Wenn es um rechtsextreme Frauen und Gewalt geht, stellen sich die meisten die rechtsextremen Frauen als Täterinnen vor. Doch sie können auch Opfer häuslicher Gewalt sein. Suchen sie dann Hilfe in Frauenhäuser und Beratungsstrukturen? Bringt das Probleme mit sich, etwa wenn auch Frauen mit Migrationshintergrund dort Schutz suchen? Die Sozialpädagoginnen Agnes Betzler und Katrin Degen wollten dieses Problem genauer erforschen und befragten 364 Frauenhäuser zu ihren Erfahrungen. Die Ergebnisse haben sie im Buch „Täterin sein und Opfer werden? Extrem rechte Frauen und häusliche Gewalt“ veröffentlicht.
Rezension von Lena Wiese (Fachstelle Gender und Rechtsextremismus)
Im September 2016 ist das Buch „Täterin sein und Opfer werden? Extrem rechte Frauen und häusliche Gewalt“ im Verlag Marta Press erschienen. Die Autorinnen Agnes Betzler und Katrin Degen greifen mit ihrer systematischen Forschung eine Forschungslücke auf: Sie widmen sich der Doppelrolle von Frauen, die sich einerseits rechtsextrem engagieren und hier zu Täterinnen werden und andererseits Opfer von häuslicher Gewalt sind. Sie fragen, wie Sozialpädagog_innen/-arbeiter_innen, die in Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen arbeiten, mit der Herausforderung umgehen, dass rechtsextreme Frauen Klient_innen ihrer Arbeit sind und wie das Phänomen wahrgenommen und in den Teams diskutiert wird. Hierbei geht es den Autorinnen auch darum, wie die Fachkräfte ihren Umgang in Beziehung setzen zu einem Verständnis Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession. Für ihre umfangreiche und erfolgreiche Forschung und die damit verbundene Motivation, dieses Dilemma in den Frauenhäusern sichtbar und damit besprechbar zu machen, wurde ihnen bereits im November 2015 der Förderpreis der Frauenbeauftragten der Technischen Hochschule Nürnberg verliehen.
In ihrem Bestreben, die o. g. Leerstelle zu schließen und auf das Wahrnehmungsdefizit gegenüber extrem rechten Frauen aufmerksam zu machen, knüpfen Betzler und Degen an eine sich langsam etablierende Forschungsrichtung an, mit der strukturbedingte stereotype Geschlechtervorstellungen und die damit verbundene „doppelte Unsichtbarkeit“ rechtsextremer Frauen thematisiert werden. Sehr konsequent gelingt es ihnen, die stereotypen und nach wie vor dominanten Bilder von der „friedfertigen“, „unpolitischen“, „passiven“ und „fürsorglichen Frau“ zu entkräften. Mit ihrer innovativen Forschungsfrage stehen sie in einer Tradition eines noch recht jungen Fachdiskurses, der seinen Anfang zu Beginn der 1980er Jahren nahm, als die (Mit-)Täterinnenschaft von Frauen im Nationalsozialismus – wenn auch sehr verspätet und von den USA ausgehend – endlich auch in Westdeutschland thematisiert und problematisiert wurden. Die Kontinuität, mit der Rechtsextremismus immer noch als ein „männliches“ Phänomen wahrgenommen und die Rolle der Frau vornehmlich als unbeteiligt oder als „Opfer“ gedeutet wird, dekonstruieren die Autorinnen erfolgreich. Es gelingt ihnen sehr nachvollziehbar, eine intersektionale Perspektive einzunehmen, mit der „die mehrdimensionalen Zugehörigkeiten von Menschen in ihren gegenseitigen Beeinflussungen/ Überschneidungen erfasst werden“ (Lehnert/ Radvan 2016: 15). Dies geschieht u.a. durch die Definition eines differenzierten Begriffs von Täterschaft, womit sie die Deutungskämpfe der letzten Jahrzehnte aufgreifen und sich positionieren. Bereits durch das aktive Annehmen „einer extrem rechten Haltung und die damit verbundene Tolerierung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ideologie“ (Betzler/ Degen 2016: 11) besteht laut den Autorinnen bereits eine (Mit-)Täterinnenschaft. Dies steht jedoch nicht im Gegensatz dazu, dass „selbige Frauen in anderen Kontexten eher einer Opferrolle zugeordnet werden“ (ebd.).
Im ersten Teil des Buches klären Betzler und Degen ihre theoretischen Grundlagen und die verwendeten Begrifflichkeiten. Dazu zählen eine Herleitung der verwendeten Rechtsextremismus-Definition in Anlehnung an Stöss, eine aktuelle Darstellung der extremen Rechten, ihrer Organisationen, Geschlechterkonzepte sowie eine theoretische Herleitung und Erklärungsmodelle häuslicher Gewalt.
