens, stellt fest: „Schmitt war antiparlamentarisch, antidemokratisch und antiliberal eingestellt“ und hat seine Grundpositionen „völlig unbeeindruckt von allen Umwälzungen, die er miterlebte, lebenslänglich durchgehalten“.


Carl Schmitts Denken im eklatanten Widerspruch zum Grundgesetz

In der Tat sind die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und das Denken Carl Schmitts wie Feuer und Wasser. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes wussten, dass nur eine radikale Neubesinnung die deutsche Politik und Gesellschaft vom nationalsozialistischen Denken trennen und auf Dauer entfernen könne. Daher ist der Art.1GG bewusst ein Paukenschlag gegen die kollektivistische Sichtweise des Nationalsozialismus, der hier dieselbe Tradition aufnimmt, wie sie von Carl Schmitt und manchen anderen Wortführern der sog. Konservativen Revolution der Weimarer Republik vertreten wurde: Gegen Aufklärung, Humanismus, Menschenrechte und Demokratie, kurz gegen alle jene Strömungen, die sich in der berühmten Trias der Französischen Revolution zusammenfinden – Freiheit, Gleichheit, Solidarität.

Praktisch-politisch bedeutsam wird der Unterschied zwischen der Position des Grundgesetzes und Carl Schmitts in einer zentralen Prioritätenfrage, die in jeder Gesellschaft, die wir kennen, auftritt und geklärt werden muss: Es ist das immer strittige Verhältnis von Individuum und Kollektiv, z.B. Volk oder Staat. Für Carl Schmitt und die Nazis („Du bist nichts, dein Volk ist alles“) besitzt eindeutig das Kollektiv den Vorrang. Folgerichtig ist „politisch“ für Carl Schmitt „alles, was die Lebensfragen eines Volkes als eines einheitlichen Ganzen betrifft“. Das Grundgesetz weist dagegen dem Individuum die zentrale Rolle, dem Staat hingegen die dienende Rolle zu: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ (Art.1GG)

Das Volk wird von Schmitt, wie soeben zitiert, als ein „einheitliches Ganzes“ bezeichnet. Das Individuum kann also zu diesem Kollektiv nur ablehnend oder zustimmend stehen –tertium non datur! Insofern ist nur folgerichtig, dass die „spezifische politische Entscheidung“ diejenige von „Freund und Feind“ ist, wie Schmitt in seiner wohl bekanntesten Schrift „Der Begriff des Politischen“ (1928) schreibt. Ein Kollektiv kann nur überleben, wenn es homogen ist, alles „Heterogene“ muss „ausgeschieden oder vernichtet“ werden, so Carl Schmitt unumwunden. Es gibt also für Schmitt legitimerweise nur konfrontativ aufgebaute „die oder wir“-Konfliktsituationen in der Politik. Hermann Heller, einer der schärfsten Kritiker Schmitts in den 20er Jahren, bemerkte treffend, dass der Begriff „Politik“ sich bei Schmitt nicht von der athenischen „Polis“ und der dortigen Versammlungs-, Diskussions- und Entscheidungskultur, sondern vom griechischen Wort „polemos“, d.h. Krieg, herleite. Debatten über Interessenkonflikte, Regelung über Mehrheitsentscheidungen, gar Kompromisse sind nach Schmitt also nicht legitime Verfahrensweisen, die in Parlamenten ausgeübt werden können und müssen, sondern überflüssige und sogar schädliche Ausflüsse eines bloßen Geredes in Schwatzbuden, als welche Parlamente schon gerne einmal in dieser Tradition Schmitts bezeichnet werden. Politische Entscheidungen sind danach normativ voraussetzungslose Entscheidungen, die sich nur an den Interessen des jeweiligen Kollektivs orientieren dürfen. Diese Interessen sind aber in einem homogenen Kollektiv relativ einfach zu ermitteln. Pluralismus ist für Schmitt insofern selbstverständlich ein Gräuel, er ist Zersetzung des Kollektivs, des Staates. Und eine Orientierung an den Menschenrechten wäre Betrug am homogenen Volk: „Wer Menschheit sagt, will betrügen“. So Carl Schmitt apodiktisch. Der Staat muss vielmehr einem autoritären Etatismus folgen.

Es ist klar: Dieser Staat kann niemals, wenn er seiner Bestimmung nachkommen will, der der Würde des Menschen dienende Staat sein; er kann nicht die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art.2GG) tolerieren, ebenso wenig wie Meinungsfreiheit (Art.5GG) oder die Rechtsgleichheit der Menschen (Art.3GG). Genauso wenig kann er Rechtsstaat, Republik oder Sozialstaat sein, wie es Art.20GG verbindlich und unveränderlich festlegt.

Der berühmte Schriftsteller Ernst Jünger, der von manchen ebenfalls den Vordenkern der Neuen Rechten zugerechnet wird, hatte schon 1930 erkannt, wie sehr Carl Schmitts Denken und Schreiben gegen die verhasste Weimarer Republik gerichtet war. In einem Brief an Carl Schmitt v. 15.10.1930 würdigt er begeistert dessen oben erwähnte Schrift „Der Begriff des Politischen“: „Die Abfuhr, die allem leeren Geschwätz, das Europa füllt, auf diesen 30 Seiten erteilt wird, ist so irreparabel, daß man zur Tagesordnung, also um mit Ihnen zu sprechen, zur Feststellung des konkreten Freund-Feind-Verhältnisses übergehen kann. Ich schätze das Wort zu sehr, um nicht die vollkommene Sicherheit, Kaltblütigkeit und Bösartigkeit Ihres Hiebes zu würdigen, der durch alle Paraden geht. Der Rang eines Geistes wird heute durch sein Verhältnis zur Rüstung bestimmt. Ihnen ist eine besondere kriegstechnische Entwicklung gelungen: eine Mine, die lautlos explodiert. Man sieht, welch Träumerei, die Trümmer zusammensinken: und die Zerstörung ist bereits geschehen, ehe sie ruchbar wird.“ Dichterisch begeisterter kann man kaum jene nachhaltige Zerstörung der Weimarer Republik feiern, zu der sich ja auch Ernst Jünger selbst bekannte. So schreibt er in seinem Buch „Der Arbeiter“ am Ende der 20er Jahre: „Die beste Antwort auf den Hochverrat des Geistes gegen das Leben ist der Hochverrat des Geistes gegen den Geist; und es gehört zu den hohen und grausamen Genüssen unserer Zeit, an dieser Sprengarbeit beteiligt zu sein.“

