Am Samstag, den 09.06.2018, zogen zwischen 300 und 500 Teilnehmer*innen eines AfD-nahen „Frauenmarsches“ durch Berlin – weitestgehend abgeschirmt von Protesten und Öffentlichkeit. Dabei offenbarte die Abschlusskundgebung interessante Einblicke in die Gedankenwelt und Erzählungen der rechten Frauen und ihrer Unterstützer*innen. Viele der Redner*innen hatten einen Migrationshintergrund, eine war eine Transfrau - und trotzdem fühlten sich alle bei Rechtspopulist*innen wohl.
Von Simone Rafael
Wie kann der Einsatz für Frauenrechte und gegen Gewalt nur so gewaltig schieflaufen? Dieser Eindruck drängt sich beim „Frauenmarsch“ am 09.06.2018 in Berlin immer wieder auf, der vom Mehringplatz in Kreuzberg nach Mitte demonstrierte, stark abgeschirmt von der Polizei – denn der erste Versuch eines „Frauenmarsches“ in Berlin war im Februar blockiert worden, und das sollte von Polizeiseiten offenbar nicht noch einmal geschehen. Es waren diesmal allerdings auch nur 200 Gegendemonstrant*innen an der Strecke, den Versuch einer Blockade gab es nicht.
Um den Einsatz für Frauenrechte sollte es auf dem „Frauenmarsch“ gehen („Wir sind kein Freiwild!“), doch dann geht es auf der Demonstration von mehr Männern als Frauen vor allem um Islamfeindlichkeit und Demokratiefeindlichkeit. „MerKill“ soll weg und „die Muslime“ auch, weg nicht nur aus Deutschland, sondern gleich aus Europa. Differenzierung gibt es hier nicht, „der Islam“ sei von Grund auf verdorben, mit Demokratie nicht vereinbar, und muss weg, und wer das anders sieht, wie etwa die Gegendemonstrant*innen, der ist ein Nazi und demonstriert „gegen Frauenrechte“. „Demokratie statt Merkulatur“ steht auf einem Plakat. Die Erzählung ist hier sehr stark vertreten, man selbst sei „die Guten“ und jede*r, der oder die das anders sieht, zumindest ein Anti-Demokrat, wahrscheinlich aber „ein Antifant“, ein Unterstützer von “Fachkräften der Eigentumsumkehr” oder Mitgleid der “totalitären Toleranzparteien.”
Interessant dabei ist, wer hier zusammenkommt. „AfD-nah“ heißt der Frauenmarsch nicht nur, weil es hier islamfeindliche Parolen zu hören gibt, wie es etwa auch bei „Pegida“ der Fall war und ist, sondern weil die Organisatorin AfD-Funktionärin ist und AfD-Abgeordnete mitlaufen und sprechen.
Islamfeindlichkeit mit Migrationserfahrung
Organisatorin Leyla Bilge ist kurdischstämmige Deutsche, die als Kind aus der Türkei nach Deutschland geflüchtet ist und hier nach eigenen Angaben als Jugendliche zwangsverheiratet wurde. Später gründete sie einen Verein, um jesidischen und christlichen Flüchtlingen im Irak und in Syrien zu helfen. Die Lehre, die sie aus diesen Erfahrungen zog, aus Erfahrungen von Unterdrückung, Abwertung und Fremdbestimmung, führte sie allerdings nicht zum Einsatz für Demokratie und Menschenrechte, sondern zur AfD und zur Idee, Abwertung mit Abwertung bekämpfen zu wollen. Bilge trat 2016 in die AfD ein und arbeitet seit 2017 als Referentin des AfD-Bundestagsabgeordneten Ulrich Oehme, der für die Demonstration von Kreuzberg nach Mitte weiße Holzkreuze spendete, die Demonstrations-Teilnehmer*innen trugen und die an Opfer erinnern sollen. Welche Opfer? Laut der Sprecher*innen auf dem „Frauenmarsch“ sind es Opfer aller Art, Frauen auf alle Fälle. Es seien Opfer von Gewalt durch Geflüchtete, deutsche Frauen, aber auch muslimische Frauen, die durch ihre Männer oder Familien ermordet wurden, schlicht „alle Ermordeten, alle Vergewaltigten“. Dann werden rund 40 Namen verlesen, unklar ist, warum diese, und das scheint das Prinzip des Frauenmarsches zu sein und zugleich das Problem des Frauenmarsches: Versatzstücke der Welt werden aufgenommen, wenn sie in die Argumentation passen, Allianzen werden eingegangen, ohne sie zu Ende zu denken, weil es dann nicht mehr ginge.
