Cover der Dokumentation "Politikum Sport"
Screenshot fussball-gegen-nazis.de

"Gesellschaftliche Vielfalt anerkennen"

Unter dem Titel "Politikum Sport. Zwischen Vielfalt und Diskriminierung" haben die nordrhein-westfälischen Grünen in einer Broschüre die Ergebnisse einer gleichnamigen Fachtagung  dokumentiert. In der lesenswerten 43-seitigen Handreichung geht es nicht nur um die Strategien der Neonazis im Sport, sondern auch um Handlungsmöglichkeiten und Gegenstrategien.

Von Julius Hermann und Joachim Wolf

"Der Sport muss sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung stellen, nicht zuletzt, da er eine wichtige Rolle bei der gesellschaftlichen Integration unterschiedlichster Gruppen spielt", schreiben die beiden grünen Landtagsabgeordneten Josefine Paul und Verena Schäffer in einem Vorwort zur Broschüre. Gleichzeitig stellen sie aber auch fest, dass der Sport diese schwierige gesellschaftliche Aufgabe natürlich nicht alleine stemmen kann: "Hier sind Sportverbände und Politik gemeinsam gefordert, die Vereine vor Ort zu stärken und zu unterstützen".

Welche Gefahren von den  Neonazis im Fußball konkret ausgehen, analysierte der Journalist und Autor Ronny Blaschke zu Beginn der Fachtagung, die im März 2012 im Düsseldorfer Landtag stattfand. Für die Dokumentationsbroschüre stellte er allerdings nur das Einleitungskapitel seines Buches "Angriff von Rechtsaußen" zur Verfügung. Dort berichtet er über die rechte Gewalt in den unteren Ligen sowie über die Rolle der Medien bei der Wahrnehmung des Problems "Rechtsextremismus im Fußball". Gleichzeitig beleuchtet er aber auch politikwissenschaftliche und soziologische Aspekte und geht dabei auch auf die Langzeitstudie zur "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" der Universität Bielefeld ein. Diese ergab unter anderem, dass 49 % der Befragten der These zustimmen, dass "in Deutschland zu viele Ausländer leben" würden. Und ganze elf Prozent der befragten Bundesbürger waren der Ansicht,  dass "die Weißen" zu Recht führend in der Welt seien.  "Angesichts dieser Zahlen ist die oft bemühte Trennung zwischen einem intoleranten „Rand“ und einer toleranten „Mitte“ der Gesellschaft nicht mehr als eine politische Floskel. Rechte Positionen und die Ablehnung von Gruppen sind tief in der Gesellschaft verankert", schreibt Blaschke. Deshalb verwundert es wohl kaum, dass man diese auch im Fußballstadion findet. Aus diesem Grunde plädiert Blaschke in seinem Buch für eine politische Diskussionskultur, in der dem Fußball als Massensport das Privileg zukomme, gesellschaftliche Debatten voran zu treiben. Und: Der Journalist und Autor spricht sich für Prävention aus. Im Profifußball bedeute dies "die Stärkung der pädagogischen Fanprojekte", im Amateurfußball  der "aufklärende(n) Initiativen".  Denn: "Nur mit einem breiten Wissen lassen sich kreative  Bildungsangebote entwerfen, um rechtsextreme Einstellungen nicht entstehen zu lassen."