Die Umfrage
Im zweiten Teil des Buches steht die empirische Forschung als Kernstück des Buches im Vordergrund. 364 Frauenhäusern wurde per E-Mail eine Kurzumfrage zugesendet, die mit einer geschlossenen Fragestellung die Vergleichbarkeit der Antworten gewährleisten sollte. Die Frage lautete: „Haben in Ihrer Einrichtung bereits Frauen um Unterstützung nachgesucht, bei denen Sie davon ausgehen, dass sie einen extrem rechten Hintergrund haben?“ Damit basiert die Studie auf der subjektiven Einschätzung der Mitarbeitenden in den Frauenhäusern, da auf eine Begriffserklärung verzichtet wurde. Einrichtungen die mit „Ja“ antworteten, wurden weiter beforscht. Insgesamt 54% aller frauenspezifischen Zufluchtsstätten in Deutschland reagierten auf die Anfrage, 11% berichteten von Erfahrungen mit Klientinnen, die sie als extrem rechts einschätzen. In 14 telefonischen Interviews zu insgesamt 30 wahrgenommenen Einzelfällen wurden die Befragten mit leitfadengestützten Fragebögen interviewt. Die Auswertung ergibt eine Typenbildung anhand vier Kategorien, orientiert an der Wahrnehmung der Mitarbeiterinnen (191ff.). Typ 1 beschreibt „Die Partnerin“, deren vorgeblich einziger Bezugspunkt in die rechte Szene über die Verankerung des Partners, welcher dort stark engagiert ist, wahrgenommen wird. Typ 2 wird als die „Zurückhaltende“ beschrieben, die selbst durch unterschiedliche Merkmale der Ideologie zugeordnet werden kann und aktiv der extremen Rechten angehört, deren Verhalten in den Zufluchtstätten jedoch durch Zurückhaltung gekennzeichnet ist. Eine Steigerung stellen Frauen des Typ 3, die „Auffällige, dar, die hier durch rechtsextremes Verhalten wie einschlägige Äußerungen oder Abwertungen auffällig werden. Zur letzten Kategorie Typ 4 gehört die „Aussteigerin“. Diese Frauen formulieren den Wunsch, aus der Szene auszusteigen und verbinden ihren Aufenthalt in der Einrichtung mit diesem Anliegen.
Wie ist der Umgang?
Über die Typisierungen hinaus behandelt die Forschungsarbeit auch Umgangsstrategien der Frauenhäuser mit diesen Klientinnen (211ff.). Neben der Notwendigkeit einer grundlegenden Hausordnung, die den Umgang mit vorhandenem Aggressionspotenzial und Konfliktsituationen regeln, stellten die Autorinnen spezifische Regelungen für den Umgang mit Rechtsextremistinnen fest. Hier zeigen sich zwei verschiedene Wege des Umgangs: Während in einigen Einrichtungen „organisierte und sich auch klar beziehende“ Rechtsextremistinnen nicht geduldet werden, setzt der Großteil der Einrichtungen ein zurückhaltendes Verhalten für einen Aufenthalt voraus (214). Diese Forderung sieht die Opferperspektive der Frauen im Vordergrund und eine prozesshafte Vorgehensweise in der Auseinandersetzung hiermit im Team bzw. mit Dritten, z.B. anderen Schutzeinrichtungen. „Obwohl sich grundsätzlich alle Zufluchtsstätten klar gegen rassistische und diskriminierende Verhaltensweisen positionierten, [variierte] die Rigorosität bezüglich der Umsetzung von Konsequenzen stark“ (225). Letztere reichen von Gesprächen mit den betreffenden Frauen, bis hin zu Verweisen aus den Einrichtungen aufgrund konkreten Vorfällen, rechtsextremen Verhaltens oder des Vertretens dieser Ideologie.
Eine interessante und fachlich sehr relevante Erkenntnis der Forschung bezieht sich auf die Wirkung einer klaren Positionierung des Teams innerhalb der Einrichtung gegenüber rechtsextremen Positionen: Je eindeutiger und verständlich kommunizierter es in der Zufluchtsstätte eine Positionierung gegen Rechtsextremismus gab, desto eher wurden Frauen auch als eigenständige und auch eigenverantwortliche Trägerinnen dieser Ideologie wahrgenommen und nicht lediglich auf ihre Opferrolle reduziert.
Wie groß ist das Problembewusstsein in diesem Arbeitsumfeld?
