Rechtsextreme Frauen: Alles andere als harmlos

Welche Bedeutung haben Frauen in der rechtsextremen Szene und wie kann ihnen beim Ausstieg geholfen werden? Diesen Fragen widmete sich die Tagung „Frauen und Rechtsextremismus“ der Amadeu Antonio Stiftung und von Bündnis 90/ DIE GRÜNEN am 7. Mai 2009 im Centrum Judaicum in Berlin.

Von Regina Rahe

„Haus, Hof, Hierarchie und Hass, das sind die ideologischen Leitlinien der Rechtsextremen.“, so fasste Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, in einem Vorwort die nationalkonservative Denkweise zusammen. Für die Weitergabe dieser Prinzipien spielen Frauen eine besondere Rolle, denn sie sind der soziale Kitt der Szene. In Jugendclubs oder Krabbelgruppen bereiten sie über scheinbar harmlose Angebote einen Zugang in die rechte Szene. Dennoch wird Rechtsextremismus in der Politik meist als rein männliches Phänomen in Verbindung mit Gewalt wahrgenommen. Als mangelhaft charakterisierte Renate Künast (Bündnis 90/ DIE GRÜNEN) in ihrem Grußwort die Haltung der Regierung zu Rechtsextremismus und Gender: „Die Bundesregierung ist auf dem rechten Auge blind, auf dem linken Auge ignoriert sie den Genderaspekt.“

Unter der Moderation von Simone Rafael, Chefredakteurin von netz-gegen-nazis.de, diskutierten anschließend auf dem Podium Dr. Esther Lehnert von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), Heike Radvan vom Projekt „Lola für Lulu – Frauen für Demokratie in Ludwigslust“ der Amadeu Antonio Stiftung, Clara Herrmann von Bündnis 90/ DIE GRÜNEN sowie Tanja Privenau, Aussteigerin aus der rechtsextremistischen Szene.

Erfahrungen einer Aussteigerin

Tanja Privenaus Biographie macht deutlich, wie Frauen in die rechtsextreme Szene geraten und wie schwierig es ist, den Ausstiegswunsch zu realisieren. Schon mit vierzehn Jahren fand sie Zugang zu Neonazikreisen, der Übergang vom deutschnationalen Elternhaus war nur graduell. Bald war sie völlig im Bann der Szene und übernahm über Jahrzehnte hinweg selbst wichtige Funktionen in rechtsextremen Kameradschaften und Parteien. „Man hat Scheuklappen und kann nicht mehr richtig sehen“, beschreibt sie diese Situation. Ein Schlüsselerlebnis war für Tanja Privenau, als ihr ältester behinderter Sohn bei einem Lager der mittlerweile verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) mit Wissen der Aufseher von anderen Kindern ausgegrenzt, gefesselt, verprügelt und eingesperrt wurde. Außenkontakte über ihre Berufstätigkeit ermöglichten ihr schließlich, ihre eigene Lage mit einer gewissen Distanz zu betrachten.


Heike Radvan von der Amadeu Antonio Stiftung eröffnet die Veranstaltung.

Ausschlaggeben für Tanja Privenaus Wunsch, rechtsextremen Kreisen den Rücken zu kehren, waren unter anderem ihre fünf Kinder, die sie vor ihrem gewalttätigen Vater retten wollte. Eben dies machte die Realisierung aber besonders schwierig. „Es gibt überhaupt keine klare gesetzliche Regelung dazu und das betrifft vor allem Frauen mit Kindern“, so stellte Tanja Privenau fest. Im Jahr 2002 unternahm sie ihren ersten Versuch, mit Hilfe des Verfassungsschutzes auszusteigen. Der Versuch scheiterte, da ihr nicht die benötigte soziale, juristische, therapeutische und finanzielle Unterstützung gewährt werden konnte. Viele Ämter reagierten hilflos auf den Fall, bei dem ein Ausstieg durch eine Familie geht – nicht nur der Vater, auch die Großeltern der Kinder sind noch in der Szene. Dem Berater des Verfassungsschutzes ging es ähnlich. Er hatte sich noch nie mit Familienrecht auseinander gesetzt. Erst drei Jahre später gelang es ihr über die Aussteigerinitiative EXIT, endgültig den Schlussstrich zu ziehen. Noch immer ist sie im Sorgerechtsstreit mit ihrem Ex-Mann, der von begüterten Nazis wie dem Anwalt Jürgen Rieger und dem Schweriner NPD-Abgeordneten Udo Pastörs großzügig finanziell unterstützt werde. Tanja Privenau selbst kann nicht einmal Gerichtskostenbeihilfe beantragen, weil sonst ihre verdeckte Identität bekannt werden würde.

