Mitglieder der Ungarischen Garde nehmen 2009 an den Feierlichkeiten zum Trianon-Tag teil. Sie fordern Großungarn zurück und stehen der rechtsextremen Partei Jobbik nahe.
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"Die rechtsextreme ungarische Garde rekrutiert in den Fußballstadien"

Nachdem Angela Merkel Ungarn einen Besuch abgestattet und die Entwicklung der Demokratie kritisiert hat, werfen auch wir einen Blick auf den kleinen Staat. Premierminister Viktor Orbán ist Fußballfan, seit einigen Jahren investiert der Staat vermehrt in den Ballsport. Dabei haben in den ungarischen Fußballstadien haben Antisemitismus und Antiziganismus einen festen Sitz. Die NGO Szubjektív Értékek Alapítvány (Stiftung für subjektive Werte) aus Budapest ist die einzige Organisation, die im ungarischen Fußball Projekte gegen Diskriminierung durchführt. Wir haben mit einem ihrer Gründer, Bálint Josá, über die Situation in Ungarn, Rechtsextreme im Fußball und mögliche Auswege gesprochen.

 

FgN: Wie schätzten Sie das Problem mit Rechtsextremen im Fußball in Ungarn ein?

BJ: Wir haben während unserer Arbeit mit vielen Fußballfans gesprochen und deshalb gehen wir davon aus, dass es unter den ungarischen Fans circa 10 Prozent Rechtsextremisten gibt. Dabei ist Fußball in Ungarn nicht so populär, wie zum Beispiel in Deutschland. Der ungarische Fußball ist einfach nicht so gut und er ist zu teuer. Trotzdem nimmt er einen hohen Stellenwert ein, auch politisch. Es gibt 16 bekannte Teams in der Ersten Liga. Manchmal gehen in einer Woche weniger als 10.000 Menschen in ganz Ungarn ins Fußballstadion. Populärer als die Clubs ist aber die Nationalmannschaft.

Bei Spielen der Nationalmannschaft kam es immer wieder zu Vorfällen. Das hat jedoch mehr mit ungarischem Nationalismus zu tun, als mit Fußball. Am bekanntesten wurde ein Freundschaftsspiel zwischen Ungarn und Israel im August 2012, dabei hatten ungarische Fans antisemitische Parolen skandiert und als Provokation eine palästinensische Fahne gezeigt. Ungarn wurde von der FIFA zu einem Geisterspiel gegen Rumänien und einer hohen Geldstrafe verurteilt. Besonders gegen Rumänien kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen, das hat mit dem Friedensvertrag von Trianon zu tun, also der Aufteilung des ehemaligen Großungarn, zu dem auch Teile Rumäniens gehört haben. Diese Gebiete fordern die ungarischen Fans bei Spielen dann ein, indem sie die Großungarn-Fahne schwenken, die eigentlich verboten ist.

Und wie stellt sich das Problem in Ungarn selbst dar, man hört schon immer wieder von weit verbreiteten rechten Einstellungen in den ungarischen Stadien?

Nun das Problem hat verschiedene Seiten. Antisemitismus und Antiziganismus sind allgemein ein großes Problem in der ungarischen Gesellschaft und werden auch in den Fußball getragen. Das ist keine rechtsextreme Ideologie, sondern ein generelles gesellschaftliches Problem. Und dann kommt im Fußball noch das Prinzip hinzu, dass man einfach mitschreit, was andere singen. Lieder gegen "Zigeuner" oder "Juden" haben eine Art traurige Tradition. Rassismus gegen Spieler aus afrikanischen Staaten zum Beispiel ist nicht so stark. Da die Ungarn selbst keinen guten Fußball spielen, können sie ihre Stars nicht Bananen bewerfen oder ähnliches.

Kennen Sie die ungarische Garde?

Ja das sagt mir etwas. Hat die Garde etwas mit Fußball zu tun?

Die Ungarische Garde ist besonders gegen Roma in Aktion, sie organisieren immer wieder Aufmärsche. Dabei rekrutieren sie ihre Teilnehmer unter Fußballfans, bei den Ultras. In der ungarischen Ultraszene gibt es besonders viele Rechtsextreme. Und die Jobbik (eine rechtsextreme ungarische Partei, aktuell drittstärkste Kraft im Parlament, Anm. d. R.) nutzt das aus.

Und wie geht man in Ungarn mit diesen Problemen um? Gibt es eine offizielle Reaktion?

Der ungarische Fußballverband fährt jetzt eine Nulltoleranz-Politik. Wenn Fälle von Diskriminierung bekannt werden, gibt es jetzt immer eine Strafe.

Weil der Verband jetzt konsequent durchgreift, kann in den Stadien keine Fahne mehr gezeigt werden, die die Clubs nicht geprüft haben. Wir haben den Verband dabei beraten, was erlaubt sein soll und was nicht. Einigkeit bestand im Verbot des ungarischen Hakenkreuzes, Streit gab es über die Großungarn-Flagge. Die Frage des Trianon-Vertrags ist in der ungarischen Politik und Gesellschaft nicht abschließend verarbeitet worden. 

Was sehen Sie als die größten Probleme im ungarischen Fußball?

