Anhänger von Gremio Porto Alegre sorgten für den neuesten Rassismus-Skandal im brasilianischen Fußball.
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Das Vermächtnis Arthur Friedenreichs – Rassismus im brasilianischen Fußball

Nach der Weltmeisterschaft im eigenen Land ist nun wieder der Alltag in die brasilianischen Stadien eingekehrt. Zwei Monate nach dem kollektiven Schock, der nach dem deutlichen Halbfinalaus gegen Deutschland durch das fußballverrückte Land ging, ist die Aufmerksamkeit wieder auf die heimischen Clubs gerichtet. Ein Vorfall im brasilianischen Pokal erhitzt aktuell vor allem die Gemüter und konfrontiert die Fußballnation wieder einmal mit einem altbekannten Problem – dem Rassismus.

Von Marc Latsch

Das Pokalspiel gegen Gremio Porto Alegre war 83 Minuten alt, als sich der Torhüter des FC Santos Mario Duarte („Aranha“) beim Schiedsrichter über rassistische Beschimpfungen von den Rängen beschwerte. Der Schiedsrichter unterbrach kurz die Partie, vermerkte im Spielbericht jedoch lediglich, dass Santos das Spiel verzögert und „Aranha“ die gegnerischen Fans mit obszönen Gesten beleidigt habe. Die Kameras im Stadion filmten hingegen eine junge Anhängerin von Gremio, die lautstark „macaco“ (dt. Affe) in Richtung des Torwarts brüllte. Eine in Brasilien strafbare rassistische Beleidigung. Zudem imitierten andere Gästefans Affenlaute, riefen „stinkender Schwarzer“ und griffen sich unter die Arme. Die Reaktion des brasilianischen Fußballverbands fiel deutlich aus: Gremio Porto Alegre wurden vom Pokalwettbewerb ausgeschlossen und muss zudem umgerechnet 17.000 Euro Strafe zahlen. Der Schiedsrichter wurde für 90 Tage suspendiert, weil er die Vorfälle nicht in den Spielbericht aufnahm.

Eine Tradition des Rassismus

Solch harte Strafen sind die Mittel, die Verband und Staat benutzen, um gegen die lange rassistische Tradition in der brasilianischen Gesellschaft vorzugehen. Rassistische Beleidigungen werden in Brasilien als Verbrechen geahndet und mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft. Dennoch kam es auch in jüngster Vergangenheit immer wieder zu rassistischen Vorfällen im brasilianischen Fußball. Ein schwarzer Schiedsrichter musste sich während des Spiels „Zurück in den Wald“-Rufe gefallen lassen und fand hinterher Bananen auf seinem demolierten Auto. Marcos Arouca wurde bei einem Pokalspiel von Fans des Drittligisten Mogi Mirim bedrängt und als Affe bezeichnet. Scheinbar hat also auch das 2010 gegen Palmeiras-Verteidiger Danilo Larangeira gefällte harte Urteil seine abschreckende Wirkung verfehlt. Larangeira bespuckte damals seinen Gegenspieler und betitelte ihn als „Scheißaffe“, woraufhin er für 11 Spiele gesperrt und zu einem Jahr Gefängnis (ersatzweise: 110.000 Euro Geldstrafe) verurteilt wurde. Doch der Rassismus hält sich weiterhin im brasilianischen Fußball, eine Ursache hierfür dürfte auch in dessen Historie liegen.

Filigrane Tricks aus Selbstschutz

Denn Fußball war in Brasilien ursprünglich ein Sport der Eliten. Fußballer mit afrikanischen Wurzeln durften bis auf wenige Ausnahmen nicht am Spielbetrieb teilnehmen. Carlos Alberto von Fluminense kam 1914 auf die Idee, sich Reismehl ins Gesicht zu schmieren, damit er mitspielen durfte. Diese Strategie übernahm auch der überragende Spieler seiner Zeit, Arthur Friedenreich. Als Sohn eines deutschen Einwanderers und einer schwarzen Wäscherin durfte er als talentierter „Mulatte“ sogar in der Nationalmannschaft auflaufen. Akribisch glättete er sich vor den Partien die Haare und weißte sich die Haut, damit er europäischer aussah. Er ist bis heute mit geschätzten 1.329 Toren brasilianischer Rekordtorschütze, durfte jedoch trotz seines Status zahlreiche Orte des öffentlichen Lebens nicht betreten. Ab 1918 durften dann Schwarze offiziell am Spielbetrieb teilnehmen - mit einer entscheidenden Besonderheit. Fouls an ihnen wurden von den Schiedsrichtern nicht gepfiffen, was die gegnerischen Mannschaften natürlich ausnutzten. Zur einzigen Hilfe wurden somit filigrane Tricks und überraschende Finten, damit die Gegenspieler sie nicht erwischten. Sportwissenschaftler sehen hierin den Ursprung des noch heute vorwiegend trickreichen und auf Ästhetik angelegten brasilianischen Fußballspiels.

Pelés Leistungen öffnen Türen

Die speziellen Regeln für schwarze Mitspieler zeigen auf, dass zu diesem Zeitpunkt von einer Gleichbehandlung noch keinesfalls die Rede sein konnte. 1921 gab Staatspräsident Epitácio Pessoa die Anweisung, dass die die“ Seleção“  bei der Südamerika-Meisterschaft nur mit weißen Spielern antreten dürfe. Vasco da Gama setzte bereits zwei Jahre später ein Zeichen, als man mit einer ethnisch und sozial durchmischten Truppe begann große Erfolge einzufahren. Doch andere Clubs wie Gremio Porto Alegro entschlossen sich erst in den 1950er-Jahren dazu auch Schwarze in ihren Reihen mitspielen zu lassen. Prägend für die Gleichberechtigung der schwarzen Mitspieler war dann das Jahr 1958. Brasilien wurde erstmals Fußball-Weltmeister und der erst 17-Jährige Pelé hatte einen entscheidenden Anteil daran. Die reglementarischen Schranken sind in Brasilien nur seit Jahrzehnten behoben, doch die rassistische Tradition lebt in Teilen der Gesellschaft weiter. Die jüngsten Fälle zeigen, dass sich seit den Zeiten Arthur Friedenreichs in dem Land zwar vieles verändert hat, rassistische Schmähungen jedoch bis zum heutigen Tage zum Alltag dazugehören.

 

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