Hat ein Problem mit rechten Umtrieben: Die Fanszene von Wismut Gera
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Wismut Gera: Rechte Normalität, ganz unpolitisch?

Vor der Verbandsligapartie zwischen Wismut Gera und Wacker Gotha kam es zu einem schweren Zwischenfall: Bei der Anreise des Geraer Anhangs sollen laut Aussagen von Anwohner_Innen Neonazis und rechte Ultras unter den Augen der Polizei das linke Hausprojekt J.u.w.e.L. e.V. angegriffen haben. Die Polizei hat eine andere Sicht der Dinge – und ermittelt gegen die Hausbewohner_Innen.

Von Oscar Winter

In der Thüringer Landeszeitung äußert sich ein Nachbar des Hausprojekts entsetzt über das, was er am 30. November mit ansehen musste: Seinen Schilderungen zufolge habe eine Gruppe von 30 anreisenden Gera-Fans plötzlich die Straßenseite gewechselt und dann begonnen, Latten aus einem Zaun zu brechen,  um sie auf das Haus in der Gothaer Hersdorfstraße zu werfen. Erst danach hätten sich die Bewohner_Innen des Hauses gewehrt und die nur wenigen anwesenden Polizist_Innen wären eingeschritten. So schildern auch die Anwohner_Innen von J.u.w.e.L. e.V. die Ereignisse: Erst, als die Polizei nach mehreren Minuten immer noch zugeschaut habe und die Angreifer damit begonnen hätten, auch gegen die Eingangstür zu treten, um ins Innere des Hauses einzudringen, hätten sie mit der Gegenwehr begonnen und Gegenstände aus dem Fenster geworfen. Nur dadurch hätte Schlimmeres verhindert werden können. Sie widersprechen auch der in der Presse veröffentlichten Darstellung, die Gruppe aus Gera habe lediglich aus friedlichen und unpolitischen "Fußballverückten" bestanden. Vielmehr berichten die Haubewohner_Innen, viele der Angreifer seien mit Kleidung der bei Neonazis beliebten Modemarke "Thor Steinar" bekleidet und mit Quarzhandschuhen bewaffnet gewesen.

J.u.w.e.L. e.V. – Zielscheibe bei Fußballspielen

Die Polizei selbst schildert den Vorfall völlig anders: Die Gruppe aus Gera sei ohne Vorwarnung aus dem Haus heraus angegriffen worden. Die Beamt_Innen vor Ort hätten sofort beherzt eingegriffen und so eine weitere Eskalation verhindern können. Zwei Polizist_Innen und sieben Wismut-Fans seien bei dem Einsatz verletzt worden, ob durch die geworfenen Gegenstände oder durch das von der Polizei eingesetzte Pfefferspray, ist allerdings unklar. Auch die "Fanszene Gera" erklärt in einer auf der Website der "Ultras Gera 99" veröffentlichten Stellungnahme, man sei Opfer und nicht Täter gewesen. Der Beobachtung der Anwohner_Innen, dass viele Geraer bei Neonazis beliebte  Kleidung getragen hätten, wird dabei allerdings nicht widersprochen. Vielmehr wird diese als unpolitisch dargestellt. In einem Punkt weichen allerdings sowohl die Fans aus Gera als auch die Bewohner_Innen des Hausprojekts von der Darstellung der Polizei ab. Diese behauptet, die Fans aus Gera seien seit ihrer Ankunft am Bahnhof in Gotha unter ständiger Beobachtung gewesen. Wismut-Fans hingegen berichten, dass sie unbegleitet den Weihnachtsmarkt in Gotha besucht hätten. Und die "Antifaschistische Aktion Gotha" berichtet von Provokationen seitens der Gästefans auf dem Weihnachtsmarkt. Noch dazu seien zur selben Zeit Sticker des "Freien Netz Hessen" entdeckt worden, auf denen unter anderem "Solidarität mit allen Nationalen Sozialisten" gefordert wird. Die Antifaschist_Innen vermuten, dass die Polizei mit ihrer Version davon abzulenken versucht, dass sie die von den rechten Fans ausgehende Gefahr unterschätzt habe. Das alternative Hausprojekt J.u.w.e.L. e.V., das aus Veranstaltungsräumen, einem Umsonstladen und Wohnungen besteht, ist schon in der Vergangenheit des Öfteren zur Zielscheibe von Nazi-Angriffen geworden, wie die "Antifaschistische Aktion Gotha" in diesem Zusammenhang berichtet. Gerade Fußballspiele seien problematisch, weil die Polizei Gäste-Fans auf dem Weg zum Stadion meist direkt durch die Hersdorfstraße führt.