Carl Schmitt – wichtigster Gedankenspender für die „Junge Freiheit“

Die JF hat seit ihrem Bestehen keine Gelegenheit ausgelassen, Carl Schmitts Denken als vorbildlich hinzustellen, ihn in einer Art zu preisen, die bis zur Heroisierung reichte. Dabei ist festzuhalten, dass ihre stilbildenden Autoren sehr genau wissen, dass Carl Schmitts Denken und die klaren Intentionen des Grundgesetzes in keiner Weise in Harmonie zu bringen sind. Dies ist, um nur einige Beispiele zu nennen, eindeutig nachzuweisen bei Karlheinz Weißmann, einem der Vordenker der intellektuellen Neuen Rechten und ständigem Autor der JF. In der JF (v. 26.9.2003) schrieb eine JF-Redakteurin einen Artikel mit der bezeichnenden Überschrift „Sozialstaat abbauen“, der ein Paradebeispiel für eine Sozialstaatsreform à la Carl Schmitt darstellt. Mittlerweile ist diese Redakteurin bei der JF aus- und bei dem im rechtsextremen Bereich führenden Theorieblatt Nation&Europa eingestiegen. Selbstverständlich werden neben Carl Schmitt auch weitere Vertreter der Konservativen Revolution der Weimarer Republik als „Code und Programm“ der JF ständig gepflegt, was bereits 1993 die JF zu dem Werbeslogan führte: „Jedes Abo eine konservative Revolution“.

Die politische Mimikry der JF und ihre Chance bei der politischen Ahnungslosigkeit in der Mitte der Gesellschaft

Wenn ich recht sehe, hat die JF in den letzten etwa zwei Jahren keine derart prononcierten Beiträge in unmittelbarer Gefolgschaft zu Carl Schmitt und damit in harter Gegnerschaft zum Grundgesetz mehr veröffentlicht. Nichtsdestoweniger werden die Leser nach wie vor auf seine große Bedeutung für das politische Denken der Gegenwart hingewiesen. Es mag mit einer bestimmten Strategie der Jungen Freiheit zusammenhängen, dass sie sich in den letzten zwei bis drei Jahren in ihrer früheren Carl Schmitt-Verehrung etwas bremst. Vermutlich wollte sie im Rechtsstreit mit dem Innenministerium NRW keine allzu offenkundigen Argumente liefern, die gegen sie hätten verwendet werden können. Andererseits wollte und konnte man nicht einen der zentralen Vordenker einer Neuen Rechten völlig in der Versenkung verschwinden lassen, wenn man sich nicht bei seinen treuen Lesern den Vorwurf einer zunehmenden Profillosigkeit zuziehen wollte. Insofern erfüllt das Eingeständnis eines „Schmittismus“ eine Strategie, die schon 1986 der oben erwähnte Karlheinz Weißmann propagiert hat: Man solle sich bei öffentlichen Äußerungen eines Anpassungsverhaltens bedienen, das sich aus der Beurteilung einer Situation ergebe, nämlich „ob hier der offene Angriff oder die politische Mimikry gefordert ist“.

Für die Strategie der politischen Mimikry kommt der JF derzeit zu Pass, dass Carl Schmitt seit einiger Zeit wieder vermehrt auch über den engeren Kreis der Neuen Rechten hinaus Aufmerksamkeit erhält. So sind Briefwechsel und frühe Tagebücher von ihm ediert worden, seine Thesen zur weltpolitischen Situation sind für manchen vor dem Hintergrund der amerikanischen Hegemonie von Bedeutung. Immer gilt, dass Carl Schmitt ein manchmal sogar brillant formulierender Denker war, der über ein großes Wissen verfügte und dessen intellektuelle Konsequenz formidabel ist. Diese Vorzüge sind genauso wenig zu leugnen wie andererseits die Tatsache, dass er immer ein Vertreter einer politischen Ideologie war, die einer pluralistischen, freiheitlich und menschenrechtlich orientierten Grundrichtung, die das Grundgesetz auszeichnet, eindeutig zuwider läuft. Wer sich in die ideologische Nachfolge Carl Schmitts stellt, kann nicht die freiheitliche demokratische Grundordnung unterstützen. Insofern ist es nicht nur erstaunlich, sondern auch befremdlich, dass sich manche prominente Vertreter aus Politik, Gesellschaft und Kultur, von denen die meisten sicherlich nicht mit grundgesetzfeindlichen Positionen in Verbindung gebracht werden können, vor den Karren der JF spannen lassen, indem sie sich zu Interviews oder anderen Publikationen in diesem Blatt bzw. zu Unterstützungsaktionen für dieses Blatt hergeben. Damit wird – wenigstens indirekt – eine ideologische Richtung verharmlost, die alles andere als harmlos mit dem Grundgesetz und seinen Zielen umgehen würde, wenn sie dazu jemals in der Lage sein sollte.

drucken