Denn wenn es vor allem um den Schutz von Frauen ginge und um Frauenrechte, warum dann der Nationalismus und die Deutschtümelei, die vielen Deutschlandfahnen, die Aufrufe, dass „das Volk erwacht“ – und die absolute Konzentration auf Geflüchtete und Muslime als offenbar einzige Gefahr für die Unversehrtheit von Frauen in Deutschland?
Interessant sind dabei weniger Rednerinnen wie Angelika Barbe, die aus der DDR-Opposition über SPD und CDU inhaltlich bei der AfD und „Pegida“ angekommen ist und entsprechende hasserfüllte Sprache verbreitet („Antifanten“, „Systemelite“, „linkspathologische Islamophobie“ usw.), oder AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst, die „intolerante Hass-Fratzen“ sieht, die „tödliche Vielfalt“ verbreiten und „Frauenrechte auf dem Altar des Multi-Kulti opfern.“
Fürsprecherinnen für Islamfeindlichkeit: Eine Transfrau, eine jüdische Journalistin und eine aramäische Nonne
Aber was motiviert Trans-Frau "Michaela", wenn sie sich vor die Demo stellt und behauptet, sie habe noch nie Ablehnung durch Deutsche erfahren, nur durch Muslime? „Wir sind die ersten, die am Baum hängen“, sagt sie und dass sie nicht verstehen kann, wie die LGBT-Community nur so bunt sein könne. Dass Rechtspopulist*innen Trans-Menschen nur aus taktischen Gründen auf ihren Veranstaltungen akzeptieren, ist hier kein Thema.
Dafür kommt die Taktik zur Sprache bei der jüdischen Journalistin Orit Arfa (u.a. „Achse des Guten“). Als „Enkelin von Holocaustüberlebenden“ spricht sie auf dem „Frauenmarsch“, und berichtet, sie sei gewarnt worden, hier wären „Neonazis“, die sie „benutzen“ wollten: „Vielleicht gibt es hier einige Leute, die Juden hassen. Was sollen wir tun? Einen Zaun errichten? Keine Antisemiten hier? Wenn das so wichtig ist, Judenhasser hier zu verhindern, warum hat Kanzlerin Merkel so viele Antisemiten in dieses Land aufgenommen?“ Sie habe Angst in Deutschland, als Jüdin, Frau und „Islamkritikerin“. Warum sie vor den Antisemit*innen unter den Rechtspopulist*innen offenbar keine Angst hat, mit denen sie sich auf diese Weise gemein macht, sagt sie nicht.
Nach Orit Arfa spricht eine christliche, aramäische Nonne, Schwester Hatune Dogan. Sie setzt sich seit Jahren für christliche Frauen und Mädchen im Nahen Osten ein, die gefoltert, vergewaltigt und versklavt werden. Ihr aufopferungsvolles Engagement wurde 2010 mit einem Bundesverdienstkreuz geehrt. Sie hat viele furchtbare Taten im Namen der Scharia gesehen und für die Rechte von Mädchen und Frauen gekämpft, die etwa vom IS unterdrückt wurden. Sie warnt – mit Berufung auf ihr konkretes Erleben - auch vor Geflüchteten, die unrechtmäßig nach Deutschland kämen und ihr von ihren Plänen berichteten, sich respektlos gegenüber deutschen Frauen zu benehmen. Dazu sagt sie Sätze wie: „Ich bin politisch total neutral. Wer meine Rede hören will, da bin ich, und trete für die Rechte von Frauen und Christen ein.“ Ist sie nur hier, weil sie warnen will und ihr das Umfeld egal ist, solange Menschen zuhören? Aber dann folgt eine grob verallgemeinernde Hasstirade über „die Muslime“, die auch „in der fünften Generation in Deutschland“ nur die Scharia einführen und Frauen vergewaltigen und deren Töchter ermorden wollten, und dann ist klar, dass sie in einem islamfeindlichen Umfeld offenbar richtig aufgehoben ist.
Die Demonstrations-Teilnehmer_innen tragen Plakate wie „Wir hassen niemanden – wir lieben Deutschland“ oder kapern das Motto der Anti-AfD-Demonstration vor zwei Wochen, „Stoppt den Hass“. Sie sehen sich selbst als Demokrat*innen, die für Freiheitsrechte eintreten, obwohl sie selbst sehr viel hassen, die Regierung, die Gegendemonstrant*innen, „die Muslime“ und „die Flüchtlinge“, und im Zuge dessen die Freiheitsrechte all derer einschränken wollen, die nicht in ihr Weltbild passen. Dabei ist festzuhalten, dass dies zunehmend auch Weltbilder sind, die bei Menschen mit Migrationserfahrungen auf Zustimmung stoßen. Wenn Menschen wegen Freiheit und Menschenrechten nach Deutschland gekommen sind, ihnen zur Verteidigung selbiger aber nur Islamfeindlichkeit und Grenzschließungen einfallen, ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, hier den Handlungsspielraum zu vergrößern.
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