Szene aus dem einem Anti-Nazi-Videoclip des BVB.
Screenshot von Youtube

Tut sich was? Antidiskriminierungsarbeit bei Borussia Dortmund

Lange Zeit fiel die Fanszene des BVB politisch vor allem negativ auf. Doch auf Dauer wollten viele den rechten Ruf nicht auf sich sitzenlassen, weswegen sowohl der Verein als auch einige Fans des BVB anfingen, sich offener gegen rechts zu positionieren.

Von Henning Rennekamp, gekürzte Übernahme aus dem Transparent Magazin 10/2014

Für Borussia Dortmund lief es in den vergangenen drei Jahren sportlich so gut wie lange nicht. Leider machte der Verein parallel zum Erfolg immer wieder negative Schlagzeilen durch rechtsoffene oder gar eindeutig rechtsradikale Fans. Im August 2012 verbietet der Verfassungsschutz die Neonazi-Kameradschaft „Nationaler Widerstand Dortmund“ und kurz darauf halten Besucher auf der Südtribüne des Dortmunder Stadions beim Bundesligaspiel gegen Werder Bremen eine Tapete mit der Aufschrift „Solidarität mit dem NWDO“ hoch. Im Dezember des gleichen Jahres wurden Vorwürfe laut, der BVB beschäftige Neonazis als Ordner im Stadion. Den traurigen Höhepunkt kennzeichnet jedoch der Angriff zweier Neonazis auf den Fanbeauftragten Jens Volke und den Leiter des Fanprojekts Thilo Danielsmayer bei einem Auswärtsspiel des BVB in Donezk  im Februar 2013.

Ein Verein, seine Stadt und deren Neonazis

Schnell wurde der BVB damals in eine Reihe mit Vereinen wie Eintracht Braunschweig, Alemannia Aachen oder dem MSV Duisburg gestellt, wenn es darum ging, das Problem rechtsradikaler Hooligans im deutschen Fußball zu erläutern. In diesen Städten haben rechte Hooligangruppen durch vermehrte Angriffe auf antirassistische Ultras eine Situation herbeigeführt, in der es für viele dieser Ultras nicht mehr, oder nur noch sehr eingeschränkt, möglich ist, Spiele ihres Vereins zu besuchen. Doch die Situation in Dortmund war eine andere, meint Hans L. (Name geändert), der jahrelang Mitglied der Dortmunder Ultràgruppe „The Unity“ war: „Auch wenn das Problem im Stadion schon groß genug war, können wir froh sein, dass es nicht noch größere Formen angenommen hat, wenn man sich vor Augen führt, dass in Dortmund – im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen – das Problem in der Stadt noch wesentlich größer ist als im Stadion.“ Diese Aussage wurde erst jüngst bestätigt, als etwa 20-30 Mitglieder der Partei „Die Rechte“ versuchten, am Abend der Kommunalwahl das Rathaus zu stürmen. Dabei wurden mehrere Gäste teilweise durch Schnitt- und Platzwunden verletzt. „Die Rechte“  gilt als Nachfolgeorganisation des verbotenen „Nationalen Widerstand Dortmund“. Unter den Angreifern befand sich auch der Spitzenkandidat und frisch in den Stadtrat gewählte Siegfried Borchardt, besser bekannt als SS-Siggi, welcher in den 1980er-Jahren die rechtsradikale Hooligangruppe „Borussenfront“ gründete und bis heute ein gewichtiges Wort in der rechtsradikalen Szene und in Hooligankreisen des BVB hat.

BVB ist nicht Alemannia Aachen

Doch nicht nur aufgrund der lokalen Besonderheiten lässt sich der BVB schlecht in eine Reihe mit den Situationen in Aachen, Braunschweig oder Duisburg einordnen. Die Konflikte in den genannten Städten entfachten sich vor allem zwischen vergleichsweise linken Ultràgruppen und mindestens rechtsoffenen Hooligangruppen, die diese nicht in der Kurve dulden wollten. In Dortmund gab es jedoch nie und gibt es bis heute keine explizit linke Ultràgruppe, weswegen für viele Vertreter*innen des Vereins und der nicht-aktiven Fanszene die Ereignisse wie aus dem Nichts zu kommen schienen. „Es herrschte einfach eine große Unsicherheit im Umgang mit dem Thema und man war von der Situation Ende 2012 überrumpelt“ beschreibt Daniel Lörcher, Fanbeauftragter des BVB und ehemaliger Vorsänger von „The Unity““, den Zustand des BVB-Vorstands zur Zeit nach den rechten Vorfällen.

