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Antisemitismusstreit am Falafelstand auf dem Berliner Kollwitzplatz

Der Streit zwischen zwei Männern auf dem Wochenmarkt am Kollwitzplatz war Anfang des Monats durch die Presse gegangen: Es wehrte sich der Israeli Ze‘ev Avrahami gegen die antisemitischen Sprüche und Praktiken des palästinensischen Falafelverkäufers Mohammed H..  

Von Anna Loges

Ze‘ev Abrahami hält seine Mahnwache an der Ecke Kollwitzstraße-Wörther Straße und informiert auf Pappschildern in kurzen Slogans über Erfahrungen mit H. . Auf einem Schild steht: "Falafelpreis für Alle 3 € - Israelis und Juden zahlen 5 €“. Auf einem anderen "Er hat mich angeschrien: Hitler hat seine Arbeit noch nicht vollendet."

Für den vergangenen Samstag hatte Ze‘ev seine vierte Mahnwache angemeldet. Unterstützt wurde er von einer Handvoll Menschen. Zuerst klingt diese Geschichte obskur: Zwei Männer, die Zoff haben und dafür den israelisch-palästinensischen Konflikt bemühen. Oder steckt doch mehr dahinter? Ich mich auf dem samstäglichen Markt auf dem Kollwitzplatz umgeschaut.

 

“Ich finde es gut, dass ihr euch wehrt”

Ich war noch keine Minute auf dem Markt, da stand ich mittendrin im Geschehen: Ein Mann sagte gerade in sehr gutem Deutsch zu den Demonstrierenden: "Toll dass ihr das macht! Ich komme aus dem Iran und hatte auch einen ernsten Streit mit dem Falafelmann. Seitdem gehe ich ungern an seinem Stand vorbei. Der ganze Markt ist mir durch ihn verleidet.“

Ich hörte folgende Geschichte: Der Falafelverkäufer fragt gerne nach, wo die Vorbeigehenden herkommen, er bietet Kostproben an und zieht die Menschen so in Gespräche, besonders gerne über Politik. Als er nun "Iran“ hörte, soll er den Kunden für einen Verbündeten gehalten haben und begann, auf das “Krebsgeschwür Israel” zu schimpfen. Sein Credo war: Israel müsse vernichtet werden, es dürfe nur ein Staat übrig bleiben. Und der hieße Palästina.

Der iranische Kunde hielt dagegen, dass nicht die Rede davon sein dürfe, etwas auszurotten, auch keinen Staat, denn es ginge dabei ja immer um Menschen.

Der Streit sei schließlich lautstark eskaliert, sie hätten einander angebrüllt und der Kunde sagte, er meide seitdem den Markt. "Ich bin heute nur gekommen, um euch zu sagen, dass ich es toll finde, dass ihr seinen Hass zur Sprache bringt und euch wehrt.“

H. bestreitet die Vorwürfe. Der BZ sagte er: " 98 Prozent der Menschen lieben mich. Ich sage nur, meine 'Falafel kommt aus Palästina‘. Alles andere sind Lügen."

 

“Den Falafelverkäufer platt machen”

Trotz H.s Bekundungen erschien es mir, als ginge es nicht um einen persönlichen Streit zwischen den Kontrahenten Ze'ev und Mohammed, sondern um den Hass eines Palästinensers auf Juden und Israel. 

Alle die wollen oder die es betrifft, können diese Form des Antisemitismus einordnen. Andere begreifen gar nicht den Zusammenhang. Wie z.B. eine junge Frau, die ihrem Freund im Vorbeigehen sagte: "Au weia, guck mal, da stehen wieder die Rechten. Die wollen den Falafelverkäufer platt machen.“

Der war an diesem Samstag allerdings gar nicht da. Als Vertretung verkauften zwei junge Männer am Stand. Sie boten ebenfalls Kostproben an und betonten jedes Mal: "Bei uns zahlt jeder das Gleiche. Auch Juden zahlen 3 €.“

 

“Was erwartet ihr von uns?”

