Auf der "Kop de Boulogne" trieben lange Zeit die "Boulogne Boys" ihr Unwesen. Diese fielen immer wieder durch Gewalt, rechte Symbole und diskriminierende Äußerungen auf.
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Rechtsextremismus und Rassismus im französischen Fußball

EUROPA RECHTSAUßEN: Mit einem multikulturell geprägten Team gewann Frankreich 1998 den WM- und 2000 den EM-Titel. Die "Equipe Tricolore" schien ein Musterbeispiel für Toleranz und Miteinander im Fußball zu sein – doch was ist heutzutage davon übrig? Und wie sieht es auf Vereinsebene aus?

Von Konstantin Keller

Kurz gesagt: Ausschreitungen und Diskriminierungen waren und sind im französischen Fußball, der seit vielen Jahren auch von Menschen mit arabischem und afrikanischem Migrationshintergrund geprägt wird, ein Problem. Oftmals sehen sich Spieler und Fans mit Migrationshintergrund offenem Rassismus ausgesetzt. Aber auch Diskriminierungen aufgrund der regionalen Herkunft spielen im französischen Fußball eine Rolle. Einige Beispiele.

Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt: Die Probleme innerhalb der "Kop de Boulogne"

Besonders hervor tat sich jahrelang die Fanszene in Paris, insbesondere die Gruppierung "Boulogne Boys", die 1985 als Teil der Tribüne "Kop de Boulogne" gegründet wurde. Ihr Ziel war offiziell die Unterstützung von Paris St. Germain - und für ihren Support genoss sie in der Fanszene dann auch schnell national wie international einen hervorragenden Ruf.  Doch die Gruppe fiel auch negativ auf: nicht nur durch die hohe Gewaltbereitschaft bei Spielen gegen den großen Rivalen Olympique Marseille, dessen Fanszene insgesamt, insbesondere aber die beiden größten Ultragruppierungen "Commando Ultra ’84" und "South Winners ’87" für ihre antifaschistische und antirassistische Grundhaltung bekannt sind. Die "Boulogne Boys"  gerieten immer wieder auch durch rechte Parolen und das Präsentieren von rechter Symbolik sowie durch diskriminierende Äußerungen in die Schlagzeilen.

Die diskriminierenden Äußerungen und die Gewaltausbrüche der Gruppe beschränkten sich dabei nicht nur auf gegnerische Anhänger- auch im eigenen Fanlager wurden nichtgeduldete oder andersdenkende Gruppierungen eingeschüchtert und verfolgt.  So gab es zwischen 2004 und 2006 auf dem  "Kop de Boulogne " einen offenen Konflikt  zwischen den "Boys" und der Fangruppe "Tigris Mystique", die im "Prinzenpark" auf der gegenüberliegenden Tribüne "Auteuil" beheimatet war.  Diese Gruppe bestand aus sogenannten "Black-Blanc-Beur", Jugendliche aus den Vorstätten, häufig mit Migrationshintergrund. Dabei erklärte die gesamte "Kop de Boulogne" unter Führung der "Boulogne Boys" den "Tigris" offiziell den Krieg, es kam zu offenen Kämpfen zwischen den PSG-Anhängern. Sogar viele Alt-Hooligans, die eigentlich seit Jahren nicht mehr zum "Kop" gehörten, kehrten eigens für diese "Schlachten" zurück.  Während bei Heimspielen teilweise noch offene Kämpfe verhindert werden konnten, eskalierte die Situation gerade bei Auswärtsspielen von PSG regelmäßig - es gab immer wieder Verletzte. Letztlich löste sich "Tigris Mystique" im Jahr 2006 auf – "Kop de Boulogne" hatte mit Einschüchterung und Gewalt eine ungeliebte Gruppierung vertrieben.   

Die Politik greift ein: Gewaltbereite und rechtsextreme Gruppierungen werden verboten

2008 wurden die "Boulogne Boys" neben einigen anderen Gruppen schließlich offiziell vom französischen Innenministerium verboten – es war somit nicht mehr erlaubt, die Banner der Gruppe aufzuhängen oder ihre Kleidung in und um die Stadien herum zu tragen. Im Gegensatz zu fast allen anderen Gruppen waren es bei den "Boys"  jedoch nicht in erster Linie die gewalttätigen Ausschreitungen, die das Fass zum Überlaufen brachten. Es waren die diskriminierenden Äußerungen der Gruppe.  So hatten die "Boulogne Boys" kurz zuvor beim Ligapokalendspiel gegen den RC Lens ein  Banner gezeigt, auf dem es hieß: "Pädophile, Arbeitslose und Inzest-Gezeugte: Willkommen bei den Ch’tis!".  "Ch’ti" ist eine Bezeichnung für die Bewohner des ländlichen Nordfrankreichs, die Bezug auf deren besonderen Dialekt nimmt. Über die Gegend und ihre Bewohner wurden im restlichen Frankreich schon immer gerne Witze gemacht – die "Boulogne Boys" bedienten sich jedoch besonders übler Klischees, um ihre Gegner an diesem Tag zu beleidigen und zu diskriminieren.

