M. Latsch

Nationalismus im türkischen Fußball

„Fußball ist Fußball und Politik bleibt Politik“ heißt es in einem Songtext, der vor allem in rechtsextremen Kreisen beliebten Hooligan-Band Kategorie C. Stößt dieser Slogan schon in Deutschland auf große Proteste in den unterschiedlichen Fanszenen, dient erst recht die Türkei als Paradebeispiel für die immense politische Bedeutung des Sports.

Von Marc Latsch

In diesem Land an der Grenze zwischen Asien und Europa, das sich spätestens seit dem Aufstieg der islamisch-konservativ geprägten AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan in einem ständigen Kulturkampf befindet, ist kein Bereich des öffentlichen Lebens vor politischer Instrumentalisierung sicher. Besondere Aufmerksamkeit wird hierbei dem Fußball zuteil. Zum einen aufgrund der immensen Begeisterung, die der Sport quer durch alle Bevölkerungsgruppen des Landes auslöst wie an kaum einem anderen Ort der Welt. Zum anderen wegen der Fanszenen der großen Istanbuler Vereine, die für ihren Fanatismus und ihre durchaus regierungskritische Haltung bekannt sind.

So war der Höhepunkt des innenpolitischen Konflikts, die Taksim-Proteste im Jahr 2013, auch der Auftakt für eine stärkere Kriminalisierung der türkischen Fanszene und repressiver Maßnahmen durch die AKP-Regierung. Die eigentlich verfeindeten Anhänger von Galatasaray, Fenerbahçe und Beşiktaş schlugen sich gemeinschaftlich auf die Seite der Protestbewegung und zogen somit den Zorn der Staatsführung auf sich. Zur Saison 2013/14 wurde der sogenannte „Passolig“ eingeführt, durch den nur noch personalisierte Eintrittskarten für die Spiele der ersten beiden türkischen Ligen erworben werden konnten und zudem der Zugang für Gästefans erschwert und teilweise sogar verboten wurde. Die türkische Justiz ging in der Folge zudem hart gegen die linke Fangruppierung „Çarşı“ von Beşiktaş Istanbul vor. 35 Fußballfans, die meisten von ihnen Çarşı-Mitglieder, wurden wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und geplantem Staatsumsturz angeklagt. Zwar endete die Verhandlung im Dezember 2015 in diesen Punkten ausnahmslos mit Freisprüchen, dennoch wurde zwei Fans wegen dem Besitz von in der Türkei frei erhältlicher Pyrotechnik zu jeweils zweieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt.

Während sich die Euphorie der Taksim-Proteste in den letzten Jahren wieder merklich gelegt hat, eskalierte 2015 der zuvor halbwegs befriedete Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Minderheit im Land. Der durch das militärische Vorgehen des türkischen Militärs gegen kurdische Widerstandskämpfer sowohl im Ausland als auch im Südosten der Türkei wurde der Wahlkampf zur Parlamentswahl im November 2015 noch weiter aufgeheizt. Drei Wochen vor dem Wahltag sprengten sich während einer Friedensdemonstration vorwiegend kurdischer Gruppierungen zwei Selbstmordattentäter in die Luft – 102 Menschen starben. Die Anspannung im Land stieg weiter, alle Arten von Verschwörungstheorien gerieten in Umlauf. Drei Tage nach den Anschlägen traf die Türkei zum entscheidenden Spiel der EM-Qualifikation auf Island, Ort der Begegnung war das konservativ geprägte Konya. Während der im Vorfeld anberaumten Gedenkminute für die Opfer von Ankara schallten gut hörbar Pfiffe und „Allahu akbar“-Rufe durch das Rund. Die nationalistische Stimmung entlud sich zu Lasten der vornehmlich kurdischen Toten.

Der Türkische Fußballverband „TFF“ scheint in seinen Strafen zudem mit zweierlei Maß zu messen. Im Jahr 2012 betitelt Emre Belözoğlu während des Spiels von Fenerbahçe Istanbul gegen Trabzonspor seinen Gegenspieler Didiert Zokora als „pis zenci“ (dt.: „dreckiger Neger“). Der Fall schlägt hohe Wellen, Belözoğlu wird später sogar vor einem ordentlichen Gericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der Türkische Verband sperrt ihn jedoch lediglich für zwei Partien.

Deutlich drastischer reagierte die TFF vor einigen Wochen auf einen Facebook-Post des Amed SK-Profis Deniz Naki. Nach dem überraschenden Pokalerfolg des Drittligisten aus der kurdischen Großstadt Diyarbakır gegen den Erstligisten Bursaspor widmete Naki den Sieg den Menschen, die in den 50 Tagen der Unterdrückung getötet oder verletzt wurden und spielte damit auf die vorangegangenen Offensive des türkischen Militärs in der Region an. Seinen Eintrag beendete er in kurdischer Sprache mit dem Ausruf: „Es lebe die Freiheit!“ Die Reaktion des Verbands ließ nicht lange auf sich warten. Naki wurde wegen „separatistischer und ideologischer Propaganda“ für zwölf Spiele gesperrt, Amed SK musste zudem das Viertelfinal-Hinspiel ohne Zuschauer bestreiten. Schon 2013 wurde der Verein wegen Freiheitsparolen der eigenen Fans zu drastischen Geldstrafen verurteilt.

Der Türkische Fußballverband präsentiert sich somit zum wiederholten Male nicht als neutraler Sportveranstalter sondern als regierungsgesteuerte Organisation. Die Führung in Ankara scheint das Potential erkannt zu haben, das der Fußball zum Widerstand gegen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in der türkischen Gesellschaft besitzt und geht entsprechend rigoros gegen ihr feindlich gesinnte Fangruppierungen vor. Eine Strategie, deren Erfolg sich bislang nicht absprechen lässt.

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