Für die rechtsextreme Szene ist das Internet zum zentralen Ort ihrer Binnenkommunikation geworden – es stabilisiert und festigt die unterschiedlichen Strömungen. Dieses Fazit zieht Kai Brinckmaier in seinem Buch "Bewegung im Weltnetz: Rechtsextreme Kommunikation im Internet". Belltower.news hat ihn interviewt.
netz-gegen-nazis.de: Herr Brinckmeier, Sie haben insgesamt acht Jahre an "Bewegung im Weltnetz" gearbeitet – was war Ihr Ausgangspunkt ?
Kai Brinckmaier: Meine ursprüngliche Motivation war, dass die bisherige Forschung zu dem Thema vor allem mit einer Mikroperspektive arbeitete – also einzelne Aspekte wie etwa die Frage "Woran erkennen wir Rechtsextremismus?" erforscht hat. Das ist richtig und wichtig, aber eben nur ein kleiner Ausschnitt. Mein Ansatz war, die Bedeutung der Internetkommunikation aus der Vogelperspektive zu beleuchten, als ein Puzzleteil des großen Ganzen. Dazu musste ich allerdings rausfinden, wie Rechtsextremismus eigentlich definiert ist. Um diese Frage kreist eine in meinen Augen sehr normativ geprägte Debatte.
Sie sind dann so vorgegangen, dass Sie den Rechtsextremismus als Bewegung verstehen …
… genau, allerdings definiere ich Bewegung nicht normativ, sondern strukturell. Geht man so vor, sind sich Bewegung und Rechtsextremismus sehr ähnlich: Es gibt Frames, Netzwerke und Aktionen. Beim Rechtsextremismus gibt es zwar unterschiedliche Akteure – Neonazis, freie Kräfte, Esonazis und und und – doch diese haben einen verbindenden Frame. Zudem hat die Vernetzung in der rechtsextremen Szene in den vergangenen 20 Jahren stark zugenommen. Insgesamt empfinde ich also den Begriff der Bewegung als sehr geeignet zur Beschreibung – die ich so in der Literatur nicht gefunden habe.
Was ergibt sich aus dem Bewegungsbegriff?
Die Bewegungsforschung sagt, dass eine Bewegung eine – positive - Öffentlichkeit braucht, um Ressourcen zu akquirieren …
… wobei der Rechtsextremismus nun nicht wirklich eine positive Öffentlichkeit hat.
Richtig. Hier besteht eine Diskrepanz: In Deutschland hat der Rechtsextremismus vor allem in den Medien keine positive Öffentlichkeit. So würde ich auch eher sagen, dass er bewegungsförmige Elemente hat. Meine These lautet, dass die Online-Kommunikation und die Entwicklung zu einer Bewegung parallel verlaufen sind. Denn das Internet erlaubt eine effiziente Nutzung der wenigen Ressourcen. Dementsprechend fand durch das Internet ein Wandel der Kommunikation statt: In der Online-Welt werden wesentlich kleinere Öffentlichkeiten sichtbar. Und auch wenn diese kleiner sind, werden sie gefunden – und können so zumindest theoretisch auch größere Öffentlichkeiten gewinnen, wenn auch keine massenmedialen.
Wie hat das Internet denn die rechtsextreme Kommunikation verändert?
Entscheidend ist in meinen Augen, dass die Binnenkommunikation enorm effizient geworden ist. Im Internet hat sich ein Kommunikationsraum gebildet, der das Leben in einer rechtsextremen Welt möglich macht: Es gibt rechtsextreme soziale Netzwerke, man kann rechtsextreme Musik bestellen und sogar in einer eigenen Partnerbörse surfen. Dieser Raum ist wiederum für die Bewegungsidee wichtig, denn er ermöglicht beispielsweise eine gezielte Mobilisierung und stärkt die kollektive Identität. Dazu kommt, dass er nicht abgeschlossen ist. Es gibt immer Schnittstellen zum nicht-virtuellen Raum, wenn etwa Aktionen vor- oder nachbereitet werden. Ich vermute auch, dass diese Aktionen durch den binnenkommunikativen Raum und die Bewegungsentwicklung mittlerweile effizienter organisiert werden. Ich denke, dass sie häufiger stattfinden, wenn auch nicht unbedingt mit mehr Teilnehmern als früher.
Welche Rolle spielen dabei die sozialen Netzwerke?
