Das Olympia-Stadion in Rom ist Spielstätte des AS Rom und von Lazio. Beide Vereine sind bekannt für ihre rechte Anhängerschaft.
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"Nichts zu machen"? Diskriminierung im italienischen Fußball

EUROPA RECHTSAUßEN: Die Liste der Vorfälle mit rassistischem und antisemitischem Hintergrund ist auch nach dem "Fall Boateng" lang. Dass diese und andere Diskriminierungsformen sich im italienischen Fußball so erschreckend konstant halten, hat eine Vielzahl von Ursachen. Daher bleibt auch dort noch viel zu tun.

Von Joachim Wolf

Nachdem er bei einem Freundschaftsspiel des AC Mailand gegen Pro Patria  im Januar 2013 immer  wieder von den Fans des Viertligisten  rassistisch beleidigt worden war, kickte Kevin-Prince Boateng den Ball in Richtung Tribüne und verließ das Spielfeld. Seine Teamkollegen folgten ihm und so sorgten die Spieler des AC  für den ersten Spielabbruch aufgrund von rassistischen Vorfällen in Italien. Für ihre Aktion bekamen der gebürtige Berliner und seine Mitstreiter anschließend viel Lob –und Boateng wurde sogar eingeladen, eine Rede zum Thema Rassismus vor der UNO zu halten. "Rassismus muss aktiv bekämpft werden, er verschwindet nicht von selbst", sagte er dort. Und: "Als ich in der Nationalmannschaft Ghanas spielte, habe ich gelernt, Malaria zu bekämpfen. Impfungen genügen nicht. Man muss die Teiche trocken legen, in denen die Malaria-Mücken gedeihen. Ich denke, dass Malaria und Rassismus vieles gemeinsam haben".  In Italien wurde nach dem Vorfall viel über das dort herrschende Rassismus-Problem im Fußball diskutiert. Milans Trainer Massimiliano Allegri forderte beispielsweise, das Land müsse "zivilisierter und intelligenter" werden. Die Hoffnung war groß, dass sich im italienischen Fußball nach all den Jahren, in denen es immer wieder zu  rassistischen und rechtsextremen Vorfällen gekommen war, nun etwas ändern würde. Endlich. 

"Dummheit darf nicht toleriert werden"

Nachdem beim Liga-Spiel des AC Mailand gegen den AS Rom Mitte Mai 2013 römische Fans den Milan-Stürmer Mario Balotelli mit rassistischen Sprechchören beleidigt hatten, wurde die Partie unterbrochen. Während der Unterbrechung versuchte Roma-Ikone  Francesco Totti, die eigenen Anhänger zur Vernunft zu bringen, um wenigsten einen Spielabbruch zu verhindern. Tatsächlich wurde die Partie dann auch nach etwa  anderthalb Minuten fortgesetzt. Doch der entstandene Schaden war groß. Nicht nur für den Hauptstadtclub, der eine Strafe in Höhe von 50.000 Euro zahlen musste. Sondern auch und vor allem für den gesamten italienischen Fußball. Denn: nichts schien sich nach dem "Fall Boateng" geändert zu haben. Wohl auch deshalb wurde in der Öffentlichkeit nun wieder viel diskutiert und erneut gaben einflussreiche Menschen zahlreiche Statements ab. "So eine Dummheit darf nicht toleriert werden", meinte beispielsweise Milan-Kapitän Massimo Ambrosini. Und auch Fifa-Präsident Joseph Blatter äußerte sich via Twitter entsetzt über die Vorkommnisse und forderte ein konsequentes Vorgehen gegen Rassismus im Fußball. In der täglich erscheinenden römischen Fan-Zeitung "il romanista" hatte man dagegen eine ganz eigene Sicht der Dinge: Als Römer könne man gar kein Rassist sein, schließlich habe man schon vor über zweitausend Jahren bei der Eroberung der damals bekannten Welt ganz selbstverständlich den Umgang mit anderen Kulturen gepflegt. Außerdem sei es schon damals ganz normal gewesen, im Kolosseum weiße und schwarze Gladiatoren gegeneinander antreten zu lassen. Und überhaupt: Die Römer waren schon zur Zeit des Imperiums viel fortschrittlicher als der ganze barbarischen Rest der Welt.  Vielleicht auch angesichts solcher arroganten und ignoranten Ansichten schrieb die renommierte "Gazetta dello Sport" nach den Vorfällen beim Spiel zwischen Milan und der Roma resigniert: "nichts zu machen".