Ob die Situation wirklich überraschend war, ist anzuzweifeln. Sven (Name geändert), Politikwissenschaftler und seit acht Jahren Besitzer einer Dauerkarte für die Südtribüne des Dortmunder Stadions geht noch weiter: „Man wusste schon immer, dass es Neonazis und rechte Gruppen im Stadion gibt. Wer mit offenen Augen durch das Stadion lief, konnte die eigentlich gar nicht übersehen. Die meisten Leute hat es gar nicht gestört, bis der öffentliche Druck so groß wurde, dass man sich positionieren musste.“

 „Nicht mit unser’m BVB!“

Nach dem hochgehaltenen Transparent für den „Nationalen Widerstand Dortmund“, gab es im darauffolgenden Heimspiel gegen Bayer Leverkusen im September 2012 eine breite Reaktion des gesamten Stadions. „Die Fanclubs haben sich im Stadion sichtbar davon distanziert. Zwar gab es keine Statements gegen Rassismus, allerdings gegen Nazis, was schon mehr war, als bis dahin bekannt“, erinnert sich der Fanbeauftragte Lörcher. Und spätestens mit dem Übergriff in Donezk setzte eine Wendung sowohl beim Verein als auch in der Fanszene ein. Die Ultràgruppe „Jubos“ distanzierte sich klar von diesem Angriff und sicherte den Betroffenen ihre Unterstützung zu. Und selbst die Ultràgruppe „Desperados“, die als rechtsoffen gilt, fühlte sich genötigt, ein Spruchband mit der Aufschrift „Hände weg vom Fanprojekt“ hochzuhalten.

Für den Verein war zu dem Zeitpunkt ebenfalls klar, dass man sich eindeutig positionieren muss. „Zuerst ging das im Spieltags-Alltag wieder unter, doch Anfang September 2013 folgte eine konkrete Umsetzung der einzelnen Projekte in ein Gesamtkonzept“, erzählt Lörcher. Wichtig sei ihm und dem Verein vor allem, bei den Stadionbesucher*innen langfristig und nachhaltig ein Gespür für Alltagsrassismus zu schaffen.

In der Tat finden derzeit viele Aktionen bei Borussia Dortmund statt. So verteilte der Verein 80.000 Flyer im Stadion, die auf rechte Codes und Symbole hinweisen. Der BVB beteiligt sich an den Aktionswochen des antirassistischen Netzwerkes FARE und verkauft einen „Gegen Rassismus“-Schal. Die Fanbeauftragten organisieren regelmäßige Gedenkstättenfahrten und Zeitzeugengespräche mit Opfern des NS für Fans und Fanclubs. Zusätzlich steht der Verein in ständiger Zusammenarbeit mit der Kompetenzgruppe „Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit“ (KoFaS), eine dem Institut für Sportwissenschaft der Universität Hannover angegliederte Arbeitsgruppe, die den Prozess beim BVB wissenschaftlich begleitet. „Wir erhalten von der KoFaS wichtige inhaltliche und strukturelle Unterstützung“, begründet der Fanbeauftragte die Zusammenarbeit. Gerd Dembowski, Fanforscher und Mitarbeiter der KoFaS, ist zuversichtlich, dass beim BVB gerade ein solides Grundgerüst für die zukünftige Arbeit gegen rechts aufgebaut wird.

Neue Faninitiative „ballspiel.vereint!“

Alltagsrassismus und auch andere Formen von Diskriminierung beschäftigen auch eine Gruppe, zu deren Gründerinnen und Gründern auch Hans gehört. „Die Initiative ballspiel.vereint! ist ein Bündnis von Borussia-Dortmund-Anhänger_innen, das sich aus verschiedensten Teilen der Fanszene zusammensetzt. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, ein Bewusstsein für alltägliche Diskriminierungen rund um den BVB zu schaffen, um langfristig einen antidiskriminierenden Grundkonsens in der Dortmunder Fanszene zu etablieren“, heißt es auf dessen Internetseite. Die Liste derer, die diesen Grundkonsens unterzeichnet haben, umfasst über 40 Fanclubs. Von den Dortmunder Ultràgruppen ist jedoch keine dabei. Dennoch ist allein die Gründung der Initiative, die zum Teil aus ehemaligen Mitgliedern der Ultràszene besteht, mehr als man sich noch vor einiger Zeit vorstellen konnte. „Als wir nach Donezk die ganzen Spruchbänder gesehen haben, wussten wir, dass in der Szene etwas fehlt. Der Verein hat zwar sein Engagement verstärkt, aber wir wollten, dass aus der Szene auch noch etwas Eigenes kommt“, erinnert sich Hans. Und er fügt hinzu: „Dass der Verein jetzt klarer Position bezieht, finden wir gut, aber darauf wollen wir uns nicht verlassen, eher wollen wir klar machen, dass man da am Ball bleiben muss.“