Ein solches Bildungsangebot bietet auch das Projekt "Mobile Interventionsteams gegen Rechtsextremismus im Sport" der Sportjugend Hessen. Und dementsprechend war auch deren Leiterin, Angelika Ribler, als Referentin zu der Fachtragung eingeladen. In ihrem Beitrag setzte Ribler sich zunächst grundsätzlich mit den Begriffen Rechtsextremismus, Alltagsrassismus und Diskriminierung auseinander und ging dann anhand von Beispielen auf die Situation im Sport in Hessen ein. Ein besonders schockierendes Beispiel: Bereits ein C-Jugend-Spieler fiel durch Sprüche auf wie: "Dieser Judensohn zeigt mir doch nicht etwa Rot! " und "Nazi müsste man sein und Schiris wie den auf dem Scheiterhaufen verbrennen".  Angesichts solcher Ereignisse betonte auch Ribler die Wichtigkeit von Präventionsarbeit  und zeigte in ihrem Vortrag Gegenstrategien auf. Dabei sind in der Broschüre ganz konkrete Möglichkeiten aufgelistet, mit denen Sportvereine rechte Umtriebe schon im Vorfeld verhindern können: Beispielsweise durch entsprechende Festlegungen in der Vereinssatzung oder durch Informationsveranstaltungen zum Thema. In diesen konkreten Handlungsvorschlägen liegt sicherlich eine der Stärken der Dokumentationsbroschüre. Ob dagegen die dort unkommentiert abgedruckten Vortragsfolien zumindest dem nicht in das Thema eingearbeiteten Leser weiterhelfen, ist fraglich.

In einem dritten Kapitel stellt Adam Bednarsky vom "Roten Stern Leipzig" die Arbeit seines Vereins vor, der sich bekanntermaßen einer antirassistischen Philosophie verschrieben hat. In seinem Vortrag beschreibt Bednarsky auch die Probleme und Herausforderungen, mit denen die Mitglieder konfrontiert werden – diese reichen von Vorbehalten und ablehnenden Reaktionen, die dem sich explizit antirassistisch verstehenden Verein immer wieder entgegentreten, bis hin zu gewalttätigen Angriffen von Neonazis auf SpielerInnen und Fans des "Roten Sterns", wie den durch 50 rechte Hooligans im Jahr 2009. Dokumentiert sind in der Grünen-Broschüre allerdings auch in diesem Kapitel vor allem wieder nur die Vortragsfolien und nicht der sicherlich sehr interessante persönliche Erfahrungsbericht des Referenten. 

Ein Text, der die Inhalte der Tagung gut zusammenfasst, findet sich dagegen im letzten Kapitel der Broschüre. Hier geht es um die abschließende Diskussionsrunde mit den ReferenInnen, bei der auch TeilnehmerInnen Fragen stellen konnten. Natürlich können dabei in diesem Kapitel  die unterschiedlichen Themen und Aspekte nur angeschnitten werden, doch die Wiedergabe der Diskussion gelingt klar und strukturiert - deshalb hätte man sich einen solchen Text auch für die vorherigen Beiträge der Referenten gewünscht. Ein wichtiges Ergebnis der Abschlußdiskussion: "Alle drei ReferentInnen waren der Ansicht, dass die Entwicklung eines neuen Leitbilds, das die gesellschaftliche Vielfalt anerkennt und in den Vereinsstrukturen verankert, nur dann zum Erfolg führen kann, wenn sie gemeinsam mit den Mitgliedern erfolgt und vor Ort umgesetzt wird". Dabei dürfe allerdings nicht nur die Öffentlichkeitswirksamkeit des Projekts im Vordergrund stehen, sondern es müsse darum gehen, "wie ein solches Leitbild mit Inhalten gefüllt wird. Zudem muss eine veränderte Diskussionskultur in den Vereinen etabliert werden". Aber auch auf die wichtige Rolle der Fans und auf die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren bei der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus im Fußball verwiesen die Referenten in ihren Diskussionsbeiträgen. Nicht zuletzt könnten und müssten aber auch Politik und Öffentlichkeit Druck auf den Sport ausüben, damit sich Vereine und Verbände  stärker mit diesem Thema zu befassen, wie Ronny Blaschke in der Abschlussdiskussion betonte. Als positives Beispiel nannte er hierfür den "Fall Kaiserslautern".

Somit zeigt auch diese Broschüre zweierlei: Es gibt bereits gute Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Homophobie im Fussball. Gleichzeitig bleibt aber noch für alle Akteure viel zu tun.

"Politikum Sport: Zwischen Vielfalt und Diskriminierung" (Broschüre als Pdf)

 

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