Etwas später wurde ich Zeugin des nächsten Gesprächs. Eine Frau baute sich mit ihrem Fahrrad vor der Mahnwache auf und fragte: "Was meint ihr, was wir Deutschen jetzt tun sollen? Was wollt ihr von uns? Was sollen wir machen?“ Ze´ev antwortete: "Ich bin nicht da, um den Deutschen zu sagen, was sie tun sollen. Ich stehe hier, weil ich auf eine Situation aufmerksam machen möchte.“
"Aber Sie müssen doch eine Idee haben, wenn Sie sich hier hinstellen und demonstrieren“, beharrte die Frau. "Was sollen wir Deutschen ihrer Meinung nach tun?“ "Das muss sich jeder selber fragen“, war die Antwort. "Was finden SIE, wie Sie mit der Situation umgehen sollten. Wie wollen Sie mit Hass auf Juden umgehen? Wir machen nur auf eine Situation auf dem Marktplatz aufmerksam,“ wiederholte die Mahnwache ihren Punkt.

Eine der Demonstrantinnen flüsterte mir zu: "Die ist bestimmt vom BDS“. Das steht für Boycott, Divestment and Sanctions und ist eine Bewegung, die zu Boykott-Aktionen gegen Israel aufruft.

 

“Das Gleiche, was die Nationalsozialisten mit den Juden gemacht haben”

Das Gespräch ging gebetsmühlenartig weiter, ohne sich inhaltlich zu bewegen. Ich staunte, dass beide Parteien das Pingpong immer gleicher Gedanken so lange durchhielten. Sechs mal hatte ich jetzt gehört “Was sollen wir Deutschen denn ihrer Meinung nach machen?” und: “Das müssen Sie selber entscheiden”, als eine der Demonstrierenden das Muster durchbrach und eine konkretere Hilfestellung anbot:

"Na, es wäre doch eine Möglichkeit, mit dem Mann zu reden, wenn sie mitbekommen, dass er Sprüche gegen Juden macht. Sie könnten sich auf eine Auseinandersetzung einlassen, dass er die Sprüche unterlassen muss. Sie könnten auch kein Falafel mehr bei ihm essen, solange er damit weitermacht. Sie könnten auch…“

Da war aber schon das Stichwort gefallen, auf das die Frau offenbar gewartet hatte. "Kein Falafel mehr bei ihm kaufen? Sie rufen mich auf zum Boykott!?“, rief sie mit erregter Stimme. "Sie sagen mir, ich soll dort nicht mehr kaufen?! Kauft nicht bei Palästinensern, oder was? Sie sagen also, ich soll das Gleiche machen, was die Nationalsozialisten mit den Juden gemacht haben. Haben Sie denn gar nichts aus der Geschichte gelernt!?“.

"Ich mache nur auf die Situation aufmerksam. Ich sage Ihnen in keiner Weise, was sie tun sollen“, gab Za´ev mit stoischer Ruhe zurück.

Nun verstand ich ihn sehr viel besser. Es hat keinen Sinn, mit einer Gegenseite ins Gespräch kommen zu wollen, die nur sich selbst sieht und hört.

 

Nächste Woche wieder…

Nach nichtmal einer Stunde Kollwitzplatzmarkt war ich überzeugt, dass die Mahnwache eine sehr wichtige Funktion hat. Einige hatten ihre Einstellung an den demonstrierenden Juden abgelassen. Deren Anwesenheit polarisierte und störte das unterhaltsame Samstagsevent "Markt“. Dass es gegenüber den Demonstrierenden viel Unsicherheit gab, war deutlich. Die große Mehrheit schien die Schilder nicht einordnen zu können und wollte auch nicht weiter fragen. Einige Menschen bekundeten ihre Solidarität und teilten den Demonstrierenden mit, dass sie den Antisemitismus in Deutschland schlimm finden. Andere ließen ihren Hass an ihnen ab oder zogen Schubladen auf, die auf die Situation in keiner Weise passten.

 

Fotos: Anna Loges

 

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