Diskriminierung "eigener" Spieler – leider keine Seltenheit

Die Probleme beschränken sich jedoch nicht nur auf Paris. Im Februar 2009 wurde John Mensah, zu diesem Zeitpunkt bei Olympique Lyon unter Vertrag, von einem eigenen Fan rassistisch beleidigt. Mensah, der bereits in der Halbzeit das Spielfeld verlassen wollte, musste von Mitspielern zum Weitermachen überredet werden, der Fan wurde festgenommen. Der Ghanaer, der erst in dieser Saison nach Lyon gewechselt war, verließ den Klub zum Saisonende in Richtung England. Zwar kehrte er zwei Jahre später noch einmal nach Lyon zurück, glücklich wurde der Abwehrspieler in Frankreich aber nicht mehr. Wie John Mensah in Lyon sah sich auch Ryad Boudebouz, der als Sohn algerischer Eltern in Frankreich geboren wurde, im Jahre 2012 rassistischen Beleidigungen des eigenen Anhangs ausgesetzt, als es für seinen Verein Sochaux zum Saisonstart nicht gut lief und er kurz zuvor mit Olympique Marseille über einen Wechsel verhandelt hatte.  Die vielen Spieler mit Migrationshintergrund, die in Frankreich aktiv sind, werden offenbar gerne als Sündenböcke benutzt.

2011: Rassismus-Skandal beim französischen Verband

Im Jahr 2011 wurde auch der französische Fußballverband (FFF) von einem Rassismus-Skandal erschüttert. Der Hintergrund: Da viele französische Spieler einen afrikanischen Migrationshintergrund haben, entscheiden sie sich häufig dafür, für die Heimatländer ihrer Eltern zu spielen. Nun wurde enthüllt, dass einige Funktionäre des FFF daher über die Einführung einer maximalen Quote, also einer herkunftsbedingten Begrenzung, für Spieler nichtfranzösischer Herkunft nachdachten. Letztlich unverhohlener Rassismus. Zwar wurde all das energisch abgestritten, aber investigative französische Journalisten der Onlinezeitung "Mediapart" bewiesen mit Protokollen, dass sogar der damalige Nationaltrainer Laurent Blanc, der einst als Kapitän die multikulturelle "Equipe Tricolore" zum WM-Titel 1998 geführt hatte, involviert war. 11 von 22 Spielern im Kader hatten damals einen Migrationshintergrund, unter anderem der legendäre Zinedine Zidane, neben Michel Platini wohl der größte französische Fußballer aller Zeiten. 

Nun wollte man wohl eine weniger multikulturelle Mannschaft, auch um zu verhindern, Spieler an ihre Herkunftsländer zu verlieren. Um die angestrebte Quote zu erreichen und zu rechtfertigen - Ziel war ein Höchstanteil von 30 Prozent an Spielern mit doppelter Staatsbürgerschaft - äußerte Blanc Überlegungen zu Genen und Körperbau und empfahl, bei der zukünftigen Sichtung von Jugendlichen eher auf die Technik als auf die Athletik zu achten. Blanc erklärte, er habe zwar nichts gegen Schwarze, gleichzeitig äußerte er sich aber folgendermaßen: "Wer sind die derzeit Großen, Robusten, Kräftigen? Die Schwarzen. Ich glaube, dass wir uns neu ausrichten müssen. Dass wir andere Kriterien haben müssen, unserer eigenen Kultur angepasst. Die Spanier haben mir gesagt: <<Wir haben keine Probleme. Wir haben keine Schwarzen>>". Ein Skandal, der Frankreich nicht nur auf fußballerischer, sondern auch auf politischer Ebene erschütterte. Blanc entschuldigte sich zwar für das vermeintliche Missverständnis und hielt sich noch bis zur Europameisterschaft 2012 im Amt, seine Popularität hatte jedoch schwerstens gelitten. Einige Funktionäre, die laut der aufgetauchten Protokolle in die Überlegungen involviert waren, mussten zurücktreten. Der Verband gelobte Besserung.

Verbote und Rücktritte  – wirklich bereits die Lösung?

Mit dem Verbot von Fangruppen wie den "Boulogne Boys" hat sich die Lage in Frankreichs Klubfußball oberflächlich betrachtet ein wenig verbessert – sieht man jedoch genauer hin, gibt es bei Aufeinandertreffen zwischen den Erzrivalen PSG und Marseille nach wie vor Gewalt, die nicht nur auf sportlicher Rivalität begründet ist. Dies zeigt: Nur weil man Gruppierungen verbietet und zwangsauflöst, verschwindet nicht automatisch rassistisches und menschenverachtendes Gedankengut aus den Stadien. Hinzu kommen die Einstellungen
vieler konservativer Funktionäre innerhalb des Verbandes FFF, die zu Skandalen wie dem im Jahr 2011 führen. Frankreichs Fußball steht im Kampf gegen Diskriminierung, Rassismus und Gewalt keinesfalls vor unlösbaren Problemen – doch genug zu tun gibt es definitiv noch. 

 

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