Cem Efe bei der Pressekonferenz nach dem Spiel des SV Babelsberg 03 gegen den FSV Zwickau.
Screenshot Youtube

„Dann ist das doch kein normaler Fall mehr, Mann!“

Bei der Pressekonferenz nach dem Regionalligaspiel gegen den FSV Zwickau am vergangenen Sonntag prangerte Babelsbergs Trainer Cem Efe rassistische Äußerungen von Zwickauer Seite an. Die Wutrede fand große mediale Aufmerksamkeit, rief aber auch fragwürdige Reaktionen hervor.

Von Jan Tölva

Cem Efe, der Trainer des Regionalligisten SV Babelsberg 03, steht nicht gerade in dem Ruf, ein Choleriker zu sein. Seine Analysen nach Spielen sind meist nüchtern und sachlich und nicht selten äußert er sich sogar positiv über seine Gegner_innen. Sicher, am Spielfeldrand brüllt auch er schon mal herum, aber im persönlichen Umgang wirkt er doch stets respektvoll und kontrolliert.

Am vergangenen Sonntag jedoch, bei der Pressekonferenz nach dem Spitzenspiel gegen den FSV Zwickau, ist ihm so richtig der Kragen geplatzt. Zwar hatte er sich auch hier wieder zunächst wie üblich auf eine fachliche Analyse des Spielgeschehens beschränkt und von defensiven Zweikämpfen und ausgelassenen Chancen gesprochen. Als es jedoch Nachfragen aus dem Zuschauer_innenbereich gab, redete Efe sich regelrecht in Rage.

Zunächst war es nur um die erhebliche Härte gegangen, die bei dem umkämpften 0:0 im Spiel gewesen war. Plötzlich jedoch schwenkte Efe um und erzählte von rassistischen Beleidigungen. „Auf dem Platz kann es Emotionen geben“, entgegnete Efe Gästetrainer Torsten Ziegner. „Aber wenn ein Spieler Ihrer Mannschaft in die Katakomben geht mit den Worten 'Alles Ausländer hier'...“ Efe brach den Satz ab. Sein Zwickauer Kollege schaute zu Boden. Aus dem Saal kamen Zwischenrufe. Ein Anwesender wollte sogar das Wort „Kanaken“ gehört haben.

„Ich könnte auch erzählen, was meine Spieler zu hören kriegen“, versuchte Ziegner zu relativieren, was sich aber gelinde gesagt als Fehlgriff entpuppte. „Ich war doch dabei“, rief Efe. „Wenn du sagst 'Scheiß Türke', dann ist das doch kein normaler Fall mehr, Mann!" Es ging hier nicht um irgendwelchen Trash Talk, es ging um Rassismus. „Du kannst alles sagen“, so Efe, „aber doch nicht diskriminieren.“

Ein weiter Weg

Efe weiß wovon er spricht, wenn er von Rassismus redet. Elf Jahre war er selbst Fußballer, immer irgendwo im Graubereich zwischen Profitum und Amateurfußball. In Meppen und Osnabrück hat er gespielt, aber auch in Neugersdorf und für Greif Torgelow. Er kennt die Provinz – die ostdeutsche wie die westdeutsche – und er kennt die Sprüche, die jemand wie er dort zu hören kriegt, jemand, der zwar in Berlin geboren wurde, aber für viele immer nur Türke sein wird.

Auch in der Türkei hat er gespielt, für Ankaragücü, und für den SV Babelsberg natürlich. 2001 ist er mit dem Potsdamer Kiezclub in die 2. Bundesliga aufgestiegen und nach einer Saison dann auch gleich wieder ab. Danach begann seine Odyssee. Neben Ankaragücü, Neugersdorf und Torgelow spielte er auch für drei Berliner Vereine mit Wurzeln in der türkischen Community, für Yeşilyurt, dern Berliner AK und Türkiyemspor. Aber nirgendwo hielt es ihn länger als ein Jahr.

2008 dann war Schluss. Efe wurde Assistenztrainer bei Hertha 03 Zehlendorf, einem Berliner Stadtteilverein mit traditionell hervorragender Jugendarbeit. Im Jahr darauf wurde er Chefcoach; 2012 wiederholte sich das Ganze in Babelsberg. Erst wurde er Co-Trainer, dann, nach dem Abstieg in die Regionalliga ein Jahr später, Chef. Es dauerte einige Zeit, bis die Scherben zusammengekehrt waren, doch langsam, aber sicher ging es unter Efe sportlich wieder bergauf in Babelsberg. Mit jeder Saison kam die Mannschaft seinem Verständnis von fester Ordnung und taktischer Disziplin ein Stück näher.

Spielte der Verein in der vergangenen Spielzeit noch gegen den Abstieg, kann er jetzt sogar mit den Spitzenteams mithalten. Das liegt allem voran an der hervorragenden Defensive. Nur sieben Gegentore in 13 Spielen hat Babelsberg bislang zugelassen. Nur Spitzenreiter Jena kommt auf einen besseren Wert. In der Offensive dürfte es hingegen gerne noch etwas besser laufen. Nur 13 Tore gab es bis jetzt, eins pro Spiel. Wer auf Dauer oben mithalten will, muss mehr bieten.

Hintergründe

Es ist jedoch nicht nur der sportliche Erfolg, der die Zuschauer_innen in das heimische Karl-Liebknecht-Stadion lockt. Es ist auch der Ruf des Vereins, nicht ganz so zu sein wie die anderen. Die Fanszene tickt schon lange links und auch der Verein selbst engagiert sich immer wieder in vorbildlicher Weise. 2012 zum Beispiel druckte er eigene Plakate, um zu Aktionen gegen einen Naziaufmarsch in Potsdam aufzurufen, und seit Anfang dieser Saison nimmt das Geflüchteten-Team Welcome United 03 ganz offiziell als 3. Herren am offiziellen Spielbetrieb teil.