Gerd Dembowski schätzt die Arbeit der Faninitiative: „In Dortmund war es wichtig, dass sich eine Fangruppe bildet, die sich breit aufgestellt zivilcouragiert engagieren kann. Eine eher linksalternative Ultragruppe hätte sich irgendwann zwangsläufig der Machtfrage in der Kurve stellen müssen.“ Personen oder Gruppen, die gegen „ballspiel.vereint!“ vorgingen, würden sich selbst als Gegner von Engagement gegen Diskriminierung im Stadion entlarven und dadurch in den Augen vieler Fans disqualifizieren.

Das sieht Hans als großen Fortschritt an: „Anfangs hatten wir die Befürchtung, dass wir Probleme kriegen könnten, wenn wir beispielsweise ein Transparent mit antirassistischer Aussage hochhalten, aber mittlerweile habe ich das Gefühl, dass das kein Risiko darstellt. Die Nazis können im Stadion einfach nicht mehr so offen agieren.“ Andererseits hat es eben mehr Glaubwürdigkeit, wenn die Fans selbst gegen Rassismus aktiv werden, statt symbolische Aktionen vom Verein zu unterstützen.

Quo vadis, Borussia?

Doch wie fundiert ist das ganze Engagement inhaltlich eigentlich? Ein zuletzt in der Dortmunder Öffentlichkeit hochgelobter Videoclip des Vereins zeigt ein völlig überholtes Bild von Neonazis mit Bomberjacken und Springerstiefeln. „Das Video sollte nur ein Statement mit symbolischem Charakter sein und keineswegs aufklären. Wir haben dafür bewusst eine klischeehafte Darstellung gewählt, die aber nahezu jedem bekannt ist“, erklärt Daniel Lörcher. Politikwissenschaftler und Dauerkartenbesitzer Sven, der sichtlich verärgert über das Video ist, meint dennoch wohlwollend: „Vielleicht muss man zu Beginn von so einer langfristigen Kampagne erst einmal so plakativ vorgehen, aber ich finde, gerade deswegen ist es wichtig, dass parallel dazu inhaltliche Veranstaltungen stattfinden. Da ist es gut, dass ballspiel.vereint! um so etwas bemüht ist.“

Dennoch sieht er noch eine ganze Menge Luft nach oben: „Es müsste noch viel mehr inhaltliche Veranstaltungen geben. Gerade was Themen wie Homophobie, Sexismus und Antisemitismus angeht, passiert da zurzeit noch zu wenig. Ich finde, man darf die Fans da auch nicht unterschätzen und so tun, als wären die zu blöd dafür, aber man kann so etwas ja nicht mal eben in der Halbzeit diskutieren, deswegen braucht man Vorträge und Diskussionen.“ Und genau da will auch die Initiative „ballspiel.vereint!“ weitermachen

Was von all den hehren Zielen am Ende irgendwann übrig sein wird, bleibt abzuwarten. Es dürfte viel davon abhängen, ob gerade in der jetzigen Umbruchphase, die Ultràgruppen „Jubos“ und „The Unity“ anfangen, sich stärker zu positionieren, oder ob sie weiterhin unter dem Vorwand, unpolitisch zu sein, schweigen, wenn es um radikal rechte Tendenzen in der Fanszene geht.

Eine Situation, wie man sie in Duisburg, Braunschweig oder Aachen beobachten konnte, als sich die Vereine rausgehalten oder auf die Seite der rechten Aggressoren gestellt haben, ist in Dortmund allerdings nicht mehr zu erwarten. Hans ist der Meinung, dass „wenn es irgendwann zu einem Übergriff auf uns kommen sollte, dann sind wir zuversichtlich, dass der Verein hinter uns stehen und uns den Rücken stärken wird.“ Keiner der Faktoren lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt wirklich vorhersehen. Lörcher sieht positiv in die Zukunft: „Man merkt, dass die Fans Bock haben, etwas zu machen!“  Der BVB hat die Probleme erkannt und will sie lösen. Damit ist er anderen deutschen Vereinen einen Schritt voraus.

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