BSG Wismut Gera: "Heil Hitler! " beim Training

Es ist auch nicht das erste Mal, dass der Name "BSG Wismut Gera" im Zusammenhang mit Neonazis fällt. Ein Trainer im Jugendbereich soll Recherchen der "taz" zufolge sein Training mit dem Gruß "Heil Hitler!" eingeleitet und mit "Sieg Heil! " beendet haben. Ein Spieler der ersten Mannschaft wurde außerdem laut der Wochenzeitung "Die Zeit" mit einem T-Shirt mit der Aufschrift "Team Mengele,  World Champion of Ethnic Cleansing, Auschwitz 1941" abgelichtet. Im Rampenlicht der Berichterstattung stand aber zuletzt vor allem der kurzzeitige Präsident des Vereins, Lars Weber. Weber, den man laut einem Gerichtsurteil als "Nazi" bezeichnen darf, war vom Vorsitz der BSG zurückgetreten, als seine Verstrickungen in die lokale rechtsextreme Szene bekannt wurden. Sowohl der Verein "Mobit e.V.", als auch der  Verein "AufAndHalt", ein "Netz Betroffener rechter Gewalt", gehen davon aus, dass sich Weber bis heute in der rechten Szene bewegt – so  gibt es ein vor nicht allzu langer Zeit geschossenes Foto von ihm und dem hessischen NPD-Funktionär und Holocaustleugner Marcel Wöll. Weber selbst kommt aus der Kameradschafts- und Kampfsportszene, gleichzeitig hat er sein eigenes Sicherheitsunternehmen gegründet und war auch als Türsteher aktiv. Aus diesen Kreisen sollen dann auch regelmäßig Zuschauer zu den Heimspielen der "BSG Wismut Gera" kommen. Auch nach dem Rücktritt Webers vom Präsidentenamt der BSG, der laut einer Stellungnahme ausschließlich wegen der schlechten Publicity erfolgte, stellt sein Sicherheitsunternehmen "Alpha DSD"  die Ordner bei BSG Wismut Spielen. Bereits 2010 vermutete der SWR in einem Radiobeitrag, dass es in Gera personelle Überschneidungen zwischen Kampfsport, privaten Sicherheitsdiensten und der rechten Szene gebe.

Pommes, Kekse, Keltenkreuz

In der Auseinandersetzung um Webers Funktion im Verein waren die "Ultras Gera 99" als seine Widersacher aufgetreten und hatten bei der Wahl gegen ihn gestimmt. Gegenüber der "taz" beklagt ein Sprecher der Gruppe den "Imageschaden" für den Verein. Nach dem Vorfall vom 30. November stellt sich nun aber die Frage, in wie weit die "Ultras Gera" und ihr Umfeld selbst  ein Nazi-Problem haben: Ein Blick auf die Facebook-Profile derjenigen, die die Ultras Gera mit "gefällt mir" markiert haben, gibt nämlich Einblick in eine Szene, in der rechter Lifestyle, Szene-Codes und rechtsradikale Ansichten sowie Gewaltdarstellungen Normalität zu seien scheinen. Neben profanen "Likes" für Pommes und Kekse reihen sich "Gefällt Mir"-Angaben für das "Keltenkreuz", "die Unsterblichen" und die NPD.  Einer Vielzahl der User_Innen gefällt beispielsweise die Modemarke "Thor Steinar", zu den beliebtesten Bands zählen "Endstufe", "Kategorie C", "Frank Rennicke", "Frei.Wild", "Dee Ex" und "Eugenik Horde". Letztere gedenken auf ihrer Facebook-Seite dem verstorbenen "Skrewdriver"-Gründer und "Blood & Honour"-Initiator Ian Stuart Donaldson. Und "Dee Ex" rappt auch schon mal über "Freiheitssoldaten", die mit "revolutionärem Patriotismus" ihre Zukunft retten müssten. Darüber hinaus sind User_Innen aus dem Umfeld der "Ultras Gera" in Gruppen aktiv, die "Stopp den Asylmissbrauch" und "Todesstrafe für Kinderschänder" fordern - beides sind Themen, die auch Neonazis nur allzu gerne für ihre Propaganda missbrauchen. Auch die Kleidungsmarken "Ultra Patriot" und "Walhall Athletik" stoßen offenbar im Umfeld der "Ultras Gera" auf Interesse. Beim polnischen Internetversand von "Ultra Patriot" können sich Kund_Innen T-Shirts mit der Aufschrift "Better dead than red" bestellen. "Walhall Athletik", welches in erster Linie Kampfsportler_Innen als Zielgruppe hat, soll laut einer antifaschistischen Recherche vom bundesweit bekannten Neonazi und Führungskader des "Freien Netz Süd", Daniel Weigl, gegründet worden sein. Von einem User, der die "Ultras Gera" ebenfalls mit "Gefällt mir" markiert hat, ist außerdem ein Selbstportrait vor einem leicht verfremdeten Reichsadler zu sehen – das Hakenkreuz ist durch das VW-Emblem ersetzt worden. Von Zeit zu Zeit wird es bei den Fans der "Ultras Gera" auf Facebook aber auch widersprüchlich, beispielsweise, wenn etwa auch dezidiert linke Bands als Lieblingsgruppen neben bekannten Rechtsrockbands stehen. Viele der Profile zeigen in diesem Sinne zwar eine Menge Versatzstücke neonazistischer Ideologie, aber nicht notwendigerweise ein geschlossenes rechtes Weltbild.

