"Pro Deutschland" in Berlin: Warum Ignorieren keine Lösung ist

Am vergangenen Donnerstag trafen sich hunderte Kreuzbergerinnen und Kreuzberger, um die islamfeindlichen Rechtspopulisten von „Pro Deutschland“ daran zu hindern, ausgerechnet im Kreuzberger Rathaus über ihr Wahlprogramm zu diskutieren. Danach brandete eine alte Diskussion auf: Verschafft man den Ultrarechten damit zu viel Aufmerksamkeit?

Von Ulla Scharfenberg

„Pro Deutschland“ hatte die Sitzung im BVV-Saal im Rathaus Kreuzberg vor Gericht erstritten. Und nach dem Debakel vom 30.06.2011 kündigte Manfred Rouhs, Berliner Spitzenkandidat und Bundesvorsitzender, eine erneute Raumanfrage an. Außerdem, so ergänzte er, sei ein „Anti-Islamisierungs-Kongress“ mit Demonstration zum Brandenburger Tor im August geplant. "Pro Deutschland" hat Aufmerksamkeit nötig. Die Chancen der rechtspopulistischen Partei, am 18. September in das Berliner Abgeordnetenhaus einzuziehen, stehen in der Tat schlecht - schon, weil es mit der "Freiheit" in Berlin Konkurrenz aus den eigenen Reihen gibt. Allerdings zeigen die zunehmenden rechtspopulistischen Aktivitäten in Berlin, dass es keinen Grund gibt, die islamfeindlichen Akteure ungestört walten zu lassen.

Kreuzberg gegen Rechtspopulisten 1:0

Über 150 Verbände und Einzelpersonen hatten zum friedlichen Protest aufgerufen und feierten bereits ab 16 Uhr einen „Markt gegen Rassismus“, darunter SPD, LINKE, Grüne und DKP, ver.di und AWO, der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB), das Hebammenteam Kreuzberg, die evangelische Galiläa Samariter Kirchengemeinde, der FC Hansa 07 Kreuzberg, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist/innen (VVN-BdA), die KiTa Kotti e.V. und die Kindervilla Waldemar. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Fotoausstellung „Hass vernichtet“ von Irmela Mensah-Schramm, die rechtsextreme Schmierereien dokumentiert. Auch vor dem Rathaus sorgten die internationale Volkstanzgruppe aus dem Stadthaus Böcklerpark, die „Frieddrums Berlin“ sowie die Frauentrommelgruppe uSAMBAras für beste Stimmung trotz zwischenzeitlicher Regenschauer. Als kurz nach 18 Uhr einige führende Vertreter von „Pro Deutschland“ vor dem Rathaus auftauchten, stellte sich ihnen die Menge geschlossen entgegen. Die Polizei bemühte sich zunächst, den Rechten den Weg ins Gebäude zu ermöglichen, mussten jedoch schnell feststellen, dass die friedliche Blockade nur mit unverhältnismäßiger Gewalt zu räumen sei. Der Einsatzleiter forderte die Rechtspopulisten auf, das Gelände freiwillig zu verlassen und sprach anschließend einen Platzverweis gegen die Mitglieder von „Pro Deutschland“ aus, die dann in Polizeibegleitung abrückten. Um 20 Uhr trat Bezirksbürgermeister Schulz vor die Menge und dankte für den Erfolg der Aktion: „Die wenigen von 'Pro Deutschland', die hier erschienen sind, von Pro Deutschland, haben sich verzogen“. Schulz freut sich, dass sich die Teilnehmenden nicht haben provozieren lassen: „Wir haben gezeigt, dass man mit zivilem Widerstand ne ganze Menge erreichen kann“.

Eine Provokation, die man ignorieren sollte?