Wiederholungstäter Lazio

Und tatsächlich ist die Liste der Vorfälle im italienischen Fußball mit rassistischem, antisemitischem und rechtsextremem Hintergrund auch nach dem "Fall Boateng" lang. Als Wiederholungstäter im italienischen Fußball fiel dabei  auch in diesem Jahr immer wieder Lazio Rom auf. So beleidigten im August  2013 beispielsweise Anhänger des Vereins die Juve-Spieler Paul Pogba, Angelo Ogbonna und Kwadwo Asamoah rassistisch. Und beim Europa-League-Spiel gegen Legia Warschau im September fielen Lazio-Anhänger durch rassistische Gesänge auf. Ein besonders krasser Vorfall ereignete sich aber bereits Ende 2012, als vor dem Europa-League-Spiel gegen Tottenham Lazio-Hooligans gemeinsam mit Anhängern des AS Rom Fans der "Spurs" in einer Kneipe in der römischen Innenstadt brutal angriffen und zehn Menschen dabei verletzten.  Laut Augenzeugenberichten sollen die rund 30 maskierten Angreifer dabei antisemitische Parolen gerufen haben. Auch während des Spiels riefen Lazio-Anhänger Parolen wie "Juden Tottenham, Juden Tottenham". Dieser Vorfall ist aus zwei Gründen besonders erschreckend: Zum einen, weil sich hier zwei Fangruppen, die sich sonst im wortwörtlichen Sinne bis aufs Messer bekriegen, offenbar zusammengetan haben, um einen gemeinsamen "Feind" zu bekämpfen: Geeint hat sie der Hass auf Juden. Zum anderen ist der Überfall aber auch ein erschreckendes Beispiel dafür, wie nah verbale Beleidigungen und brutale Gewalt beieinander liegen können. Aber es ist natürlich nicht nur Lazio Rom, dessen Fans immer wieder durch rassistische, antisemitische oder andere diskriminierende Handlungen auffallen. Weitere Vereine, die immer wieder wegen rassistischer Beschimpfungen belangt wurden, sind neben Hellas Verona, Ascoli Calcio und Calcio Padua auch der AS Rom und Juventus Turin. Insgesamt zählte das "Zentrum für Studien der öffentlichen Sicherheit" in Brescia zwischen 2000 und 2012 630 Vorfälle von Rassismus im italienischen Profifußball- dies sind aber nur die Fälle, die gemeldet wurden. Zumindest in den letzten Jahren ist dabei die Zahl der diskriminierenden Vorfälle pro Jahr konstant hoch geblieben.

Sonderfall "territoriale Diskriminierung"

Der italienische Fußballverband Federcalcio hat die Antirassismus-Vorschriften der UEFA um einen weiteren Paragrafen erweitert, demzufolge Vereinen auch bei "territorialer Diskriminierung" durch ihre Fans Strafen wie Kurven- und Stadionsperren drohen. Gemeint sind mit "territorialer Diskriminierung" die weit verbreiteten Vorurteile der Norditaliener gegenüber den Süditalienern. Beschimpfungen wie "Terroni" ("Erdfresser") fallen hierunter. Aber auch die Gesänge der Fans des AC Mailands, die dem norditalienischen Verein zuletzt eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 Euro und eine Stadionsperre einbrachten. "Merkst du den Gestank, da flüchten ja die Hunde: Die Neapolitaner kommen. Oh, diese Cholera-Kranken, das Erdbeben hat sie platt gemacht, ein Stück Seife haben die noch nie gesehen. Napoli, du bist eine Schande für Italien", hatten die Milan-Fans unter anderem gesungen. Beim AC zeigte man sich wenig einsichtig: Als "absurd" und "Unsinn" bezeichnete beispielsweise Milan-Manager Adriano Galliani die Regelung, denn die Gesänge der Fans sieht er nur als "Veralberung von Landsleuten" an.  Auch Milan-Capo Giancarlo Capelli sieht in dem Paragrafen, der "territoriale Diskriminierung" unter Strafe stellt, eine "schwachsinnige Vorschrift", gegen die man mit den zitierten Gesängen gezielt habe protestieren wollen. Nun rechnet er mit einer ganzen Protestwelle gegen die Bestrafung des Vereins und gegen die als absurd empfundene Regelung. Und tatsächlich haben sich die Neapolitaner bereits bei einem Spiel in ihrem eigenen Stadion selbst beleidigt, indem sie Transparent mit der Aufschrift "Napoli Colera" zeigten und Parolen wie "Vorwärts Vesuv, wasche sie mit Feuer" riefen.  

Ursachenforschung

Dass Rassismus, Antisemitismus und andere Diskriminierungsformen sich im italienischen Fußball so erschreckend konstant halten, hat sicherlich eine Vielzahl von Ursachen. Ein Grund ist die Unterwanderung einiger Fankurven durch rechtsextreme und neonfaschistische Gruppierungen, die teilweise schon in den Neunzigerjahren begann. Neben kleinen Vereinen wie Udine, Triest, Padua und Verona betraf und betrifft dies auch die Kurven der "Großen": Inter Mailand, der AC Mailand und  Juventus Turin haben ebenso rechtsextreme Anhänger wie der AS Rom und Lazio. Beim zuletzt genannten Verein gaben beispielsweise lange Zeit die neofaschistischen "Irriducibili"  ("Unbeugsame") den Ton in der Kurve an. Heute hat die Gruppe zwar ihren Einfluss verloren, doch rassistisches, antisemitisches sowie sonstiges rechtes Gedankengut ist ganz offensichtlich immer noch bei den Lazio-Fans weit verbreitet. 

