"Wer keinerlei örtliche Anbindung hat, ist Flugsand im Wind", sagt der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein im NgN-Interview. Mit Toralf Staud spricht er über Nationalstolz, Rechtsextremismus und Asylrecht.
NgN: Herr Ministerpräsident, in einem Interview haben Sie mal gesagt: "Ein demokratischer Rechter muss leuchtende Augen bekommen, wenn er Beckstein wählen darf." Was verstehen Sie unter einem "demokratischen Rechten"?
Günther Beckstein: Das ist ein Patriot, der stolz auf sein Vaterland und seine Heimat ist – der aber denselben Stolz selbstverständlich allen anderen Nationalitäten zugesteht. Eine besondere Verpflichtung und Emotion für sein Vaterland zu verspüren, ist für viele Bereiche gut: Ich appelliere beispielsweise oft an Manager, dass sie aus Verantwortung für die hier lebenden Menschen Arbeitsplätze in Deutschland oder in Bayern belassen, dass sie mehr Ausbildungsstellen bereitstellen oder Kulturveranstaltungen sponsern.
Ich bin großer Verfechter eines aufgeklärten Patriotismus – aber der hat nichts zu tun mit einem übersteigerten Nationalismus, der anderen Menschen die Gleichwertigkeit abspricht. Ein demokratischer Rechter zeigt Hochachtung auch vor anderen Ländern, egal ob Frankreich, Türkei oder China. Er respektiert die Würde anderer Menschen und Religionen.
Sie sagen oft, Sie seien stolz, Deutscher zu sein. Kann man überhaupt auf etwas stolz sein, wofür man gar nichts getan hat?
(lacht) Zu dem Thema kann man sicher sehr kluge Fragen stellen. Natürlich ist es nicht mein eigenes Verdienst, dass ich als Deutscher geboren wurde. Dennoch ist es doch in Ordnung, auf sein Land, seine Menschen und Leistungen stolz zu sein. Ich kenne ja auch niemanden, der nicht sagt, er sei beispielsweise stolzer Nürnberger oder stolzer Münchner.
Also, ich schon.
Ich glaube nicht, dass beispielsweise ein Franzose überhaupt auf die Idee käme, Ihre Frage zu stellen.
Zweifellos gibt es bei vielen Menschen ein großes Bedürfnis, sich in größere Zusammenhänge zu stellen.
Je internationaler und globalisierter die Welt ist, desto stärker wird das Bedürfnis, feste Wurzeln zu haben. Wer keinerlei örtliche Anbindung hat, ist Flugsand im Wind und wird sich nirgends auf der Welt zuhause fühlen und überall todunglücklich sein.
Wem oder was genau ist ein Patriot eigentlich verbunden?
Zunächst erstmal der Geschichte seines Landes mit all seinen Höhen und Tiefen. Ein Patriot ist sich seiner Herkunft bewusst, der Traditionen, der Kultur und der kulturellen Leistungen seines Landes. Aber auch Rechtstaatlichkeit, humanitäre oder soziale genauso wie wirtschaftliche Leistungen gehören ebenso dazu. Ich habe übrigens eine ganz eindrucksvolle Zeugin: Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat mehrfach davon gesprochen, dass aufgeklärter Patriotismus eine wirksame Immunisierung sei gegenüber übersteigertem Nationalismus.
Wofür braucht man Patriotismus überhaupt? Viele Bürger lehnen diesen Bezug auf ein Staat oder ein Volk ab und sagen, einfache Solidarität gegenüber den Mitmenschen reiche vollkommen.
Das ist nun offensichtlich verkehrt. Dann gäbe es nämlich keinen Grund, dass wir für einen in Deutschland lebenden Studenten mehr Geld auszugeben als für einen in Indien. Alle Menschen, die in Deutschland leben, vertrauen darauf, dass sie hier in den Genuss einer höheren Solidarität kommen, dass sie mehr Sozialleistungen bekommen als Menschen in anderen Ländern. Ich kenne niemanden, nicht einmal bei den Linken, der das ernsthaft anders sieht und für alle Menschen auf der Welt dieselben Gesundheitsleistungen bezahlen wie den Deutschen im eigenen Land. Dass es eine besondere Solidarität innerhalb eines Landes gibt, ist für mich offensichtlich.
Diese bezieht aber alle hier lebenden Menschen ein, egal welcher Herkunft, oder? Rechtsextremisten dagegen sagen, wer seine Wurzeln nicht hier hat, hat weniger Rechte.
Ich halte die Unterscheidung für zulässig zwischen Staatsangehörigen und Menschen, die sich länger in Deutschland aufhalten und solchen, die nur kurz hier sind. Für mich ist es selbstverständlich, dass wir für jemanden eine niedrigere Solidarität zeigen, der vielleicht sogar illegal hier ist. Er wird zum Beispiel nicht dieselbe Zahnbehandlung bezahlt bekommen wie jemand, der in Deutschland seit Geburt lebt und Monat für Monat in die Krankenversicherung einbezahlt hat. Er erhält auch weniger Sozialleistungen als ein Ausländer, der lange Jahre bei uns gelebt hat und dann arbeitslos wird. Ich halte es für zulässig und geboten, dass die Staatsangehörigkeit die Verpflichtung beinhaltet, zusätzliche Leistungen zu gewähren.
