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NSU-watch: "Wir brauchen eine kritische Öffentlichkeit"

Im Zuge der Ermittlungen zu den NSU-Morden werden Zweifel an der deutschen Sicherheitsarchitektur laut, genährt durch das offensichtliche Behördenversagen. Die Arbeit der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse soll Aufklärung bringen – oft genug sorgen die Vernehmungen der Behördenmitarbeiter aber vor allem für Kopfschütteln. Auch die Medienberichterstattung zeigt sich ambivalent. Grund genug für eine kritische Öffentlichkeit: Daher gründen ein Dutzend antifaschistischer Projekt aus ganz Deutschland die unabhängige Beobachtungsstelle "NSU-watch" – ein Interview mit Frank Metzger vom apabiz.

Alice Lanzke sprach mit Frank Metzger vom apabiz über die NSU-Beobachtungsstelle, den Stand der Ermittlungen und die Rolle der Medien.

netz-gegen-nazis.de: Es gibt den Bundestagsuntersuchungsausschuss zum NSU, es gibt die Ausschüsse einzelner Bundesländer – warum ist nun noch eine unabhängige Beobachtungsstelle nötig?

Die Umstände der unfassbaren neonazistischen Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)  machen unweigerlich deutlich: Wir brauchen eine kritische Öffentlichkeit! Polizei und Geheimdienste und auch Teile der politisch Verantwortlichen haben es nicht nur versäumt, diese Morde frühzeitig aufzuklären oder gar im Vorfeld zu verhindern. Sie waren offenkundig Teil des Problems – und sind es zum Teil immer noch. Eine tödliche Melange bestehend aus systemischen und persönlichen Fehlern – teils bewusst teils unbewusst, Ignoranz sowie rassistischen Stereotypen. Mit der Beobachtungsstelle wollen wir aus zivilgesellschaftlicher Perspektive die Untersuchungsausschüsse und die bald startenden Prozesse kritisch begleiten und kommentieren und mit unseren Möglichkeiten zur Aufklärung beitragen.

Wie seht Ihr denn den Stand der Aufklärung?

Der befindet sich immer noch am Anfang. Weder die genauen Umstände der Morde und Bombenanschläge sind geklärt. Noch wissen wir im Einzelnen, wer das Trio wie unterstützt hat. Es gilt immer noch die zentralen Fragen zu klären: Wie konnten drei polizeilich gesuchte Neonazis, in deren unmittelbarem Umfeld mehrere Geheimdienste aktiv waren, dreizehn Jahre in der Illegalität leben, insgesamt zehn Menschen ermorden, mindestens zwei Bombenanschläge begehen und zudem über ein Dutzend Banken überfallen? Zwar gibt es viele einzelne Puzzleteile, die teilweise auch schon zusammenpassen. Das Gesamtbild ist aber noch lange nicht erkennbar.

Wie mühsam und schwerfällig die Aufklärung ist, zeigt sich beispielsweise im Untersuchungsausschuss des Bundestages. Die dort sitzenden Parlamentarierinnen und Parlamentarier  sind über alle Parteigrenzen hinweg redlich an einer Aufklärung interessiert. Allerdings werden ihre Bemühungen von den geladenen Zeugen aus den Polizei- und Geheimdienstbehörden bisweilen torpediert. Es ist nicht nur das selbstgefällige und arrogante Auftreten ohne jegliche Kritik an der eigenen und der behördlichen Arbeit. In einigen Fällen ist eine Verweigerungshaltung offenkundig.

Unserer Meinung nach hätten bisherige Befragungen mit mehr Schärfe durchgeführt werden können und müssen, um die Dringlichkeit deutlich zu machen und den Druck zu erhöhen. Oftmals blieb am Ende des Tages das mulmige Gefühl, dass längst nicht alles in Erfahrung gebracht wurde. Allerdings ist dies auch teilweise der Überforderung der Ausschussmitglieder geschuldet. Diese bekommen schubweise tausende Seiten an Akten und das manchmal erst wenige Tage vor den Sitzungen.