Rechtsextreme Frauen brauchen spezielle Ausstiegsprogramme

Als konkrete Forderung an die Politik ergibt sich daraus, den § 8a der Kindeswohlgefährdung im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGBVIII) in Bezug auf Rechtsextremismus zu erweitern. Dringend notwendig wäre auch eine genderspezifische Ausstiegsberatung, die bisher noch völlig fehlt. Doch leider ist das Thema Rechtsextremismus in der Politik konjunkturell, so Clara Herrmann (Bündnis 90/ DIE GRÜNEN): „Nur wenn wieder etwas passiert ist, gibt es einen Aufschrei und nur der gewalttätige Mann wird wahrgenommen.“

Dr. Esther Lehnert (MBR) spricht in punkto Rechtsextremismus und Gender von einer doppelten Unsichtbarkeit der Frauen. Rechtsextreme Frauen nehmen innerhalb der Szene, die auf massiven Geschlechterhierarchien beruht, keine Frontstellung ein, sind aber sehr wohl ideologisch gefestigte Täterinnen. Von außen werden sie oft nicht als gefährlich bewertet. Viel seltener als Männer werden sie vor Gericht gebracht, weil eben auch die Normalgesellschaft auf biologistischen und sexistischen Konstrukten von Geschlecht basiert und in ihrer Wahrnehmung entsprechend strukturiert ist.

„Lola für Lulu“ – geschlechtsspezifische Präventivarbeit

Eines der wenigen genderorientierten Projekte zu Rechtsextremismus ist „Lola für Lulu – Frauen für Demokratie im Landkreis Ludwigslust“ der Amadeu Antonio Stiftung. Was tun, wenn ein Kind eingeschult wird, das den Namen Heil Odin trägt? Mit solchen Fragen müssen sich Erzieher und Erzieherinnen im Landkreis Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern beschäftigen, wo manche Kommunen 30 % NPD – Wählerschaft haben. Eine berufsspezifische Fortbildung zu Rechtsextremismus für Hebammen, Erzieher oder Lehrerinnen hält Heike Radvan als Präventivmaßnahme für dringend angebracht. Demnächst wird mit dem Mentorinnenprogramm von „Lola für Lulu“ ein Pilotprojekt dazu gestartet, mit dem demokratische Frauen fit für den Einstieg in die Lokalpolitik gemacht werden sollen. Ein Peer Leader Training für Jugendliche, die sich in ihrem Umfeld für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einsetzen wollen, und politische Salons zum Thema runden das Feld der derzeitigen Aktivitäten ab.

Einig waren sich die Rednerinnen auf dem Podium, dass es dringend notwendig ist, den Genderaspekt in den Debatten um Rechtsextremismus aus seiner marginalen Position herauszuhieven. Ein gendersensibler Ansatz bedeutet, Frauen nicht als harmlose Mitläuferinnen wahrzunehmen und die entsprechenden Programme in der Präventivarbeit oder für ihren Ausstieg aus der Szene zu entwerfen. Aber auch dominante Männlichkeitskonstrukte, die an völkischen Ideologien angrenzen, sollten in den Blick genommen werden, denn vom akzeptierten Normalzustand zum Rechtsextremismus ist der Übergang fließend.

Zum Thema:

Frauen in der extremen Rechten - Zwischen Parlament, Straßenkampf und Krabbelstube

Frauen in der rechtsextremen Szene

Die sanfte Seite des Rechtsextremismus? (1)

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