Thüringen ist nach wie vor das einzige Bundesland ohne Landesprogramm gegen Rechtsextremismus. Dessen Einführung wurde zwar im 2009 beschlossen - doch die Verhandlungen gehen nicht voran, sondern eher zurück. Jetzt kündigen einige Bürgerbündnisse aus Protest gegen das wenig transparente und konsequente Vorgehen der offiziellen Landesprogramm-Kommission die Zusammenarbeit auf.
Von Tobias Willms
Probleme des Landesprogramms und aktuelle Entwicklung
Bürgerbündnisse in Thüringen beteiligen sich nicht weiter an der Erarbeitung eines Landesprogramms gegen Rechtsextremismus. In einer kurzen Erklärungen halten die Bündnisse fest: „Ein Landesprogramm nach dem vorliegenden Entwurf schwächt die gewachsenen Strukturen und die praktische Arbeit gegen Rechtsextremismus.
Daran werden wir uns nicht weiter beteiligen. Wir fordern ein wirksames Landesprogramm gegen Rechtsextremismus.“ Diese Erklärung ging vom Eisenacher Bündnis gegen Rechtsextremismus aus, angeschlossen haben sich zudem die AG Rechtsextremismus des Bürgertisches für Demokratie Erfurt, das Weimarer Bündnis und das Jenaer Aktionsnetzwerk, das Bündnis in Hildburghausen und das Geraer Aktionsbündnis gegen Rechts.
Im Frühjahr 2010 hatte sich innerhalb der Thüringenvernetzung der Bündnisse und Initiativen gegen Rechtsextremismus eine Arbeitsgruppe „Landesprogramm“ gebildet. So wollte sich die Zivilgesellschaft an der Erarbeitung des Landesprogramms konstruktiv beteiligen. Enttäuscht hält Sebastian Krieg im Namen des Eisenacher Bündnisses gegen Rechts fest: „Glaubten wir noch vor Monaten, es sei die Mühe wert, sich in einen Prozess einzubringen, in dem die Beteiligung der lokalen und regionalen Akteure und Gremien offensichtlich nie erwünscht war, geben wir an dieser Front jetzt auf.“ Die Bündnisse und Initiativen fühlen sich übergangen.
Die Kritik bezieht sich unter anderem auf intransparente Entscheidungsprozesse. Ein kleiner Arbeitskreis sollte lediglich einen Vorschlag für die Ausgestaltung eines gemeinsamen Rahmens erarbeiten. In dieser kleinen Arbeitsgruppe waren neben den Kommunen, den zuständigen Ministerien, den Kirchen und dem DGB auch der Verfassungsschutz vertreten. Dieser Arbeitskreis veränderte allerdings die bis dahin von allen Beteiligten akzeptierte Präambel. Die bisherige Präambel hielt fest, dass in Thüringen die größte Herausforderung der Rechtsextremismus ist. Martina Renner, Abgeordnete der Linkspartei im thüringischen Landtag, erläutert zu der neuen Fassung, dass „die CDU will, dass die Präambel verändert wird, und nun von Rechts- und Linksextremismus, von rechter und linker Gewalt und von rechtsextremen wie von linksextremen Parteien gesprochen werden müsse. Das bedeutet eine Verharmlosung der rechten Gewalt.“ Aufgrund dieser Veränderung kam es im Juni zu einem Eklat über die Frage, wie oft und in welchem Kontext der Begriff Extremismus in dem Textentwurf auftaucht.
Diese Veränderung ist wichtig, weil sie eine Infragestellung des bisherigen inhaltlichen Konsenses ist, nämlich, dass Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Demokratie in Thüringen ist. Die inhaltliche Verschiebung hat aber auch für die Einbeziehung der Zivilgesellschaft konkrete Folgen. Deren Vertreterinnen und Vertreter fühlen sich nun in ihrer Problemwahrnehmung übergangen – und das, obwohl sie es sind, die oft schon jahrelang täglich für die Demokratie einstehen und deren Arbeit deshalb eigentlich im Mittelpunkt eines nachhaltigen Konzepts gegen Rechtsextremismus stehen müssten. Luise Zimmermann vom Jenaer Aktionsnetzwerk meint, dass „die Erarbeitung des Landesprogramms schon formal im Widerspruch zum eigentlichen Anliegen steht. Anstatt demokratische Partizipation zu fördern, kommt obrigkeitsstaatliches Denken zum Vorschein.“ Beispiel dafür sei die Idee der Regionalkonferenzen. Eigentlich gedacht, um Aktive überall in Thüringen frühzeitig einzubeziehen, verkommen sie nun - als letzte Station - zu einer Alibiveranstaltung, die Beteiligung nur vortäuscht.