Wenn man nun davon ausgeht, dass z. B. rassistische Positionierungen in der Gesamtgesellschaft weit verbreitet sind, lassen sich diese auch bei Mitarbeiterinnen in frauenspezifischen Zufluchtsstätten, und statistisch gesehen vor allem im ländlicheren Bereich, vermuten. Jedoch verweist die Studie keineswegs auf solch einen Zusammenhang. Die Autorinnen liefern mehrere mögliche Erklärungen. Ein Ansatz bezieht sich auf ein fehlendes Problembewusstsein der Mitarbeiterinnen, auf offene Sympathie oder auch Zugehörigkeit zur rechten Szene. Dies führe zu einer abweichenden Selbst- und Fremdwahrnehmung auch in Hinblick auf die Interpretation und Intention der Forschungsfrage der Autorinnen. Konsequenterweise vermuten die Autorinnen eine beträchtliche Dunkelziffer von rechtsextremen Frauen in Frauenhäusern, die aus den genannten Gründen keinen Einzug in die vorliegende Studie erhalten haben.
In ihrem Fazit greifen die Autorinnen wieder die anfängliche Motivation ihrer wissenschaftlichen Arbeit auf: würden die Aktivitäten von rechtsextremen Frauen im fachspezifischen Diskursraum eine sichtbarere Rolle spielen, würde dies den Einrichtungen eine Positionierung und einen bewussteren Umgang mit der Problematik ermöglichen. Dies bedeutet auch ein Hinterfragen sozialarbeiterischer Positionen, mit dem Grundsatz, dass rechtsextreme Einstellungen gegen die Grundsätze von Frauenhausarbeit und Menschenrechten generell sprechen.
Das Buch bietet einen guten und nachvollziehbaren Einstieg in die Themenbereiche der Rechtsextremismus- und Geschlechterforschung und plädiert für die Perspektive, Frauen auch als mögliche (Mit-)Täterinnen zu lesen. Bedauerlicherweise scheint es eine große zeitliche Differenz zwischen dem Recherche- und Veröffentlichungszeitraum zu geben. Veröffentlicht im September 2016, hinkt die Analyse von AfD und PEGIDA dem zunehmenden Rechtsruck und der Verschiebungen des Sagbaren in der deutschen Öffentlichkeit stark hinterher. Dies wird vor allem dann bemerkbar, wenn PEGIDA als „Bürgerinitiative zu bevölkerungsnahen Themen“ (47) skizziert und somit verharmlost wird.
Zum Ende hin geben Betzler und Degen den Leser_innen einen selbstkritischen Ausblick mit auf den Weg: Es ist ein Appell, sich intensiver mit den Herausforderungen auseinanderzusetzen, die die Forschung für die Praxis aufwirft. Selbstkritisch reflektieren sie die Herausforderung, eine Rechtsextremismus-Definition auch in den Interviews vorgeben zu müssen, um Abweichungen bzgl. der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern eingrenzen zu können. Interessant wäre gewesen, von der jeweiligen feministischen Positionierung der Frauenhäuser zu erfahren, um auf Grundlage dieses Selbstverständnisses eine größere Interpretationsmöglichkeit in Hinblick auf Lösungsstrategien aber auch die Wahrnehmung von Rechtsextremismus zu haben. Hier bedarf es einer grundlegenden Debatte im Arbeitsfeld. Ausgangspunkt muss die herausgearbeitete Erkenntnis sein, dass eine stärkere Sensibilisierung und Positionierung, d.h. eine klare Absage an rechtsextreme Verhaltensweisen, den Mitarbeiterinnen in der Praxis Handlungssicherheit ermöglicht (S. 231).
Die Autorinnen legen eine wichtige Pionierarbeit in diesem Arbeitsfeld vor. Es wäre wünschenswert, wenn Betzler und Degen den offen gebliebenen Fragen weiter auf den Grund gehen würden und sich von den Hürden und wissenschaftlichen Fallstricken nicht abschrecken ließen. Im Hinblick auf Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession skizzieren die Autorinnen abschließend noch einmal das Dilemma zwischen dem Anspruch jeder Frau Hilfe anzubieten und der Unvereinbarkeit rechtsextremer Positionierungen mit der angestrebten Gewaltfreiheit in den Einrichtungen. Dieses lösen sie nicht einseitig auf: Es bleiben Einzelentscheidungen jeder Schutzeinrichtung. Wenn es auch nicht die vorrangige Aufgabe von frauenspezifischen Zufluchtsstätten sein kann, Einstellungsänderungen herbeizuführen, so sind für die Frauen doch neue Lebensperspektiven aufzuzeigen, Sicherheiten auch vor rechtsextremen Aggressionen zu garantieren und gegebenenfalls der Kontakt zu Ausstiegsprogrammen zu vermitteln.
Agnes Betzler, Katrin Degen:
„Täterin sein und Opfer werden? Extrem rechte Frauen und häusliche Gewalt“
Erschienen im Verlag Marta Press, September 2016