Mehr als 2.000 Menschen kamen in dieser Saison im Schnitt zu den Heimspielen der Babelsberger_innen. Das sind mehr als in Zwickau oder auch nebenan beim BFC Dynamo. Nur Spitzenreiter Carl Zeiss Jena schafft es, noch mehr Zuschauer_inneninteresse zu wecken. Bei einem ehemaligen Europapokalfinalisten ist das ja aber auch mehr als angebracht.

Was die Zuschauer_innen im „Karli“ erwartet ist eine weitgehend offene und herzliche Atmosphäre. Anders als bei anderen Vereinen in der Liga wird hier auch die Hymne der Gäste gespielt und diskriminierende Äußerungen sind von den Heimfans so gut wie nie zu hören. Umgekehrt scheint es aber genau das, also genau die Offenheit und das klare Bekenntnis gegen Diskriminierung, zu sein, was immer wieder Fans dazu animiert, bei Spielen ihrer Mannschaft gegen Babelsberg erst recht über die Stränge zu schlagen.

Zuletzt hatten in der vergangenen Saison Anhänger_innen von Energie Cottbus für Schlagzeilen gesorgt, weil sie bei einem Pokalspiel im Karl-Liebknecht-Stadion ein Banner mit der Aufschrift „ZCKN, ZGNR & JDN“ (kurz für „Zecken, Zigeuner und Juden“) an den Zaun gehängt hatten. Auch ein Teil der Fans des FSV Zwickau beim Spiel am Sonntag präsentierte sich nicht gerade von seiner besten Seite. So wurde unter anderem eine aufblasbare Plastikbanane mit dem Wort „Schwuchteln“ darauf geschwenkt. Auch einen „Hitlergruß“ soll es gegeben haben.

Nachspielzeit

Der Verein selbst versuchte am Tag nach dem Spiel die Wogen zu glätten, stellte sich dabei aber nicht gerade schlau an. „Der FSV Zwickau hat selbst einen türkischstämmigen Spieler! Wir sind stolz und froh das (sic!) wir Ihn haben! Ebenso verbringt der FSV (wie auch im Vorjahr) das Wintertrainingslager in der Türkei“, ließen die Zwickauer_innen auf Facebook wissen. Dass ein „türkischstämmiger“ Mitspieler allein andere Spieler nicht daran hindert, sich selbst rassistisch zu äußern, und dass auch ein Ausflug in die Türkei nicht automatisch jedes rassistische Vorurteil aus dem Gehirn löscht, scheinen sie beim FSV dabei leider nicht bedacht zu haben.

Stattdessen fühlten sich einige Anhänger_innen des Vereins selbst ganz hart diskriminiert, weil es in der Stadionhymne des SV Babelsberg, dem Lied „...ich fühl mich wohl in 1448zwo“ von Hubert Woite alias Schabulke, heißt, es sei in Babelsberg „uff alle Fälle besser als in Sachsen“. Allein schon die Tatsache, dass es in Zwickau offenbar Menschen gibt, die keinen Unterschied erkennen können zwischen dieser Textzeile und der Bezeichnung als „Scheiß Türke“ dürfte Beleg genug dafür sein, dass beim FSV massiver Nachholbedarf in Sachen Antidiskriminierung gesteht – und zwar offenbar nicht nur in der Fanszene.

Einen Tag später legte der Verein nach, In einer Erklärung des Vorstands wurde der Vorwurf, jemand von der Zwickauer Bank, vielleicht sogar Ziegner selbst, habe „Scheiß Türke“ gerufen, wie Efe behauptete, als „haltlos“ zurückgewiesen. Stürmer Marc-Philipp Zimmermann habe hingegen eingestanden, auf dem Weg in die Kabine „nur Ausländer hier“ gesagt. Allerdings sei er vorher von der Haupttribüne aus mit Bechern beworfen und beleidigt worden sein. Zimmermann bedauere seine Aussage und es werde „disziplinarische Konsequenzen“ geben. „Eine tiefergehende, hinter dieser Aussage stehende rassistische oder menschenverachtende Grundhaltung konnten wir bei Herrn Zimmermann nicht feststellen“, hieß es weiter. Wirkliches Problembewusstsein sieht anders aus.

Cem Efe selbst hingegen bekam von vielen Seiten Beifall für seinen Wutausbruch und wurde gleich von mehreren großen Medien zu Interviews geladen. So erzählte er etwa gegenüber der Welt, dass er mit Ziegner nach der Pressekonferenz nicht noch einmal gesprochen habe. „Er hatte ja nicht mal die Courage, sich für das Verhalten seiner Jungs zu entschuldigen“, so Efe. Zeit Online gegenüber berichtete Efe dagegen, so etwas wie gegen Zwickau passiere öfter. „In einem anderen Spiel wurden meine Spieler und ich einmal 90 Minuten lang ohne Unterbrechung rassistisch beleidigt“, so der Trainer. „Wenn das immer und immer wieder passiert, platzt einem der Kragen. Ich kann doch nicht jemanden verurteilen, nur weil er anders denkt, anders aussieht oder aus einer anderen Kultur kommt. Was soll das?“ Eine berechtigte Frage. Dank Cem Efe wird jetzt vielleicht endlich über mögliche Antworten geredet.

 

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