Das betrifft jetzt die Arbeit des Bundestagsuntersuchungsausschusses – wie sieht es denn mit den Ausschüssen in den Bundesländern aus?

Hier zeigt sich ein ganz ähnliches Bild. Auch hier haben die Ausschussmitglieder mit Blockaden der Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern zu kämpfen. Der Auftritt von Helmut Roewer, der in Thüringen Verfassungsschutzchef war, vor dem Untersuchungsausschuss in Thüringen war nicht nur bizarr, sondern eine bodenlose Frechheit. Auch die Arbeit der Untersuchungsausschüsse der Bundesländer wollen wir mit der Beobachtungsstelle systematisch "überwachen" und somit eine kritische Öffentlichkeit ermöglichen.

Wie stellen sich die Medien bei den NSU-Ermittlungen dar?

Auch die Rolle der Medien ist ambivalent: Es gibt sicher gute Journalistinnen und Journalisten, die mit ernsthaftem Interesse und intensiver eigener Recherche arbeiten. Meist sind das jene, die sich bereits seit Jahren mit dem Thema extreme Rechte beschäftigen oder solche, die sich mit investigativer Recherche auskennen. Daneben gibt es aber auch Medienleute, die nicht investigativ arbeiten, sondern oft genug einfach das schreiben, was ihnen von Behördenseite in den Block diktiert wird. Das ist es, was wir kritisieren. Die Medien haben die große Aufgabe, hier Öffentlichkeit zu schaffen und ein Instrument zu sein, die Bevölkerung über die Ermittlungen zu informieren. Hier sehen wir schon noch viel Aufholbedarf, denn dieser Aufgabe kommen sie nur bedingt nach. Bezogen auf die Untersuchungsausschüsse: Es sind nur wenige Journalistinnen und Journalisten, die die Sitzungen von Anfang bis Ende beobachten. Den meisten scheinen die Resumées und Statements der Abgeordneten in den Pausen und am Ende des Sitzungstages zu reichen. Das wird unserer Meinung allerdings einer objektiven Berichterstattung nicht gerecht.

Wie geht Ihr nun vor, wenn ihr diese kritische Öffentlichkeit schaffen wollt?

Wir arbeiten als apabiz in einem Netzwerk – das gilt nicht nur für den NSU-Fall, sondern generell. Dabei stehen wir mit Initiativen in ganz Deutschland, aber auch mit engagierten Einzelpersonen in einem stetigen Austausch – mit etlichen schon seit den 1990er Jahren. Unsere tägliche Arbeit wie auch das, was wir jetzt mit der Beobachtungsstelle planen, basiert auf diesem Netzwerk. Anders ginge das gar nicht. In den kommenden Monaten – beziehungsweise realistisch betrachtet eher Jahren – wollen wir aus diesem Netzwerk heraus die verschiedenen Untersuchungsausschüsse und die Strafprozesse begleiten, dokumentieren und bewerten. Berichte, Ergebnisse und Analysen sollen dann beständig auf dem NSU-Watch-Blog veröffentlicht werden. Um das jedoch tatsächlich bewerkstelligen zu können, fehlt es noch an finanziellen Ressourcen. Da die Arbeit der Projekte, die bisher an der Beobachtungsstelle beteiligt sind, hauptsächlich auf ehrenamtlicher Arbeit beruht, sind wir dringend auf Spenden angewiesen.

Im Internet:
http://nsu-watch.apabiz.de

Hintergrund:

Bisher beteiligen sich folgende Projekte und Vereine an der Beobachtungsstelle:

  • a.i.d.a. – Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e. V.
  • Antifaschistisches Info-Blatt (AIB)
  • apabiz – Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V.
  • Antirassistisches Bildungsforum Rheinland
  • Argumente e.V. – Netzwerk antirassistischer Initiativen
  • ART Dresden
  • Der Rechte Rand – Magazin von und für AntifaschistInnen
  • Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus
  • LOTTA – Antifaschistische Zeitung aus NRW
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