Nach den gewaltsamen Ausschreitungen von Rechtsextremen gegen Roma im Herbst 2008 schien sich die Lage in Tschechien beruhigt zu haben. Doch jetzt mobilisieren Rechtsextreme, speziell die Arbeiterpartei und die verbotene Organisation "Národní odpor" wieder an Orten mit einem hohen Roma-Anteil in der Bevölkerung. Am Samstag, den 04. April, rufen sie unter Verdrehung aller Tatsachen in Přerov gar zu einer "Demo gegen Rassismus" auf, am 18. April soll in Ústí nad Labem ein "Trauermarsch" stattfinden.
Von Karl Kirschbaum, Prag
Nach den gewaltsamen Ausschreitungen von Rechtsextremen im Herbst 2008, den größten seit den Protesten gegen eine Konferenz des Weltwährungsfonds in Prag vor neun Jahren, schien sich die Lage in Tschechien beruhigt zu haben. Zwar nahm die Anzahl von kleineren Kundgebungen und Konzerten Rechtsradikaler sprunghaft zu, doch Gewalttätigkeiten blieben aus. Nun kündigen tschechische Neonazis an, erneut „ins Gelände gehen“ zu wollen. Diesmal nicht nordböhmischen Litvinov (Oberleutensdorf), doch erneut an Orten mit einem hohen Roma-Anteil in der Bevölkerung.
November 2008: Versucht, ein Roma-Viertel zu stürmen
Im November 2008 hatte etwa sechshundert jungen Neonazis versucht, mit Unterstützung der Stadtbevölkerung das Roma-Viertel einer Kleinstadt am Fuße des böhmischen Teils des Erzgebirges zu stürmen. Das Resultat waren ein Dutzend verletzter Polizeibeamten, Sachschäden in Millionenhöhe vor allem in einem Villenviertel, in das die Krawallmacher von der Polizei abgedrängt wurden, und schwere Verbrennungen eines jungen „Nationalisten“, der die Finger einer Hand durch eine Rauchbombe verlor.
Die Polizei dementierte kurz darauf die Meldung, es handele sich um ein Wurfgeschoss aus Polizeibeständen. Mittlerweile rufen Webseiten aus mehreren Ländern zu einer Spendensammlung für die medizinische Behandlung des jungen Boxers auf.
Die polizeilichen Ermittlungen sind eingestellt
Anfang Januar stellte die Polizei sämtliche Verfahren gegen beschuldigte Teilnehmer der pogromartigen Ausschreitungen in Litvinov ein, ebenso wie gegen mutmaßliche Rechtsvergehen der Polizei – aus Mangel an Beweisen. Trotz des Einsatzes von mehr als tausend Polizisten und Videokameras konnte nicht einmal derjenige identifiziert werden, der ein Polizeiauto in Brand gesetzt hatte.
Zehn Demoteilnehmer, gegen die ermittelt worden war, dürfen nun maximal mit einer Ordnungsstrafe in Höhe von etwa 50 Euro rechnen. Der Polizeieinsatz hatte mehrere Millionen Euro gekostet. Das Litvínover Rathaus kündigte an, Sachschäden an Privateigentum auf eigene Kosten zu entschädigen.
Bürgermeister von seiner eigenen Partei gestürzt
Die prekäre Lage in der Stadt führte Mitte März schließlich zum Sturz des Bürgermeisters durch Stadtverordnete seiner eigenen Partei ODS (Bürgerlich-Demokratische Partei), die seit 2007 auch den tschechischen Premier Mirek Topolánek stellt. Dieser äußerte sich kurz darauf zu der Frage, was ihm in Zeiten der internationalen Wirtschaftskrise die größten Sorgen bereite: Das Erstarken des Extremismus.
Verbotsversuch endete peinlich
Peinlich endete der Antrag der tschechischen Regierung auf ein Verbot der „Arbeiterpartei“ (Dělnická strana), die sich bei den gewalttätigen Aktionen des Nationalen Widerstands als „Beschützer der anständigen Bürger“ profiliert. Das Oberverwaltungsgericht in Brünn lehnte ihn Anfang März wegen Mangels an Beweisen ab. Einen ganzen Stoß von Beweismaterial über die Verfassungsfeindlichkeit der Partei hat die Regierung in der Schublade. Das Innenministerium versäumte, ihn dem Antrag beizulegen.
Der tschechische Bürgerrechtler Ondřej Cakl, der bei den Unruhen im November 2008 von Neonazis verletzt wurde, prophezeite schon am Tag nach den Ausschreitungen, dass die nächsten „Schlachten schlimmer werden“. Diese Bedrohung nimmt in den letzten Tagen konkrete Züge an.
Der Aggressor heißt "Národní odpor"
Wann immer auch die rechtsradikale Arbeiterpartei in der Vergangenheit solo zur Teilnahme an ihren Demonstrationen aufrief, war die Anzahl der Teilnehmer gering, der Verlauf friedlich und es kam höchstens zu vereinzelten Verletzungen des Versammlungsgesetzes oder Volksverhetzung. Sobald jedoch die Veranstaltung außerdem durch einen Aufruf der verbotenen Organisation "Nationaler Widerstand (Národní odpor)" unterstützt wurde, war mit dem Schlimmsten zu rechnen. Dies ist bei den anstehenden Aktionen der Fall.
Geschickte Terminplanung
Der raffiniert gewählte Termin der ersten „Ortsbegehung“ fällt auf den Tag der Ankunft des amerikanischen Präsidenten Barack Obama in Prag. Zu seinem Schutz werden am 4. April Polizeieinsatzkräfte aus dem ganzen Land in der Hauptstadt zusammengezogen. Auch für ausländische Journalisten hat das EU-USA-Summit Vorrang. Das Treiben der Neonazis müssen sie außer Acht lassen. Diese werden somit in der nordmährischen Kleinstadt Přerov, in der sie beim Stadtamt eine „Demo gegen Rassismus“ angemeldet haben, unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit freie Hand haben.
Erster "Trauermarsch" in Ústí nad Labem
Zum zweiten Auftritt der hiesigen Neonaziszene, einem Trauermarsch zum Gedenken an die Opfer eines Luftangriffs auf die nordböhmische Stadt Ústí nad Labem (Aussig a.d. Elbe) im Jahre 1945, wird auch über einen deutsche Naziserver aufgerufen. Analog zu den alljährlichen Februardemonstrationen in Dresden, an denen tschechische Gleichgesinnte regelmäßig teilnehmen, wird in den Abendstunden des 18. April 2009 zum ersten Mal auch in Tschechien das Leiden der Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg instrumentalisiert.
Aber: Es gibt Widerstand
Landesweit erstmals regt sich aktiver Widerstand gegen eine geplante Neonaziaktion in Teilen der Stadtbevölkerung. Unter dem Motto „Lasst uns in Ústí den Nazis den Rücken kehren“ organisieren mehrere Bürgerinitiativen eine Gegendemo.
Von ihrem Plan mit Fackeln durch die Stadt zu ziehen, haben die Veranstalter der „Trauerkundgebung“ mittlerweile aus Gründen des Brandschutzes abgesehen. Einen Antrag der Stadt auf ein Verbot des Marsches hat das Gericht abgelehnt. So wird die Stadt nach dem Bau einer Mauer gegen in Ustí ansässige Roma im Jahre 1999 vermutlich erneut in die Schlagzeilen der internationalen Presse geraten – als Frontstadt im Kampf für ein zigeunerfreies Böhmen.