Während sich viele Kreuzbergerinnen und Kreuzberger noch über die erfolgreiche Blockade freuen, wird Kritik an der Aktion laut. Man gäbe den Rechtspopulisten ein viel zu großes Forum, mache sie bekannt und beteilige sich ungewollt am ultrarechten Wahlkampf. Auf der Internetseite von „Pro Deutschland“ feiern sich deren Anhänger in den Kommentarspalten als Märtyrer der Meinungsfreiheit. „ich finde unseren durchhaltewillen gut, das wird belohnt werden“ heißt es da beispielsweise, oder auch „Herzlichen Glückwunsch zu dieser Klasse Aktion! (…) Mehr Presse hätte man gar nicht haben können! Also von der Seite ein voller Erfolg!“. Die „Jetzt erst Recht!“ Parolen werden auch von offizieller Stelle ausgerufen. Markus Beisicht, Vorsitzender des nordrhein-westfälischen Pendants „Pro Köln“, fordert Bezirksbürgermeister Schulz zum Rücktritt auf und wünscht sich ultrarechte Wahlerfolge in der Hauptstadt: „Die Höchststrafe wäre, dass eine Fraktion der PRO-BEWEGUNG ins Rathaus von Kreuzberg einzöge“. Die Strategie der rechtspopulistischen Islamhasser wird schnell deutlich. Um eine ernsthafte Programmdiskussion im BVV-Saal geht es der selbsternannten Bürgerbewegung ganz sicher nicht. Vielmehr ist eine gezielte Provokation das Ziel: im multikulturell geprägten Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, einem traditionell links-alternativen Stadtteil, soll Präsenz gezeigt werden, Protest wird erwartet und insgeheim erhofft. So geht die Taktik von „Pro Deutschland“ auf.

Fremdenhass im Schafspelz

Rouhs und seine Mitstreitenden geben sich gern bürgerlich: rechts-konservativ zwar, aber unbedingt grundgesetztreu. Gegen Ausländer habe man ja gar nichts, aber „Masseneinwanderung und drohender Überfremdung“ müsse mit allen Mitteln entgegengetreten werden. Ausländerfeindliche und anti-islamische Hetze bestimmen den größten Teil des Wahlprogramms dieser Partei, die vorgibt „Zuwanderer, die uns nutzen“ zu dulden, gleichzeitig aber von „Zuwanderer-Ghettos“ phantasiert, die zu „No-Go-Areas“ für Einheimische würden. (Wer diese „Einheimischen“ nach Auffassung der Rechtspopulisten sind, wird nicht erläutert.) „Islamisten haben unsere Städte schon lange ins Visier genommen und bereits zahlreiche Terroranschläge vorbereitet“ warnt „Pro Deutschland“. Als Beweis für diese Behauptung müssen die sogenannten „Kofferbomber“ aus dem Sauerland herhalten. Ein aktuelles, oder gar regionales Beispiel kennen die Ultrarechten wohl selbst nicht. „Die massenhafte Zuwanderung hat sich (…) als zusätzliche Belastung der sozialen Sicherungssysteme und als eine Gefährdung für den Zusammenhalt der Gesellschaft und die öffentliche Sicherheit herausgestellt“. „Pro Deutschland“ fordert zahlreiche Maßnahmen zur „Steigerung der Geburtenrate in der einheimischen Bevölkerung“, etwa staatliche Geldgeschenke in Höhe von 5000€ zur Geburt jedes Kindes. Auch hier wird nicht erklärt, wer oder was „einheimisch“ ist. Unter dem Abschnitt „Demokratie und Bürgerrechte stärken“ werden die Rechtspopulisten etwas deutlicher: „Pro Deutschland lehnt (…) den unlogischen und vernebelnden Terminus eines ‚ausländischen Mitbürgers’ ebenso als verfassungswidrig ab wie das allgemeine Wahlrecht für Ausländer und das Kommunalwahlrecht für diejenigen Ausländer, die nicht der Europäischen Union angehören. Soweit Grundrechte ausdrücklich nur Deutschen zuerkannt sind, stehen sie Ausländern sowie Staatenlosen nicht zu.“

