Am Freitag wird zum neunten Mal der Julius-Hirsch-Preis verliehen. Der DFB möchte Vereine, Fans und Initiativen auszeichnen, die sich gegen Diskriminierungen einsetzen. Den Ehrenpreis erhält in diesem Jahr der Journalist Ronny Blaschke. Der 32-Jährige kommentiert Versäumnisse auch von Sportjournalisten im Kampf gegen Rassismus.
Von Ronny Blaschke
Wir Journalisten haben Privilegien. Wir können Vereine und Verbände kritisieren, wenn sie Rassismus oder Homophobie im Sport verharmlosen. Wenn sie ratlos wirken, ignorant. Wir können Sondersendungen produzieren, Schlagzeilen zuspitzen - und damit einen Handlungsdruck erzeugen. Auf Politik, Polizei, Staatsanwälte. Wir können die Macht der Bilder nutzen, um Empörung zu schüren. Zuletzt im vergangenen Herbst: Aus einer Debatte um Pyrotechnik in den Stadien wurde eine Hysterie. Ist der Fußball noch sicher? Viele Journalisten haben diese Frage tatsächlich ernst gemeint.
Der Fußball kann gefährlich werden, aber aus anderen Gründen. Im Umfeld von mindestens fünfzehn Profiklubs gibt es Überschneidungen zwischen der Fanszene und der rechtsextremen Szene. In Aachen, Braunschweig oder Dortmund nutzen Neonazis den Fußball zur Vernetzung. In den Stadien, vor allem aber in Kneipen, Sonderzügen, Internetforen. Rechtsextreme gehen subtil vor, martialische Fernsehbilder von pyrotechnischen Gegenständen gibt es nicht zu sehen. Die Probleme sind nicht verschwunden, sie haben sich verlagert.
Wer in den Archiven der Lokalmedien sucht, findet selten Hinweise auf rechte Einflüsse. Immer weniger Reporter müssen immer mehr leisten. Doch Sparmaßnahmen in Verlagen und Sendern sind nicht ausschlaggebend. Regionale Medien profitieren von der Strahlkraft der Vereine, nicht selten gehen sie offizielle Partnerschaften mit ihnen ein. Diese Allianzen können sich positiv auf Erlöse, Auflagen, Klickzahlen auswirken - und damit auf die Sicherung der redaktionellen Arbeitsplätze.
Es gibt Journalisten-Kollegen, die über Autonome Nationalisten im Vereinsumfeld berichten wollten. Entweder hielt ihr Chefredakteur sie zurück, aus Angst vor einem Imageschaden für die Region. Oder der Pressesprecher des Klubs drohte mit dem Entzug von Spielerinterviews, aus Angst vor einem Imageschaden für Sponsoren. Diese Fälle sind nicht die Regel, doch es gibt sie: Konnten sich auch so unbemerkt rechte Strukturen verfestigen, weil die Stadtgesellschaft nicht ausreichend informiert war?
Wir Journalisten werfen den Vereinen erst Untätigkeit vor, wenn der Skandal offensichtlich ist: wenn schwarze Spieler angegriffen werden, wenn die NPD mit einem Werbestand vor dem Stadion steht. Zu selten beschreiben wir das Fundament des Fußballs, auf dem Neonazismus erst entstehen kann: den Männlichkeitskult und das Überlegenheitsdenken vieler Fans, das Gerede von Loyalität, Ehre, Patriotismus. Es gibt Medien, die das Freund-Feind-Denken indirekt adeln, durch dramatisierende Sprache, Visualisierung, Schulnoten für Spieler. Es gibt Medien, die Pyrotechnik und Gewalt verurteilen, und trotzdem Bilderstrecken von Pyrotechnik und Gewalt veröffentlichen. Allerdings ohne kritische Ursachenforschung. Es ist auch dieser Populismus, der Hooligans aus dem Ruhestand zurück ins Stadion locken kann. Hooligans, für die das Gesetz des Stärkeren zählt, ein zentrales Element von antidemokratischem Denken.
Gegenüber den Leitfiguren aus Politik und Wirtschaft besteht ein kritischer Grundkonsens, der schnell in Verachtung umschlagen kann. Eine Glorifizierung von millionenschweren Leistungsträgern durch alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg gibt es nur im Fußball. Über Jahrzehnte haben Fernsehsender Milliarden in Übertragungsrechte investiert. Das Resultat ist eine Unterhaltungsindustrie, von der alle profitieren wollen. Nur eine kritische Minderheit fordert bei den Vereinen sozialpolitisches Handeln außerhalb der Stadien ein. Dabei gehören die Klubs in ihren Regionen zu den reichsten und einflussreichsten Werbeträgern. Eine journalistische Kontrollinstanz, die in Politik und Wirtschaft demokratisches Kernelement ist, bildet sich im Sport erst langsam heraus.
Auch deshalb erreichen die klugen Initiativen gegen Rechtsextremismus, die meist an der Basis des Fußballs entstehen, selten eine breite Öffentlichkeit. Ultras, die Veranstaltungen gegen Diskriminierung organisieren, also für gesellschaftliche Mindeststandards, werden von Funktionären oft als linke Provokateure dämonisiert. In vielen Städten sind antirassistische Fans Anfeindungen ausgesetzt. In Aachen hat sich eine Ultra-Gruppe sogar aus dem Stadion zurückgezogen, immer wieder waren sie von Neonazis angegriffen worden. Dass junge Menschen einen öffentlichen Raum meiden müssen, weil Fußball für sie zu gefährlich wurde, ist tatsächlich ein sporthistorischer Skandal. Das mediale Echo blieb trotzdem verhalten. Vielleicht hatte die Hysterie um Pyrotechnik in den Stadien einfach zu viel Kraft gekostet.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dradion.de und wurde uns freundlicherweise vom Autor zur Verfügung gestellt.