Unterschiedliche Konzepte der zukünftigen Arbeit
Ein anderer Kritikpunkt ist die Art und Weise der zukünftigen Finanzierungsmodelle. Der aktuelle Vorschlag ist, das Konzept der „lokalen Aktionspläne“ beizubehalten. Hierbei werden Projekte aus Mitteln des Bundesprogramms finanziert und in kommunaler Verantwortung durchgeführt. Martina Renner kritisiert mögliche Probleme aufgrund der kommunalen Verantwortung – aus konkretem Anlass: „Die Geldvergabe ist abhängig von einem positiven Votum der kommunalen Verwaltung. Man kann sich denken, was passiert, wenn ein Bündnis Geld von einem Bürgermeister beantragt, der selbst Sympathisant der Partei ’Pro Deutschland’ ist, wie zum Beispiel in Arnstadt: Dann gibt es kein Geld.“ Zudem soll das Geld nur noch an institutionelle Projekte vergeben werden, wodurch Ehrenamtliche und kleine Initiativen nicht die Möglichkeit haben, eine Finanzierung zu erreichen. Zivilgesellschaftliche Akteure sind oft nicht in formale Strukturen eingebunden. Die Thüringenvernetzung der Bürgerbündnisse fordert deshalb eine niedrigschwellige Finanzierung im Rahmen eines Interventionsfonds.
Die Thüringenvernetzung spricht sich für „regionale Aktionspläne“ aus. Der regionale Bezug weist laut Bürgerbündnissen einige Vorteile auf: Aufbauend auf den bereits vorhandenen Erfahrungen, die die mobilen Beratungsteams sammeln konnten, ist eine kompetente Beratung gewährleistet. Ziel der regionalen Aktionspläne ist die Unterstützung lokaler Akteure und ein reger Erfahrungsaustausch, wodurch auch regionale Kooperationen ermöglicht werden. Mit den regionalen Aktionsplänen ist eine mobile Beratung verbunden, die nach dem Vorschlag der Thüringenvernetzung unabhängig von den Bundesprogrammen zu erhalten und zu fördern sei. Die Mobile Beratung Thüringen (MOBIT) weist bezüglich der gemeinsamen Arbeit mit Akteuren vor Ort langjährige Erfahrung auf.
Wie geht es weiter?
Nach Ansicht der beteiligten Akteure ist es eine zentrale Anforderung an ein Landesprogramm, dass es passgenau auf die Probleme bezüglich des Rechtsextremismus in Thüringen eingehen kann. Deshalb, so die Thüringenvernetzung, muss die Zivilgesellschaft „auf Augenhöhe mit allen Beteiligten an der Entwicklung, Umsetzung und Fortschreibung des Landesprogramms zu beteiligen ist.“ Die formulierte Kritik ist insofern vor allem als Warnsignal zu verstehen: Gefordert wird die Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Akteure.
Die auch auf Bundesebene geführte Debatte über eine Neuausrichtung der Programme gegen Rechtsextremismus könnte sich in Thüringen negativ auf zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus auswirken – gerade, weil es hier noch nicht den gesellschaftlichen Konsens eines Landesprogrammes gibt. Die Thüringenvernetzung ist der Ansicht, dass „ein Programm auf Grundlage der Extremismustheorie, das auch antifaschistisches und zivilgesellschaftliches Engagement unter Verdacht stellt, kontraproduktiv ist.“ Martina Renner sieht auch das so propagierte Verständnis von Zivilgesellschaft kritisch: „Eine andere problematische Entwicklung ist, dass anscheinend der Verfassungsschutz als Teil der Zivilgesellschaft angesehen wird, wenn dieser zum Beispiel verstärkt an Schulen interveniert. Jemanden, der dir ‘Guten Tag‘ sagt und sich vorstellt, dabei aber einen falschen Namen nennt, als Teil der Zivilgesellschaft zu begreifen, führt den Begriff Zivilgesellschaft ad absurdum."
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