Zur Bundestagswahl 2017 verschärft sich der Ton im politischen Diskurs. Es wird über kulturelle und nationale Zugehörigkeit debattiert, völkische Positionen finden Eingang in die Debatte. Das erschwert auch die Arbeit für Vereine, die Rechtsextremen beim Ausstieg aus der Szene helfen wollen.
Von Simon Raulf
„Die Politik sollte ein deutliches Signal der Anerkennung der Ausstiegs-und Distanzierungsarbeit setzen.“
So heißt es im Positionspapier „Zivilgesellschaftliche Strukturen stärken – Ausstiegsarbeit etablieren“, das Sebastian Jende von „Ausstieg zum Einstieg e.V.“ am 08.03.2017 im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin vorstellt. Der Verein ist ein Zusammenschluss von neun bundesweit verteilten Initiativen, die sich nach der Förderung des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Familie von 2009 bis 2014 im Rahmen des XENOS-Sonderprogramms selbstständig gemacht haben. Das sind „Drudel 11 e.V.“ in Thüringen, die „Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt (Arug)“ in Braunschweig, „Rote Linien“ aus Marburg/Lahn, „JUMP“ in Mecklemburg-Vorpommern, „Kurswechsel“ in Hamburg, „Vaja e.V.“ Bremen und das „Violence Prevention Network“ in Berlin. Die Vereine sind Anlaufstellen für Rechtsextreme, die aus der Szene aussteigen wollen, aber auch für Menschen, die im Verwandten- und Freundeskreis oder im Beruf in Kontakt mit Rechtsextremen kommen.
Es geht um eine Aufwertung der Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit. Denn die beinhaltet nicht nur, Rechtsextremen beim Ausstieg aus der Szene zu helfen, sondern auch, Präventionsarbeit zu leisten. Gute Jugend- und Sozialarbeit sei der Schlüssel, um einem Abrutschen in die rechte Szene vorzubeugen. Rechtsextreme seien in vielen Bereichen aktiv und präsent, in Sportvereinen, Kultur-, Erziehung- oder Bildungsinitiativen, so Jende. Daher sei ein Ausstieg aufwendig und als langwieriger Prozess angelegt. Im Schnitt werden Klient_innen ein bis zwei Jahre lang betreut. Wichtig ist dabei eine Perspektive für potentiellen Aussteiger_innen, aber auch für die Betreuer_innen, da Kontinuität und Vertrauen die Basis der Zusammenarbeit sind. Schwierig wird es zum Beispiel, wenn ein Klient oder eine Klientin umzieht und in eine Region kommt, in der keine passende Unterstützung gewährleistet werden kann.
Im Positionspapier wird deswegen explizit eine Gleichberechtigung der Ausstiegsarbeit mit der Mobilen Beratung und Opfer- bzw. Betroffenenberatung gefordert. Dies, so betont der Verein, sei nicht als Konkurrenz gemeint - man spreche schließlich unterschiedliche Ebenen eines Prozesses an. Das gemeinsame Ziel sei ja „demokratische Strukturen zu stärken und menschenfeindlichen Einstellung entgegenzuwirken“ – auch, um Gewalttaten mit rechtsextremem oder menschenfeindlichem Hintergrund zu verhindern. Diese sei neben der „konsequenten und zielgerichteten polizeilichen und juristischen Ermittlungsarbeit sowie Verurteilung von Straftäter_innen“, ein wichtiger Teil im Kampf gegen Rechtsextremismus.
Sebastian Jende kündigte zudem die engere Zusammenarbeit mit Medien und Wissenschaft an. Er erhoffe sich einen Wissenstransfer. Aus der praktischen Arbeit könne man auf Probleme und Erfahrungen hinweisen, währenddessen Wissenschaftler_innen den Projekten bei der Verbesserung ihrer Methoden helfen können. Wichtig sei zudem, Netzwerke aus Sozialarbeiter_innen und Lehrer_innen aufzubauen, um sie sensibel für die Problematik zu machen.
Als zusätzliche Herausforderung sieht der Verein das gesellschaftliche Klima vor den Bundestagswahlen 2017. Durch Demonstrationen und Aussagen von Rechtspopulist_innen haben „völkisch-nationalistische bis hin zu geschlossenen rechtsextremen Positionen“ Einzug in die Debatte gefunden und bestimmen den aktuellen Diskursraum. So heißt es im Konzept: „In einem gesellschaftlichen Klima, in dem Menschenfeindlichkeit offen kommuniziert wird, fällt es zunehmend schwerer, eine glaubwürdige Alternative zu rechtsextremen Lebens- und Gedankenwelten für potenzielle Ausstiegswillige innerhalb dieser Gesellschaft darzustellen.“