Ganz klar, Antisemitismus und Antiziganismus. Das liegt auch in der sozialistischen Vergangenheit Ungarns begründet. In Ungarn lebte man ja etwas freier, als zum Beispiel in der DDR. Ab den 1970ern kamen im Fußball vermehrt antiziganistische und antisemitische Gesänge auf, "Zigeuner"-Lieder oder eben Rufe, "Züge nach Auschwitz zu bauen", waren typisch. Und es wurde gestattet. Da sich das so eingebürgert hat, ist es schwer, die Fans jetzt umzustimmen. Sie sehen das nicht als diskriminierend, sondern als eine Art Sprichwort. Ein typischer Ultrá-Song ist auch "Unser Verband ist schwul" – sie singen das, wenn sie auf den Fußballverband schimpfen wollen. All diese Worte werden zur Beschimpfung genutzt, aber in der ungarischen Gesellschaft wird solche Art von hate speech toleriert.

Welche Projekte gegen diese Art von Menschenverachtung und Diskriminierung im Fußball macht Ihre Organisation "Szubjektiv"?

Wir haben in der Vergangenheit an vielen Runden Tischen mit Experten teilgenommen. Und machen viele kleine Projekte, arbeiten auch oft mit dem europäischen Fußballfannetzwerk FARE zusammen. Dabei machen wir auch ein observer system, also wir senden Beobachter in die Stadien um diskriminierende Vorkommnisse zu dokumentieren. Wir schicken die Protokolle an die Clubs, damit sie die Probleme erkennen. Zwar verteilt die UEFA zum Beispiel auch Strafen, aber ich denke, von Strafen lernt man nichts.

Weiterhin haben wir gerade zwei große Projekte in Planung. In einem Projekt wollen wir uns dafür einsetzen, dass bei jedem Fußballclub eine legitimierte Fanvertretung eingesetzt wird. Die Clubs arbeiten nicht mit den Fans zusammen, die Fans haben auch keinen Einfluss. Da herrschen oft Spannungen. Wir wollen, dass die Vereine die Fans ins Boot holen – zum Beispiel, wenn sie die Regeln des Verbandes zum Thema Diskriminierung befolgen. Wenn die Fans beteiligt wären, würden die Maßnahmen besser angenommen. Aber weil die Fans nicht involviert sind, wirken die Maßnahmen nicht, sondern werden verlacht.

In einem zweiten Projekt wollen wir mit Trainern von Fußballteams im ländlichen Raum arbeiten. Es gibt mehr Fußball auf dem Land als in den Städten und gleichzeitig ist hier die Ablehnung von Roma noch krasser. Die Vereine nehmen keine Roma-Kinder auf, weil es viele Vorurteile gibt. Da findet eine Segregation im Sport statt. Wir wollen mit Trainern ein antirassistisches Know-how erarbeiten, wie man die Clubs überzeugen kann, diese Kinder aufzunehmen.

Gibt es auch Fankurven, die sich selbst gegen Rechts engagieren?

Die Fans nicht selbst nicht wirklich aktiv, es gehen wie gesagt auch nur wenige Menschen ins Fußballstadion. Es gibt einen Club, der Magyar Torna Klub (MTK), das ist ein alter Club mit einer jüdischen Vergangenheit. Von dem gingen immer Initiativen gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus aus, es gab auch immer Kontakte zu Ajax Amsterdam. Und die Clubfarben sind weiß-blau, wie die Fahne von Israel. Aber leider hat sich der Club verändert, ein wichtiger Funktionär im Verein ist selbst Fidesz-Mitglied. Von den Initiativen gegen Rechts haben wir nichts mehr gehört. Wir hatten einen anderen Partner, der versucht hat Fußballfans für Diskriminierung zu sensibilisieren. Aber das war auch keine Organisierung, die von den Fans selbst kam.   

Besonders der ungarische Fußball ist in seiner Entstehung stark vom jüdischen Engagement im Sport geprägt worden. Spielt das eine Rolle, wenn es um den weit verbreiteten Antisemitismus in den Fußballstadien geht?

Das stimmt. Die ungarischen Juden waren stark an einer gesellschaftlichen Assimilation interessiert und außerdem stellten sie einen großen Teil des Bürgertums. Sie haben Anfang des 20. Jahrhunderts viele Fußballclubs gegründet. Im Sozialismus wurden alle Clubs verstaatlicht, sie bekamen neue Namen und neue Stadien. Das hat auch die ungarische Fußballgeschichte zerstört. Ich weiß nur von MTK, dass sie sich auf ihre Geschichte berufen und damit in die Öffentlichkeit gehen. Es gab eine große Demonstration gegen Antisemitismus, auch der MTK Club war dort. Aber von anderen Clubs ist mir nichts bekannt.

Was sehen Sie, wenn Sie in die Zukunft des ungarischen Fußballs blicken?

Derzeit werden von der Regierung viele Stadien gebaut, Viktor Orbán ist ein Fußballfan. Es kann sein, dass es eine neue Welle der Fußballbegeisterung gibt, wenn in den neuen Stadien dann auch ein besserer Fußball gespielt wird. Vielleicht ändert sich dann auch das Publikum und es kommen mehr Menschen ins Stadion, die eine andere Fankultur wollen. Ebenso gibt es in den modernen Stadien, die jetzt schon betrieben werden, weniger gewaltvolle Vorkommnisse, weil jede Flasche, die fliegt, genau nachverfolgt werden kann.

Das Interview führte Laura Piotrowski  

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