Ruf nach „echter Meinungsfreiheit“

Auch die bildungspolitischen Forderungen von „Pro Deutschland“ münden schnell in fremdenfeindliche Ressentiments. So wird bspw. davor gewarnt die schulische Wertevermittlung nicht „eingewanderten Großgruppen aus anderen Kulturkreisen“ zu überlassen, „die – ausgestattet mit einem festgefügten Weltbild – ihre sich oft als Religion tarnende totalitäre Weltanschauung durchsetzen wollen“. Dass „Pro Deutschland“ Geschichte zum Pflichtfach für alle Schulstufen machen möchte, ist sicher vertretbar, dass „dabei allen Aspekten der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts Rechnung“ getragen und „historischen Zusammenhängen Vorrang vor ‚Inselwissen’ gegeben“ werden soll, lässt jedoch zumindest aufhorchen. Welche die „neue(n) Forschungsstände“ sind, die „in den Unterricht einfließen“ sollen, bleibt offen. Geschichtsrevisionismus? Den Verdacht zu äußern ist allemal zulässig. Auch in der Forderung nach „echter Meinungsfreiheit“ fühlt sich der geschulte Leser an eine ur-rechtsextreme Thematik erinnert. Neonazis beklagen immer wieder die angeblich fehlende Meinungsfreiheit in Deutschland, sie plädieren für die Abschaffung von Paragraph 130, Strafgesetzbuch, der Aufstachelung zum Hass und die Leugnung des Holocausts verbietet – ein Dorn im Auge der Rechtsextremen. Im Wahlprogramm von „Pro Deutschland“ heißt es zum Thema Meinungsfreiheit: „Durch staatlich geförderte sogenannte gesellschaftlich relevante Gruppen wird dieses klassische Bürgerrecht zunehmend eingeschränkt, indem ein Klima der Ausgrenzung und Sanktionierung geschaffen wird. Jeder, der nicht dem Zeitgeist des ‚politisch Korrekten’ huldigt, wird öffentlicher Ächtung ausgesetzt“.

Nicht nur bürgerlich: „pro-deutsches“ Personal
„Pro Deutschland“ wehrt sich gegen den Vorwurf des Rechtsextremismus. Gegen die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht und die Einstufung als „rechtsextremistisch“ reichten die Rechtspopulisten Klage vor dem Hamburger Verwaltungsgericht ein – und bekamen Recht. Dass der Verdacht allerdings nicht allzu weit hergeholt ist, belegen nicht nur die oben aufgeführten Passagen aus dem Wahlprogramm des Berliner „Pro Deutschland“ Ablegers. Manfred Rouhs, Bundesvorsitzender und Spitzenkandidat des Bezirks Marzahn-Hellersdorf, kann auf eine lange Karriere im rechtsextremen Parteienspektrum zurückblicken, so war er Mitglied der Jugendorganisation der NPD, Junge Nationaldemokraten (JN), saß für die Republikaner (REP) im Kölner Stadtrat und wechselte schließlich zur rechtsextremen „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DLVH). 1984 wurde in der Zeitschrift „Die Bauernschaft“ ein Leserbrief veröffentlicht, in dem der Autor "Manfred Rouhs, Krefeld" den Mord an den Juden im 3. Reich leugnet. Auch Torsten Meyer, Spitzenkandidat für den Bezirk Lichtenberg, ist in der rechtsextremen Szene kein Unbekannter. Bevor er sich bei „Pro Deutschland“ engagierte, war er Landesvorsitzender der Berliner DVU und war bis Ende 2010 Mitglied der NPD-Fraktion in der Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung. Das Berliner Projekt "Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in kommunalen Gremien Berlins - Dokumentation und Analyse" teilt gegenüber "netz-gegen-nazis.de" die Einschätzung, "dass sich Rechtsextreme und Rechtspopulist/innen aus dem Berliner Parteienspektrum - so von den 'Republikanern' und der DVU - unter dem Dach von des Berliner Landesverbandes von Pro Deutschland sammeln."

Menschenverachtender Hetzte entgegentreten

Dass die Islamfeinde von „Pro Deutschland“ in erster Linie provozieren wollen, wenn sie im Kreuzberger Rathaus tagen, Infostände in Friedrichshain betreuen oder – wie geplant – zum „Anti-Islamisierungs-Kongress“ mobilisieren, ist kein Geheimnis. Ihre offen menschenverachtende Propaganda aber einfach zu ignorieren, kann und darf keine Lösung sein. Denn durch die penetrante Wiederholung anti-islamischer und rassistischer Argumentationen tritt ein Normalisierungsprozess ein - sie scheinen plötzlich salonfähig, wenn Ihnen nicht entschieden widersprochen wird. Dann sind Wahlerfolge ultrarechter Parteien nur eine logische Konsequenz. Weil die meisten Berlinerinnen und Berliner ihre Stadt als weltoffen, tolerant und frei schätzen, wehren sie sich gegen Rassisten und Neonazis - zu Recht.

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