Werder Bremen zu Gast in Augsburg, inzwischen wurden die Augsburger*innen auch schon drei mal in Bremen empfangen.
Augsburg Calling

"Augsburg Calling" – Zu Gast bei Freunden

Bei jedem Heimspiel lädt eine Augsburger Faninitiative die Anhängerschaft der gegnerischen Fußballclubs ein und sorgt so für entspannte Auswärtsfahrten. Dabei schafft "Augsburg Calling" eine neue Form der Fankultur und ist eines der besten Beispiele, wie man Nazis, Hass und rechtes Gedankengut aus der Kurve ausschließen kann.

Von Lina Morgenstern

Paderborn, Schalke, Werder Bremen, Mönchengladbach, Dortmund oder Union Berlin – alle waren sie schon zu Gast in der südbayrischen Stadt Augsburg, spielten gegen den dort ansässigen FC Augsburg und konnten dank einer Faninitiative eine Auswärtsfahrt der besonderen Art erleben. Abseits von jedem Lagerdenken der so oft verfeindeten Fangruppen lädt die Initiative "Augsburg Calling" um Gerhard Seckler seit 2006 immer wieder Fußballfans ein und heißt sie Willkommen.

Es geht doch um Liebe und nicht um Feindschaft

"Wir wollen zeigen, dass es neben dem Wettkampf auf dem Platz etwas gibt, das uns alle verbindet: die Liebe zum Fußball", erklärt Seckler. Seit 2006 heißt es in der südbayrischen Stadt "Augsburg ruft". Entstanden ist die Initiative als Reaktion auf den Hass einzelner Fangruppen beim Auswärtsspiel gegen die SpVgg Unterhaching. "Nach dem Spiel standen wir am Bahnhof, mehrere Hundert FCA Fans. Auf dem Bahnsteig gegenüber ein Großvater mit seinen Enkelinnen, offensichtlich Unterhaching Fans. Gemeinsam brüllten die FCA Fans Beleidigungen gegen Unterhaching über den Bahnsteig. Gegen einen Opa und zwei 14jährige Mädchen", erinnert sich Seckler entrüstet. Ihm und seinen Freunden wäre nach diesem Vorfall die Lust am Fußball fast vergangen. "So einen Schmarrn wollen wir nicht haben", erzählt er weiter. Die Szene am Bahnhof habe ihn an die Nazizeit erinnert und so schockiert, dass er gemeinsam mit Freunden einen Plan geschmiedet habe.

"Augsburg Calling" ist dann als Musikprojekt gestartet. Die Fangruppe um Seckler lud bekannte Bands anderer Fanszenen ein, um bei Heimspielen in Augsburg gemeinsame Fanpartys zu veranstalten. In der letzten Zeit hat sich die Aktivität auf ein kulturelles Rahmenprogramm mit Stadtführungen und Willkommensveranstaltungen am Bahnhof verlagert, gemeinsam werden die Flaggen der Vereine gehisst. Immer öfter werden die FCA-Fans jetzt von den neuen Partnern eingeladen, so dass auch die Auswärtsspiele von Freundschaft und Willkommen geprägt sind. Werder Bremen empfing die Augsburger inzwischen drei Mal. Auch die Fans vom FC Paderborn sind von der Stimmung in Augsburg so beeindruckt, dass sie das Programm inzwischen übernehmen möchten.

Augsburg schafft eine neue Form von Fankultur

"Augsburg Calling verbindet Fankultur mit dem Präventions- und Inklusionsgedanken. Fans feiern über Club-Grenzen hinweg und lassen Vorurteile gar nicht erst entstehen", lobte der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga. Das Projekt wird seit einem Jahr von der DFL auf dem PFiFF Budget gefördert, einem Topf für innovative Fankultur und zur Rechtsextremismusprävention. Träger der Initiative ist die Regio Augsburg Tourismus GmbH, Partner sind die Stadt und der Verein FC Augsburg. Weil die Initiative natürlich auch der Stadtgesellschaft gut tut und die Gewaltprobleme rund um die regelmäßigen Fußballspiele eindämmt, ist sie ein Gewinn für alle Seiten.

"Augsburg Calling" wird häufig als präventives Angebot gehandelt – sie verhindere Gewalt und Rechtsextremismus. "Das Gefühl, in der Stadt willkommen zu sein, macht eine Auswärtsfahrt wesentlich entspannter", erklärt Seckler. Fanbeauftragte und Sicherheitskräfte betonen seit Jahren die angespannte Situation bei den Auswärtsfahrten, die Bewegung auf dem ungewohnten Terrain, die hohe Polizeipräsenz, der gegenseitige Hass der Fangruppen. In dieser Gemengelage kann es schneller zu Gewalttätigkeiten kommen, die von Grund auf angespannte Situation begünstigt diskriminierende Äußerungen und Beleidigungen, schürt den Hass der gegnerischen Fans aufeinander und bietet Anschlussmöglichkeiten für Rechtsextreme.

Dem setzt das Projekt "Augsburg Calling" eine neue Kultur entgegen. Es schafft Räume, in denen die Fans gemeinsam feiern können, sich als Menschen abseits der Vereinsfarben anerkennen, weil beide Vereine gleichberechtig gefeiert werden können. Der Wettkampf ist auf dem Platz und wenn es nach Seckler geht, dienen Fangesänge nur zur Unterstützung der eigenen Mannschaft, ohne die gegnerischen Fans zu beleidigen, wie es zu oft der Fall sei. Und besonders durch die etablierte Ultra-Kultur in den Stadien geprägt wurde. Bei den Callings treffen sich dann auch FCA Anhänger*innen vom Kuttenfan über Fußballmuttis bis zum Ultra-Aktivisten.

"Gastfreundschaft für Fußballfans ist wundervoll gelungen"

Nach den Highlights der vergangenen Jahre gefragt, fallen Seckler besonders drei ein. Das durchweg positive Feedback der angereisten Auswärtsfans, die zahlreichen Gegeneinladungen, auch "Recall" genannt, und der Wunsch anderer Fans, die Idee zu übernehmen. "Das zeigt für mich den Erfolg. Wir haben es sogar geschafft, dass die Augsburger Bürgerschaft das Willkommen übernimmt, abseits vom Fußball haben Menschen unsere Botschaft verinnerlicht. Die Gastfreundschaft für Fußballfans ist wundervoll gelungen." Der erste Recall ging vor einigen Jahren von Union Berlin aus. Die eiserne Fanszene gestaltete für die angereisten Augsburger in Berlin ein ähnlich herzliches Willkommen. Für Seckler bestätigen die Recalls den Erfolg und er freut sich über jede Kopie der Idee an anderen Bundesligastandorten.

Kürzlich hat sich der FCA für die Europa-League qualifiziert. Secklers Initiative will nun auch die europäischen Gäste einladen. Es wird eine spannende Saison für die Aktivist*innen in der südbayrischen Stadt, die schon jetzt eine neue Form der Fankultur geschaffen haben. Offensichtliche Probleme mit Neonazis sind aus der Augsburger Fanszene übrigens nicht bekannt.

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