Der 27-Jährige spielt in Elmenhorst in Schleswig-Holstein Fußball, kämpft für mehr Akzeptanz und hat sich im Fernsehen geoutet. Der gesamte Verein sah zu. Seine "Flitterwochen" feierte er im Juni in Dublin bei der schwul-lesbischen Fußball-Europameisterschaft.
Von Dirk A. Leibfried
Elmenhorst. Amt Schwarzenbek-Land, Landkreis Herzogtum Lauenburg in Schleswig-Holstein. Alles andere als eine Schwulenhochburg. Hier wohnt Tony Quindt. Er spielt auf der 6er-Position für den heimischen Fußballverein – und er ist schwul. Ein Paradiesvogel? Ein Sonderling? Mitnichten. Tony Quindt ist sogar eine kleine Berühmtheit im Ort, immerhin vereint er auf seiner Fanseite auf Facebook genauso viele Menschen, wie Elmenhorst Einwohner hat: rund 900. Der 27-Jährige kämpft für Akzeptanz, auch öffentlich: "Fußball spielen und schwul zu sein, ist kein Widerspruch! Ich hoffe, dass meine Geschichte vielen anderen Mut macht, sich zu outen."
Diese Geschichte, die Tony Quindt meint, beginnt im Frühjahr 2008. Auf einer Geburtstagsfeier eines Mannschaftskollegen stellte er einen jungen Mann, den keiner kannte, als "meine Frau" vor. So richtig ernst nahmen ihn seine Kameraden nicht. Das sollte sich wenige Tage später ändern. Als ein Kamerateam des Norddeutschen Rundfunks (NDR) auf dem Sportgelände der S.I.G. Elmenhorst gesichtet wurde und mit Quindt ein Interview führte, war das Versteckspiel vorbei. "Schaut’s euch einfach morgen im Fernsehen an", antwortete er verlegen auf die neugierigen Nachfragen. Dass der gesamte Verein die Sendung mit dem offiziellen Coming-out am Fernsehgerät verfolgte – Ehrensache. Wir sind in Elmenhorst, Amt Schwarzenbek-Land. 900 Einwohner.
Bislang hat sich kein deutscher Profi-Fußballer zu seiner Homosexualität bekannt. Auch in den unteren Klassen, wo jedes Wochenende rund drei Millionen Hobbyfußballer dem Ball nachjagen, wird das Thema gerne totgeschwiegen, traut sich kaum jemand aus der Deckung. Vor allem in ländlichen Gebieten, wo jeder jeden kennt, ist der Konformitätsdruck bekanntermaßen besonders stark. Junge Dorfkicker erlernen deshalb nicht nur den versierten Umgang mit dem Ball, sondern auch das Vermeiden all dessen, was als schwul wahrgenommen werden könnte. Fußball ist Männersport. Mit Grasflecken auf den Shorts, blutigen Knien und dem Geräusch des Leders, wenn es an den Pfosten kracht. Eben eine Bastion echter Kerle, die keine Andersartigkeit duldet. Ist das wirklich so?
Angst vor Ablehnung hatte anfangs auch Tony Quindt. Doch es kam ganz anders. Seine Mitspieler reagierten überraschend offen auf das Coming-out: "Alle haben das sofort akzeptiert, keiner verhält sich seitdem anders zu mir", sagt er. Und fügt schmunzelnd hinzu: "Auch in der Dusche guckt keiner betreten weg." Die Erleichterung über den Schritt ist auch heute noch zu spüren: "Jetzt fühle ich mich wohl", strahlt Quindt, "mir ist damals ein Stein vom Herzen gefallen, endlich war der ganze Druck von mir weg." Sein Teamkollege Ulf Stuhlmacher gesteht allerdings: "Es war am nächsten Tag schon das Thema Nummer eins. Viele hätten das nicht gedacht und waren perplex."
Tony Quindt ist ein Stück weit auch stolz. Auf sich. Aber auch auf seine Mannschaft. "Meine Mitspieler sind toll mit meinem Coming-out umgegangen, sie stehen zu mir und akzeptieren mich als Mensch." Das ist sicher ein Grund, wieso Quindt heute selbstbewusst und offensiv mit dem Thema umgeht. Nicht nur auf seiner Fanseite will er sich einsetzen. Für mehr Mut. Für Toleranz. Für Akzeptanz. "Ich habe es selbst erlebt, wie befreiend ein Coming-out sein kann", will er seine Erfahrungen an andere weitergeben.