Die Staatsangehörigkeit kann aber im Prinzip jeder bekommen, egal woher er stammt.
Ja, wenn er bestimmte Voraussetzungen erfüllt.
NgN: Sie fordern zum Beispiel, dass er sich auf der Basis einer "deutschen Leitkultur" integrieren müsse. Was genau meinen Sie mit dem Begriff?
Die christlich-abendländische Leitkultur ist geprägt beispielsweise vom Christentum mit seinen jüdischen Wurzeln, außerdem von der Aufklärung, die erlaubt, dass jeder nach seiner Facon glücklich wird. Die dritte Wurzel ist der Humanismus, in der ich den Grund dafür sehe, dass bei uns der Sozialstaat sehr viel ausgeprägter ist als im anglo-amerikanischen Rechtsbereich zum Beispiel. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn wir uns darauf unter den demokratischen Parteien als die Grundlagen unserer eigenen Identität einigen könnten.
Leider haben viele Neonazis mit Ihrem Appell, auch andere Vaterländer zu achten, heute überhaupt kein Problem mehr. Die NPD hat ihr Programm bekanntlich modernisiert und vertritt nun einen sogenannten Ethnopluralismus: Sie sieht – zumindest in der Theorie – die Deutschen nicht mehr als Herrenrasse an, sondern sagt nur noch, alle Völker seien unterschiedlich, und man müsse sie getrennt voneinander halten, damit sie rein und homogen bleiben.
Ich habe nicht den Eindruck, dass die NPD und ihre Anhänger eine besonders tiefschürfende geistige Arbeit leisten würden. Bei denen handelt es sich in der ganz überwiegenden Mehrzahl um sehr oberflächliche braune Ideologen. Aber natürlich gibt es eine Neue Rechte, die sich mit den von Ihnen genannten Fragen beschäftigt. Sich mit der auseinanderzusetzen, und sie zu widerlegen ist geboten.
Für mich ist ganz klar, dass in einer modernen Welt mit immer weniger Grenzen eine Abgrenzung zwischen Ländern, Nationen, Rassen, wie das etwa in 19. Jahrhundert der Fall war, nicht möglich und auch nicht sinnvoll ist. Es ist eine Bereicherung, wenn Unterschiedlichkeiten zusammenkommen. Dabei steht außer Frage, dass man sein eigenes Profil behalten sollte. Wenn in München nur Hochhäuser stünden, wie es sie auch in China oder den USA gibt, dann würden auch kaum noch Touristen zu uns kommen. Sie lieben an Bayern die ganz eigene Verbindung von Natur, Kultur und von Gastfreundlichkeit. Man braucht ein eigenes Profil – verbunden mit Weltoffenheit!
Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus war die SPD in den vergangenen Jahren öffentlich stärker präsent als die Union. Woran liegt das?
Es stimmt nicht, dass die SPD mehr gegen Rechtsextremismus getan hätte als der damalige bayerische Innenminister Beckstein. Ich habe vor Jahren die geistige Auseinandersetzung mit den Republikanern mit großem Engagement geführt – mit großem Erfolg. Die Partei stand mal teilweise bei 15 Prozent, heute ist sie praktisch bedeutungslos; und dazu hat auch beigetragen, dass Edmund Stoiber und auch ich damals beschlossen haben, dass eine Zusammenarbeit mit denen nicht in Frage kommt. Das ist übrigens ein Unterschied zur SPD und ihrer Reaktion auf die PDS – die davon eindeutig profitiert.
Auch in der Auseinandersetzung mit der NPD habe ich Maßstäbe gesetzt. Aber Sie haben recht, die Linken sind oft lauter. Für manche – gerade im autonomen Block – ist das ein Lieblingsthema, mit dem sie öffentliche Auseinandersetzungen provozieren können. Wir sind wehrhaft gegen Rechts- und Linksextremismus, während die SPD auf dem linken Auge auffällig blind ist.
Wäre nicht eine stärkere argumentative Auseinandersetzung mit der NPD wichtig, gerade von Seiten der Konservativen?
Wir in Bayern leben einen aufgeklärten Patriotismus, und das führt dazu, dass die NPD hier keinen Fuß auf den Boden bekommt. Ich bin absolut sicher, dass auch bei den anstehenden Landtagswahlen die rechten Parteien keine zwei Prozent bekommen werden, sondern wirklich zu vernachlässigen sind. In anderen Ländern haben sie größere Erfolge – nicht nur im Osten.
Im Saarland holte die NPD zuletzt vier Prozent …
… oder schauen sie nach Bremen!