Pornographie und Gewaltfetisch

Hinzu kommen diverse Links zu Seiten, auf denen Straßenkampf- und Kampfsportvideos zu sehen sind, pornographische Bilder, Waffen und Quarzsandhandschuhe werden ebenfalls "geliket". Einige User stellen Bilder von sich ins Netz, auf denen sie mit "Hooltra" (Hooligan & Ultra) Pullover und Skimaske in den Farben von Wismut Gera zu sehen sind. Ein Nutzer, der über seine Fotos ebenfalls eindeutig der Fanszene von Wismut Gera zugeordnet werden kann, hat auf seiner Facebook-Seite ein Video von Polizeiübergriffen gepostet. Auf seinen zynischen Kommentar "Die Polizei dein Freund und Helfer" antwortet ein Freund: "Stech [sic!] sie ab und helf [sic!] dir selber!". Daran ist besonders pikant, dass die betreffende Person nicht nur ebenfalls ein Startbild der "Ultras Gera" in seinem Profil hat, sondern auch als Spieler bei "Wismut Gera" aktiv ist. Doch er ist nicht der einzige Spieler der "BSG Wismut Gera", der auf Facebook auffällig ist – ein weiterer posiert auf einem Foto in einem T-Shirt der Nazimarke "Ansgar Aryan". Auch seine "Gefällt Mir"-Angaben sind einschlägig: dazu gehören die NPD Kreisverbände von Altenburg und Greiz, die Wehrmacht und die "Unsterblichen". Ein Anderer, der ebenfalls im Verein in verantwortlicher Position angestellt ist, bezieht seinem Facebook-Profil zufolge Informationen vom rechten heidnischen Portal "Midgard“ – Untertitel: "Nachrichten die unsere Regierung verschweigt". Auf diesem wird gerne über die üblichen Feindbilder "Islamisten" und "linke Gutmenschen" sowie über den "deutschen Schuldkomplex" hergezogen.  

Rechte Normalität, ganz unpolitisch

Die Recherche im Internet zeichnet somit ein Bild zumindest von Teilen der "Fanszene Gera", in denen rechter Lifestyle die Hegemonie erlangt und offensichtlich unhinterfragt und unwidersprochen seinen Platz hat. Wie die Erfahrungen bei anderen Vereinen zeigen, schließt sich die Akzeptanz rechter Positionen mit dem Selbstverständnis der Ultras, "unpolitisch" zu sein, nicht unbedingt aus. Oft ist es vielmehr erst das "Unpolitisch-Sein", das durch sein verkürztes Verständnis vom Stadion als "Bereich frei von Politik" den Neonazis den Raum gibt, in Stadien zu agitieren, Antirassismus als "linksextreme Politik" zu diffamieren und Nachwuchs zu rekrutieren.

Auch die "Antifaschistische Aktion Gotha" hat angekündigt, die Verknüpfungen zwischen Geraer Fußballfans und Neonazis genauer unter die Lupe zu nehmen. Es bleibt abzuwarten, ob nach dieser Veröffentlichung die Darstellung eines Angriffs von Linken auf unpolitische Wismut-Anhänger noch aufrechterhalten werden kann, oder nicht. Und, ob sich die "BSG Wismut Gera" dann endlich seinem Problem mit Neonazis und einem rechtsoffenen Umfeld stellt. Dies ist, angesichts der hier geschilderten Fälle, ohne Frage eine große Herausforderung, aber auch eine absolute Notwendigkeit.

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