Neben den Fans sind es aber auch immer wieder Spieler selbst, die durch rechtes Verhalten auffallen. Berühmt-berüchtigt war hierfür lange der Lazio-Star Paolo Di Canio, der seine Tore mit dem ausgestreckten rechten Arm vor der Fankurve feierte und dafür gleich mehrfach zu Gelstrafen verurteilt wurde. Auch Alberto Aquilani und der beim AS Rom als Totti-Nachfolger gehandelte Daniele De Rossi sollen Sympathien für die neofaschistische Gruppe "Forza Nuova " gehabt haben. Und Christian Abbiati , Stammtorhüter beim AC Milan, sprach 2008 in der Wochenendbeilage der "Gazzetta dello Sport" ganz offen über seine Bewunderung für den faschistischen Diktator Mussolini. Dass Fans und Spieler sich in Italien immer wieder ganz offen zu ihrer rechtsextremen Ideologie bekennen können, hat sicherlich auch mit der mangelhaften Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit in dem südeuropäischen Land zu tun.

Wenn es in Italien zu rassistischen oder anderen diskriminierenden Vorfällen kommt, dann gibt es neben dem öffentlichen Aufschrei immer auch Stimmen, die den Fall herunterspielen, die behaupten, es sei gar kein Rassismus gewesen. Die Debatte, die immer wieder in der italienischen Öffentlichkeit entbrennt, wenn Mario Balotelli von Fans beleidigt wird, ist ein Beispiel hierfür. Natürlich ist nicht jede Schmähung des Stürmer-Stars auch gleich Rassismus, doch Balotelli musste seit seiner Rückkehr nach Italien oft genug erfahren, was es heißt, aufgrund seiner Hautfarbe beleidigt zu werden. Dass in Italien überhaupt immer wieder von neuem darüber diskutiert werden muss, was denn nun Rassismus bzw. Diskriminierung ist und was nicht, zeugt aber, wenn nicht von einer gewissen Ignoranz, dann doch zumindest von einer gewissen Rat- und Hilflosigkeit dem Thema gegenüber. Auch die aktuelle Debatte über "territoriale Diskriminierung" zeigt dies. Schließlich ist es auch hier eine mehr als schlechte Ausrede, es gehöre nun mal zum "traditionellen Liedgut" der Kurven bzw. es sei ja nur "Spaß", jemanden aufgrund seiner Herkunft bestimmte negative Eigenschaften zuzuschreiben oder ihm deshalb gar den Tod zu wünschen.

Wirklich nichts zu machen?

Mag dies insgesamt ein sehr negatives Bild der Zustände, die im italienischen Fußball herrschen, abgeben- so gibt es doch auch durchaus positive Beispiele.  So greift der Fußballverband in Italien regelmäßig hart durch, wenn es zu rassistischen oder anderen diskriminierenden Vorfällen kommt- Geldstrafen und Kurvensperren sind die Folgen. Aber nicht alle sehen dies positiv. So gibt beispielsweise Carlo Balestri, Gründer von "Progetto Ultra" und Organisator der "Mondiali antirazzisti" im Interview mit 11Freunde.de zu bedenken: "Die Politik reagiert seit jeher mit Repressionen und hat das Problem nicht gelöst. Im Gegenteil. Die aggressive Grundstimmung ist mitunter stärker geworden. Schaut man heute auf die Tribünen, sieht man dort eine sterbende und wütende Fankultur. Es gibt in jedem Stadion zahlreiche kleine Splittergruppen, doch keine konstruktive, bunte und lebhafte Kurve. "

In der Tat ist es wichtig, dass auf Rassismus und Rechtsextremismus nicht nur mit Repression reagiert wird. Und deshalb ist es mehr als begrüßenswert, dass  es auch von Seiten der Spieler und der Vereine immer wieder positive Aktionen gab und gibt: So liefen beispielsweise im August 2013 die Fußballer von Lazio Rom bei einem Spiel mit einem Antirassismus-Slogan auf dem Trikot auf. Und vor dem Spiel des AS Rom gegen Inter Mailand trugen die Spieler beider Mannschaften ein T-Shirt mit der Aufschrift "Jeder hat das Recht auf Leben #Lampedusa". Vor mehreren Spielen der Serie A gab es an diesem Spieltag außerdem eine Schweigeminute für die Opfer der Flüchtlingskatastrophe vor der italienischen Insel.  

Viel wichtiger ist aber, dass sich auch bei den Fans etwas zu tun scheint. So waren es beispielsweise die Fans von Lazio Rom, die während des Europa-League-Spiels gegen Tottenham Hotspur die antisemitischen Gesänge in ihrer Kurve durch Pfiffe übertönt haben. Und Fan-Initiativen wie das "Progetto Ultra" und die "Mondiali antirazzisti" kämpfen schon seit Langem gegen Rassismus und Diskriminierung in den italienischen Stadien- ebenso wie einige Ultras, die sich explizit als antirassistisch verstehen. Was fehlt ist allerdings eine intensive Fanarbeit, wie sie in Deutschland beispielsweise die Fanprojekte leisten.

All dies gibt Hoffnung, dass das "nichts zu machen" der altehrwürdigen "Gazzetta dello Sport" nur eine resignative Momentaufnahme war. Aber natürlich bleibt auch im italienischen Fußball noch viel zu tun.

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