Es fällt aber schon auf, dass die Union in den sechziger Jahren – als die NPD schon mal auf einer Erfolgswelle schwamm – Argumentationshilfen an ihre Mitglieder verschickte. Heute gibt es solche Broschüren nur von SPD, Grünen oder Linkspartei. Da haben Sie Nachholbedarf?
Bei der CSU sehe ich keinen, denn argumentativ spielt die NPD in Bayern keinerlei Rolle. Und ich habe nicht den leisesten Anhaltspunkt, dass sich das ändern könnte. Viel wichtiger ist es, sich in den Schulen stärker mit Demokratie und Rechtsextremismus auseinanderzusetzen, was wir in Bayern tun. Wir haben auch bewusst die NS-Gedenkstätten ausgebaut, um jungen Menschen eine eindrucksvolle Begegnung mit den Gräueltaten der Nazis zu ermöglichen – das wirkt stärker als bloßer Unterricht. Nicht zuletzt müsste bundesweit in den Schulen, in den Medien, in der Wirtschaft viel deutlicher gesagt werden, dass die Demokratie Demokraten braucht – doch stattdessen ist in der Gesellschaft eine Geringschätzung von politischem Engagement weit verbreitet.
Ihre Regierung verschärft – mit Blick auf Rechtsextremisten – gerade das Versammlungsrecht, von liberaler und linker Seite wird das als Einschränkung von Grundrechten kritisiert.
Da gibt es oft hysterische Kritik, die mit Unkenntnis zu tun hat und mit Wahlkampfgetöse. Das Versammlungsrecht ist ein elementares demokratisches Grundrecht, und Sie können hundertprozentig sicher sein, dass wir keine ernsthafte Einschränkung planen. Wir müssen aber darauf reagieren, dass Rechtsextremisten mit immer wiederkehrenden Demonstrationen gewisse Orte terrorisieren – zum Beispiel Wunsiedel anlässlich der Hess-Todestage. Sie führen ihre Aufzüge bewusst an jüdischen Altersheimen vorbei. Sie versuchen, mittels Demonstrationen das öffentliche Leben möglichst stark zu beeinträchtigen, um sich spektakuläre Berichte zu verschaffen. Das halte ich für eklatanten Missbrauch des Demonstrationsrechts – und hier soll in ganz vorsichtiger und rechtsstaatlich einwandfreier Weise die Möglichkeit geschaffen werden, mehr Schutz für die überwiegende Mehrzahl der Bürger zu erreichen. Der zweite Punkt ist, dass Einzelne unter dem Deckmantel von Demonstrationen Gewalttaten begehen. Da brauchen wir Voraussetzungen, um Gewalttäter aus einer Demonstration holen zu können – so wird langfristig die Versammlungsfreiheit in ihrem Kernbereich geschützt.
Mit Verweis auf das neue Gesetz können auch Demonstrationen gegen Rechtsextremismus eingeschränkt werden.
Jeder hat sich an das Versammlungsrecht zu halten – Demonstrant und Gegendemonstrant. Und das Versammlungsrecht wird auch künftig jede Möglichkeit bieten, seine demokratischen Rechte auch gegen eine andere Demonstration zur Geltung zu bringen.
Zum Schluss noch ein Beckstein-Zitat: Sie haben in einem Interview mit der linken Tageszeitung taz einmal gesagt, sie könnten es verstehen, wenn Leute bei Umfragen sagen, Ausländer kämen „nur nach Deutschland, um Sozialleistungen zu kassieren“. Was können Sie daran verstehen?
Wir hatten bei der Zuwanderung ja sehr unterschiedliche Zeiten: Zunächst mal die Anwerbephase der Gastarbeiter, als die Bundesrepublik fleißige, junge Menschen holte. Dafür würde niemandem der genannte Satz einfallen. Aber dann gab es auch eine Zeit, wo das Asylrecht systematisch missbraucht wurde zum Zwecke der Zuwanderung.
Das ist lange her, das Asylrecht wurde 1993 eingeschränkt. Ihr verständnisvolles Zitat dagegen stammt von 2006…
Das Gedächtnis der Menschen ist lang. Und wegen der Dauer der Verfahren ist eine nicht unerhebliche Zahl von Asylbewerbern auch im 2006 noch hier gewesen. Was ich in dem Interview meinte: Die genannten Assoziationen sind zunächst erstmal verständlich…
… aber die Pflicht von demokratischen Politikern ist es doch, ungerechtfertigte Assoziationen und womöglich vorhandenen Rechtsextremismus nicht zu bestärken.
Bei den Lesern der taz ist die Gefahr sicherlich nicht so hoch, sie in Rechtsextremismus zu bestärken. Und ein demokratischer Politiker muss zunächst einmal schauen, was an den Problemen berechtigt ist, die die Menschen bedrücken. Sich dann darum zu kümmern, ist auch eine Voraussetzung, damit Rechtsextremismus langfristig keine Rolle mehr spielt. Wir in Bayern machen das. Darauf können Sie sich verlassen.
Das Interview führte Toralf Staud