Völkischer Antikapitalismus: "Umerziehungsstätten" statt Hartz IV

Zum 1. Mai demonstrieren Rechtsextreme gern unter dem Label des "Antikapitalismus". Berliner Neonazis haben zur Werbung für die Demo jetzt eine Broschüre herausgebracht, um zu erläutern, was sie sich wirklich als Problemlösung vorstellen, wenn sie "Weg mit Hartz IV" rufen.

Von Jan Riebe

Die Beschäftigung mit der „sozialen Frage“ nimmt eine entscheidende Funktion in der rechtsextremen Ideologie ein. Bedeutend ist hierbei auch der 1. Mai als ein wichtiger „Kampftag“ für Neonazis. Berlin soll dieses Jahr der Hauptaufmarschort der rechten Szene zum „Tag der deutschen Arbeit“ werden. In einer im Vorfeld veröffentlichen Broschüre machen die VeranstalterInnen keinen Hehl daraus, wie ihre Lösungsvorschläge zur Wirtschaftskrise aussehen: Die Wiedereinführung von Konzentrationslager für schwer erziehbare Jugendliche und „Arbeitsscheue“ aller Altersklassen ist dabei nur ein befürwortetes Mittel.

Werbung für den 1. Mai: "Antikapitalismus von rechts"

Für den 1.Mai 2010 mobilisieren Neonazis zu einem Aufmarsch nach Berlin. Ihre im Internet veröffentlichte Broschüre mit dem Titel „Antikapitalismus von rechts“ beinhaltet Grundlagentexte, die nach eigenen Angaben dazu dienen sollen, für ihren Aufmarsch zu werben. Diese Broschüre bietet daher einen guten Einblick in die rechtsextreme Gedankenwelt eines „völkischen Antikapitalismus“.

Ideen für die Zeit nach der "Machtübernahme"

Einige Passagen der Broschüre bieten ungewollte Komik. So bezeichnen sich die AutorInnen als „Berliner Widerstandskämpfer“ und stellen allen Ernstes ein Maßnahmenkatalog für die Zeit nach der Machtübernahme vor. Das zeigt, wie weit jenseits der Realität sich viele ProtagonistInnen der rechten Szene bewegen. Es ist wichtig und richtig, den Rechtsextremismus nicht zu unterschätzen, jedoch besteht seine Gefahr nicht in einer baldigen Machtübernahme in Deutschland, sondern, wie es Toralf Staud so treffend formuliert hat, in der „Faschisierung der Provinz“.

Wie diffus der rechtsextreme „Antikapitalismus“ ist, zeigt sich nicht nur an Positionen wie „Subventionismus ist Geldverschwendung“, die genauso von der FDP vertreten werden, ohne dass auch nur irgendwer auf die Idee kommen würde, dass diese Position Teil eines antikapitalistischen Programms sein könnten. Auch Forderungen wie Arbeitszwang, Elitenförderung, Senkung der Löhne („denn ein Mensch lebt nicht für seine materiellen Genüsse“) zeugen von einer sehr eigenen Spielart eines „Antikapitalismus“. Generell orientieren sich die Vorstellungen der Berliner Neonazis – wen wundert`s - sehr eng an denen des Nationalsozialismus.

"Gemeinnutz vor Eigennutz"

Unter dem schon von Hitler ausgegebenen Leitsatz „Gemeinnutz vor Eigennutz“ muss sich jeder und jede unterordnen, eigene Bedürfnisse, Selbstverwirklichungen darf es nicht geben, wenn sie mit dem Geist des Nationalsozialismus nicht vereinbar sind – eine gleichgeschaltete Gesellschaft (Volksgemeinschaft) ist das Ziel. Wer nach Auffassung der Neonazis nicht Deutscher ist, muss Deutschland natürlich sofort verlassen.

Autor fordert „stationäre Umerziehungs- und Wiedereingliederungsstätte“

In der Broschüre wird gegen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände als „Schädlinge“, die das „Volk“ seit Ewigkeiten „vergiften“ in Stürmer-Manier gehetzt. Im Sinne der Volksgemeinschaft sollen demnach Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zerschlagen werden und die nationalsozialistische „Deutsche Arbeitsfront“ wieder installiert werden. Streiks sollen durch „Erziehungsmaßnahmen“ verhindert werden. Wer als Arbeitsverweigerer gilt, dem drohen die Berliner Neonazis gleich die Einweisung in eine einem Konzentrationslager nicht unähnlich scheinende Einrichtung an, euphemistisch wird die im Text „stationäre Umerziehungs- und Wiedereingliederungsstätte“ genannt.

... auch für Kinder und Jugendliche

Mit der Lagereinweisung drohen sie aber nicht nur vermeintlichen oder wirklichen ArbeitsverweigerInnen, sondern auch „gewissen“ Jugendlichen. So wird lapidar die Wiedereinführung des Jugendschutzes gefordert, „welches seine Wurzeln vor 1945 hat“. Nur zur Erinnerung: Kinder und Jugendliche, die als widerständig, schwer erziehbar, arbeitsscheu und nonkonform mit der NS-Ideologie ausgemachten wurden, kamen im Dritten Reich in spezielle Jugendkonzentrationslager, die die Nazis euphemistisch als „Jugendschutzlager“ bezeichneten. Die jüngsten Kinder in den Lagern waren erst zwei Jahre alt. Allein im sogenannten „Jugendverwahrlager Litzmannstadt“ wurden bis zu 20.000 Kinder und Jugendliche interniert, viele überlebten die Lager nicht.

Doch scheinbar ist selbst dies den Berliner Neonazis noch viel zu lasch, denn sie betonen „es muss aber vermehrt auf die strikte Einhaltung und Durchsetzung dieser Regeln geachtet werden“. Angesichts solcher Positionen wirkt die Forderung nach einer neuen Hitlerjugend und einem „Bund Deutscher Mädels“ fast harmlos. In der Broschüre wird nämlich gefordert, dass Kinder und Jugendliche sich nach dem Schulunterricht zwangsweise in die Obhut einer „völkischen Jugendorganisation“ begeben müssten.

Am 1. Mai werden wahrscheinlich um die 1.000 Neonazis versuchen, diese und andere Forderungen mit Hilfe ihres Aufmarsches Geltung zu verleihen. Natürlich werden dann auf den Plakaten Parolen stehen wie „Weg mit Hartz IV“. Was sie statt Hartz IV wollen, werden sie geflissentlich verschweigen.

drucken