Sinti und Roma werden im Film immer noch viel zu häufig als Kriminelle oder feindlich gesinnte Fremde dargestellt. So werden Stereotype und Vorurteile reproduziert, die etwa in der Literatur seit Jahrhunderten wirksam sind. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Antiziganismus und Film ist bisher nebensächlich geblieben. Eine Konferenz in Berlin will das nun ändern.
Von Franziska Rocholl
Am Mittwoch, den 21.Februar startete in Berlin die Konferenz "Antiziganismus und Film". Die Initialzündung für die Entwicklung der Konferenz war der mit staatlicher Finanzierung produzierte Kinderfilm "Nellys Abenteuer". In diesem Kinderfilm geht es um das deutsche blonde Wohlstands-Teenie-Mädchen Nelly, die mit ihren Eltern nach Rumänien reist. Hier wird sie von kriminellen Roms entführt und in ein unterzivilisiertes Roma-Dorf in den Bergen verschleppt. Letztendlich helfen ihr zwei Roma-Teenies bei der Flucht und Nelly wird wieder mit ihren sie liebenden Eltern vereint.
In der Absicht, Kindern und Jugendlichen die Minderheit der Sinti und Roma näher zu bringen, bereitete der Film antiziganistische Stereotype auf und reproduziert sie. Obwohl der Film vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma stark kritisiert und von einer Ausstrahlung abgeraten wurde, wurde er im vergangenen Jahr auf dem Kinderkanal als auch im SWR ausgestrahlt. Die Debatten zwischen dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und dem SWR zeigten, dass der Film zwar mit guter Absicht entstanden ist, aber eine große gesellschaftliche Wissenslücke im Bereich Antiziganismus besteht. Dem soll nun mit der ersten europäischen Konferenz zum Thema "Antiziganismus und Film" entgegen getreten werden
Sowohl Spielfilme als auch Dokumentationen haben einen sozialen Effekt auf die Zuschauer_innen. Genau wie der Antisemitismus, ist Antiziganismus hunderte Jahre alt. Und so ist es leider auch wenig verwunderlich, dass die rassistischen Stereotype einer im Kern antiziganistischen Gesellschaft in Filmen wiedergegeben werden. Deswegen müssen sich insbesondere Filmeschaffende ihrer Verantwortung als Reproduzenten von antiziganistischen Stereotypen stellen. Romani Rose betonte, Ziel der Auseinandersetzung mit diesem Thema ist nicht die Zensur, sondern eine Sensibilisierung für antiziganistische Strukturen.
Eine gelungene Auseinandersetzung mit der Historie und Lebenswirklichkeit der Sinti und Roma ist beispielsweise der Dokumentarfilm "Zigeuner sein" (1970) von Peter Nestler, der den verschwiegenen und verleugneten NS-Völkermord an den Sinti und Roma thematisierte und den Überlebenden dadurch eine Stimme gab.
Filme können Empathie und Zuneigung oder auch Ablehnung und Antipathie produzieren. Filme können aber keine objektive Wahrheit abbilden, sondern sind stets subjektive Darstellungen. Sie sind immer auch ein Abbild der Weltsicht derjenigen, die den Film tatsächlich produziert haben: Drehbuchautor_innen, Regiseur_innen, Schauspieler_innen, Kostüm- und Szenenbilder_innen.
Während des Fachgesprächs wurde erarbeitet, dass Recherche allein nicht die Produktion von antiziganistischen Bildern stoppt. Darauf aufbauend wurde von den Teilnehmenden diskutiert, welche Maßnahmen möglich sind, um die Produktion von antiziganistische Inhalten schon früher zu verhindern.. Über Workshops und Trainings sowie speziellen Förderungen von Medienschaffenden aus der Minderheit wurde laut nachgedacht. Im gleichen Zuge wurde bemerkt, wie schwierig es ist, auch bei solchen Lösungsansätzen dem Ergebnis keinen Stempel „Minderheit“ aufzuzwingen. Auch die Frage, ob Nicht-Angehörige der Minderheit über die Minderheit Filme produzieren dürfen, wurde besprochen. Dieser Vorschlag wurde von Herrn Rose abgelehnt. Es soll die Reflektion von medialen Antiziganismus weiter voran gebracht werden und ethische und moralische Verpflichtungen gegenüber der Minderheit bewusst gemacht werden. Das soll schließlich dazu führen, dass Antiziganismus im Film nicht mehr reproduziert wird.
Medien sind bewusstseinsbildend und Filme stehen in einem historischen Kontext. Im Fall des Antiziganismus ist es ein Kontext von langanhaltender Stigmatisierung und Diskriminierung, daher bedarf es bei Produktionen mit dieser Thematik einer besonderen Sensibilisierung.