Hier finden Diskurse statt, was ich sehr bemerkenswert finde. Denn gerade der Rechtsextremismus ist von Hierarchien geprägt – eine Tatsache, die Diskursen eigentlich entgegensteht. Doch in den sozialen Netzwerken wird diskutiert. So überträgt sich hier die moderne Entwicklung in die virtuelle Welt. Denkt man also den Rechtsextremismus als Bewegung, dann lässt er sich nicht von der Online-Kommunikation trennen. Und das hat sich eben parallel entwickelt. Dazu kommt, dass die Rechtsextremen das Internet extrem früh für sich entdeckt haben.
Aber kann man denn wirklich von einer rechtsextremen Bewegung sprechen?
Ja, man sollte ihn als eine Bewegung definieren, die aus ganz verschiedenen ideologischen Strömungen besteht. Ich denke da an die Neue Rechte, Altrechte, Skinheads, den Neonazis als größtem Bereich inklusive der Autonomen Nationalisten usw. All diese Strömungen sind in sich unterschiedlich, stehen aber nicht unverbunden nebeneinander. Wenn man eine ideologische Perspektive wählt, kann man zwar Trennungen ziehen. Das macht allerdings für die Bewegungstheorie keinen Sinn, weil sich die Frames gar nicht unterscheiden. Ich meine damit, dass das ideologische Grundparadigma bei allen da ist, etwa Nationalismus oder Antisemitismus, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung. Das macht ein gewisses Maß an Gleichheit möglich. Dennoch ist es eine sehr kleine Bewegung, kein Massenphänomen wie etwa die Anti-AKW-Bewegung. Zudem tritt die rechtsextreme Bewegung zu relativ wenigen Anlässen geschlossen auf, eine Ausnahme bilden die jährlichen Aufmärsche in Dresden. Bewegungsforscher wie Joachim Raschke befassten sich bereits in den 1980er Jahren mit neuen sozialen Bewegungen, und sprachen schon damals von den Netzwerken eines Netzwerks. Genau so würde ich auch den Rechtsextremismus als Bewegung charakterisieren.
Ist es denn überhaupt wichtig, ob man nun von dem Rechtsextremismus als Bewegung oder verschiedenen rechtsextremistischen Bewegungen spricht?
In meinen Augen schon. Denn es besteht immer die Gefahr des Missbrauchs von Begriffen. Wenn etwa von der Neonazi-, der Skinhead- oder Esonazi-Bewegung gesprochen wird, dann erweckt das einen falschen Eindruck.
Welchen Nutzen soll vor diesem Hintergrund Ihre Arbeit erfüllen?
Es gibt viele Projekte gegen Rechtsextremismus und Arbeiten wie meine können die Gesamtperspektive bereichern. Denn wenn Begriffe, die man benutzt, nicht wirklich untermauert sind, könnte man Strategien entwickeln, die ins Leere laufen. In diesem Sinne verstehe ich meine Arbeit als zusätzlichen Beitrag und einen Weg, falsche Begriffe zu vermeiden. Denn die Gefahr bei nicht ausgearbeiteten Begriffen ist, dass man nicht genau weiß, worüber man eigentlich redet.
Sie haben sich nun viele Jahre mit Rechtsextremismus im Netz beschäftigt – sind Ihnen dabei erfolgreiche Gegenstrategien begegnet?
Es gab tatsächlich einige Foren, in denen jemand aus der linken Szene etwas geschrieben hat – das bringt meiner Meinung nach aber nichts. Gegenstrategien im Netz sind für mich nur da sinnvoll, wo es einen legitimen Rahmen gibt, also zum Beispiel das Melden von Inhalten bei Facebook. Generell sehe ich das Internet eher als Beobachtungsinstrument – wobei die Nazis es allerdings genauso nutzen.
Was meinen Sie damit?
Sieht man die Internetkommunikation der Rechten aus der Perspektive der Luhmannschen Systemtheorie, dann beobachten Nazis ihre eigene Öffentlichkeit – und diese kann man wiederum auch beobachten. Das ist fast wie ein Fernseher, der zeigt, was es eigentlich gibt. Als Strategie ergibt das: Beobachten und da, wo es sinnvoll ist, löschen. Obwohl ich grundsätzlich kein Freund der Zensur bin …
Und weitere Strategien?
Alles, was darüber hinausgeht, muss die Internetwelt verlassen und beim Menschen ansetzen – zum Beispiel durch Aufklärung, Bildung oder auch Aussteigerprogramme – das ist für mich der zentrale Punkt. Der Rechtsextremismus muss in den entsprechenden Bereichen entzaubert werden, durch eine sachliche Auseinandersetzung und nicht durch Draufhauen.
Das Interview führte Alice Lanzke.