Zwei rassistische Ausfälle gab es am Wochenende in Sachsen. Wieder einmal ging es um Rassismus aus der Zivilbevölkerung, aber auch um Behördenversagen und polizeiliches Fehlverhalten. In Bautzen brannte am Sonntag, dem 21. Februar 2016, eine geplante Flüchtlingsunterkunft, Zuschauer_innen jubelten und behinderten die Löscharbeiten. In Clausnitz wurde am Donnerstag, dem 18. Februar 2016, ein Reisebus mit Geflüchteten blockiert, die Menschen darin vor ihrer vorgesehenen Unterkunft von Rassist_innen angepöbelt. Polizisten zwangen die Insassen – darunter auch verängstigte Kinder – mit Gewalt zum Aussteigen – was später als „angemessen“ gerechtfertigt wurde. Der Leiter der Clausnitzer Unterkunft ist AfD-Mitglied, sein Bruder organisierte die Proteste.
Von Oliver Saal
Clausnitz: Reisebus mit ankommenden Flüchtlingen blockiert und bepöbelt, Polizei ermittelt – gegen die Flüchtlinge
Am Donnerstag, dem 18. Februar 2016, gelangten 25 Asylbewerber in einem Reisebus in das Dorf Clausnitz im Erzgebirge, um dort eine neue Unterkunft zu beziehen. Die Zufahrt zu dem Heim wurde jedoch von einem Kleinlaster, einem Traktor und einem PKW blockiert. Etwa 100 Pöbler_innen umringten den stehenden Bus und gröhlten „Wir sind das Volk“. Erst nach zwei Stunden gelang es den wenigen anwesenden Polizisten, die Flüchtlinge in das Heim zu bringen.
Am folgenden Freitag hatte im Internet zunächst ein Video von der rassistischen Protestaktion für Empörung gesorgt. Es wurde zuerst von der rassistischen Gruppe „Döbeln wehrt sich“ im sozialen Netzwerk Facebook hochgeladen und mit einem „Applaus-Emoji“ versehen.
Das Video zeigt aus der Perspektive der Demonstranten, die den Reisebus umringen, wie verängstigt die angebrüllten und eingeschlossenen Insassen sind. Durch die Frontscheibe ist deutlich zu erkennen, dass mehrere Kinder und Jugendlich weinen. „Döbeln wehrt sich“ hatte das Video nach den unerwartet intensiven Reaktionen im Netz wieder gelöscht, sorgte das Gebaren der Demonstranten doch überwiegend für Entsetzen, Empörung und Ablehnung.
Zweites Video zeigt umstrittenen Polizeieinsatz
Noch am Freitag tauchte ein zweites Video zu den Vorfällen um den blockierten Bus auf. Zu sehen und hören sind darin nicht nur grölende Demonstrant_innen, sondern auch die Einsatzkräfte der Polizei, die schließlich die Flüchtlinge in das Heim brachten. Das Video dokumentiert, wie ein Polizist der Bundespolizei einen verängstigten Jungen am Nacken packt, in den „Schwitzkasten“ nimmt und aus dem Bus zerrt. Das ruppige Vorgehen des Polizisten wird von der Menge mit Jubel und lauterwerdenden „Wir sind das Volk“-Rufen sekundiert.
(Originalvideo auf dem Facebookprofil von Frank Stollberg)
Auch das neue Video sorgte für heftige Diskussionen in den sozialen Netzwerken, vor allen Dingen über die Frage, ob sich die Polizei falsch verhalten habe. Noch am frühen Freitagabend ließ Sachsens Innenminister Marcus Ulbig in einer Pressemitteilung verlauten: „Ich habe mir das Video angesehen. Die Bilder sprechen ihre Sprache. Das Innenministerium wird den Einsatz der Polizeidirektion Chemnitz mit allen Beteiligten umgehend auswerten. Erst dann können wir Konsequenzen ziehen.“
In einem Interview mit MDR INFO gab Michael Funke, Bürgermeister der Gemeinde Rechenberg-Bienenmühle, auswärtigen „Demotouristen“ die Schuld daran, dass die Situation derart eskaliert ist. Gleichzeitig musste er aber einräumen, dass die überwiegende Zahl der Demonstranten Clausnitzer Einwohner_innen waren.
Skandal um Heimleiter: Er ist AfD-Mitglied und hat möglicherweise die Proteste erst ermöglicht
Ebenfalls noch am Freitagabend twitterte der Newskanal des ZDF, dass der Leiter der Unterkunft, Thomas Hetze, Mitglied der AfD ist. Er gehörte außerdem zu den wenigen vor Ort, die überhaupt wussten, wann der Bus in Clausnitz eintreffen würde.