Rückblende: Der in einer Kleinstadt in Sibirien geborene Tony Quindt ist gerade 16, als er gemeinsam mit seinen aus Kasachstan stammenden Eltern und seinen beiden älteren Schwestern nach Deutschland kam. Kurze Zeit später landete die Spätaussiedlerfamilie in Elmenhorst. Deutschkenntnisse? Fast nicht vorhanden. Zwei Jahre lang traut sich Tony deshalb auch nicht, dem Fußballverein beizutreten. Doch er schaut sich die Trainingseinheiten an. Immer wieder. Mit 18 fühlt er sich sicher genug. Quindt galt in seiner alten Heimat als Talent, zog sich bei einem regionalen Auswahlturnier aber einen Mittelfußbruch zu. Er wollte die Heilung beschleunigen, spielte entgegen dem ärztlichen Rat – und brach sich erneut den Fuß.
Drei Jahre später also der Neuanfang. Damals spielte Elmenhorst in der Kreisklasse A. Ein ganz normaler Fußballverein eben. Und auch Tony Quindt lebte ein "normales" Leben. Mit 20 hatte er eine Freundin. Sechs Monate lang. Doch in dieser Zeit lernte er einen Mann kennen, seinen späteren Freund, mit dem er dreieinhalb Jahre lang eine Beziehung führte. Sie scheiterte, trotz des gemeinsamen und für die Zukunft so bedeutsamen Auftritts bei der Geburtstagsfeier des Mannschaftskollegen. 2011 lernte der Altenpfleger per Internet einen in Barcelona lebenden Brasilianer kennen. Gegenseitige Besuche, der Entschluss, es gemeinsam zu versuchen, eine gemeinsame Wohnung in Elmenhorst. Im April 2013 schlossen die beiden eine Lebenspartnerschaft.
Seine "Flitterwochen" feierte Tony Quindt im Juni in der irischen Hauptstadt Dublin. Bei der schwullesbischen Europameisterschaft (siehe Infokasten) verstärkte er das Team der Ballboys Hamburg. Anders als bei der S.I.G. Elmenhorst, wo er als Abräumer vor der Abwehr fungiert, soll er bei den Hamburgern als Spielmacher das Kreativzentrum beleben. Natürlich, so Quindt, sei es ein großer Unterschied, ob man in einem normalen Dorfverein oder in einer schwulen Mannschaft Fußball spiele. "Den Ballboys habe ich viel zu verdanken, sie haben es mir erst ermöglicht, in der Gemeinschaft aus mir rauszugehen." Er ist sich sicher: Ohne die Ballboys hätte er sich wohl immer noch nicht geoutet. Dass neben dem Spaß und dem Wiedersehen mit den Akteuren anderer Mannschaften auch der Fußball eine wichtige Rolle in Dublin spielen wird, ist Quindts Ehrgeiz geschuldet. "Ich will da natürlich auch etwas erreichen, immerhin ist das eine Europameisterschaft."
Sein Ehrgeiz ist ansteckend. Und seine Offenheit. Schwule Fußballer gibt es nicht? Tony Quindt mag in diesem Hort archaischer Männlichkeit eine Ausnahme sein. Aber er weiß, dass er nicht allein ist. Er setzt sich ein. Für ein Umdenken. Auf seine Art. Unprätentiös, aber selbstbewusst. Oder wie es auf seiner Fanseite so schön heißt: "Ich hoffe, dass meine Geschichte vielen anderen Mut macht, sich zu outen." Der Junge aus der Provinz hat es vorgelebt.
SCHWUL-LESBISCHE FUSSBALL-EUROPAMEISTERSCHAFT Die schwul-lesbische Fußball-Europameisterschaft fand vom 13. bis 16. Juni 2013 auf dem Universitätsgelände in Dublin (Irland) statt. Es waren die zweiten Wettkämpfe dieser Art nach 2011 in Manchester (England). Veranstalter war der internationale schwul-lesbische Fußballverband (IGLFA), ausgerichtet wurde das Turnier von den Dublin Devils. Insgesamt nahmen 20 Herren und acht Frauenteams an den Spielen teil. Aus Deutschland reisten die Frauen von Magix Berlin auf die Grüne Insel, bei den Herren die Ballboys aus Hamburg und das Team Vorspiel aus Berlin. Mit dabei waren 600 Spieler, Trainer und Offizielle aus England, Irland, Deutschland, Schweden, Italien, Frankreich und Russland. Bei den Frauen nahm zudem ein Team aus Boston (USA) an den Spielen teil. Gewonnen hat bei den Herren das Team "Village Manchester FC" aus England und bei den Damen "Alternativa" aus Russland. Mehr Infos: euro2013dublin.com
Der Autor: Dirk A. Leibfried (45) arbeitet als freier Journalist und Autor in Kaiserslautern. Er veröffentlichte im Herbst 2011 gemeinsam mit Andreas Erb das Buch „Das Schweigen der Männer. Homosexualität im deutschen Fußball“ (erschienen im Werkstatt-Verlag). Bei der schwul-lesbischen Fußball- Europameisterschaft in Dublin wird Leibfried als Schiedsrichter fungieren.
Mit freundlicher Genehmigung von DU&ICH. Der Text erschien ursprünglich in der Ausgabe Juni/Juli 2013.