Perfekt wurde der Skandal dadurch, dass am Sonntag bekannt wurde, dass der Bruder Heimleiters zu den Organisatoren der flüchtlingsfeindlichen Proteste gehörte. In einem Interview mit dem MDR drückte Karsten Hetze sein Bedauern über den Ablauf des Abends aus. Man habe nur eine ruhige Demonstration gewollt um zum Ausdruck zu bringen, dass man nicht mit der Asylpolitik in Deutschland einverstanden sei. Dass die Situation derart eskaliert, habe er nicht gewollt und nicht verhindern können. Wie die Süddeutsche recherchierte, trat Heimleiter Hetze im November 2015 in Freiberg auf Einladung der AfD als Redner bei einer Kundgebung unter dem Motto „Asylchaos stoppen!“ auf. Dort bezeichnete er unter anderem die Flüchtlingspolitik der deutschen Regierung als „ein Verbrechen an der deutschen Nation“. Als Heimleiter ist er der erste Ansprechpartner für alle Flüchtlinge. Am Montagmittag wurde verkündet, dass Hetze "zum Schutz seiner Person" versetzt wird.
Polizei gibt Flüchtlingen Mitschuld, kündigt Ermittlungen gegen sie an
Noch am Samstag lud der Chemnitzer Polizeipräsident, Uwe Reißmann, zur Pressekonferenz. „An diesem Einsatz gibt es nichts zu rütteln“, verteidigte er das rabiate Vorgehen seiner Beamten gegen die Flüchtlinge. Vielmehr sei der „einfache, unmittelbare Zwang“ notwendig gewesen, um die Flüchtlinge in die Unterkunft zu bringen. Den Flüchtlingen hingegen gab er eine Mitschuld an der Eskalation: Sie hätten „provozierend gestikuliert“. Er kündigte deshalb Ermittlungen „gegen den einen oder anderen Insassen des Busses“ an.
Es ist nicht das erste Mal, dass Sachsen wegen rassistischer Vorfälle bundesweit in die Schlagzeilen gerät. Relativ neu hingegen ist, dass sich die Diskussion besonders auf das Fehlverhalten von Polizei und Behörden fokussiert: Der Fraktionschef der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann, sprach von einem „Polizeiversagen“. Linken-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn kommentierte, „solche Polizeipräsidenten sind untragbar und eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.“
Video: So haben die Flüchtlinge den Mob erlebt:
- https://www.facebook.com/spiegelonline/videos/10153952561199869/ oder http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fluechtlinge-was-clausnitz-ueber-unsere-gesellschaft-sagt-a-1078523.html (im Artikel eingebaut)
Augenzeugenbericht über die Situation in Clausnitz jetzt:
Bautzen: Brandstiftung in geplanter Flüchtlingsunterkunft, Gaffer johlen und behindern Feuerwehr
In der Nacht auf Sonntag, den 21. Februar 2016 brach ein Feuer in einer geplanten Flüchtlingsunterkunft in Bautzen aus. Die Feuerwehr wurde gegen 3:35 Uhr alarmiert: Feuer im Dachstuhl des ehemaligen Hotels „Husarenhof“.
Mehrere Personen, die sich am „Aldi“-Markt neben der geplanten Unterkunft aufhielten, bejubelten den Brand. Laut Polizeibericht hätten sie das Brandgeschehen „mit abfälligen Bemerkungen und unverhohlener Freude“ kommentiert. Unter den Gaffern seien auch Kinder gewesen, die es den teilweise betrunkenen Erwachsenen gleich taten, applaudierten und Flüchtlinge als "Kanaken" bezeichneten. Es sei etwa die von Anti-Asyl-Demos bekannte Parole „Wir wollen keine Asylantenheime“ gerufen worden.
Die Polizei nahm die Personalien mehrerer Schaulustiger auf. Gegen drei von ihnen, die die Arbeit der Feuerwehr massiv behinderten, wurden Platzverweise ausgesprochen. Als sich zwei betrunkene 20-jährige gegen diese Aufforderung auch körperlich zur Wehr setzten, wurden sie von der Polizei in Gewahrsam genommen.
Nachdem sich die Polizei noch in der Nacht zurückhaltend zur Brandursache äußerte, teilte sie am Sonntagmorgen mit, dass sie von Brandstiftung ausgehe. Mit Hilfe eines Spürhundes wurden Spuren von Brandbeschleuniger im Gebäude entdeckt.
Der Beschluss, das ehemalige Hotel als Unterkunft für 300 geflüchtete Menschen zu nutzen, war erst Ende Dezember durch das Landratsamt Bautzen öffentlich gemacht worden. Sie sollten noch im Februar einziehen.
Reaktionen aus der Politik
Auf die Bilder aus Bautzen haben auch Politiker des Bundes, des Landes Sachsen und der Stadt Bautzen reagiert. Bei Twitter kommentierte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD): „Wer unverhohlen Beifall klatscht, wenn Häuser brennen, und wer Flüchtlinge zu Tode ängstigt, handelt abscheulich und widerlich.“
Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), erklärte: „Ich bin entsetzt, dass es in Deutschland wieder zu Szenen kommt, in denen ein Mob applaudiert, weil ein Flüchtlingsheim brennt.“ Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) äußerte gar, „das sind keine Menschen, die sowas tun. Das sind Verbrecher“.