Nebenklage-Anwälte Mehmet Daimagüler und Sebastian Scharmer mit Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung auf der Pressekonferenz in Berlin.
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NSU-Nebenklage: Generalbundesanwaltschaft behindert Aufklärung

Im NSU-Prozess - ebenso wie schon zuvor im NSU-Untersuchungsausschuss - geht es viel um Verbrechens-Fakten und Details. Trotzdem werden wichtige Zusammenhänge des Umfeldes der rechtsextremen Terrororganisation nicht geklärt - und die gesellschaftliche Dimension fällt unter den Tisch. Das beklagen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte der Nebenklage im NSU-Prozess. Sie fordern von Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihr Versprechen von "lückenloser Aufklärung" wahr zu machen.

Von Simone Rafael

Achtzig Verhandlungstage sind bisher im NSU-Prozess vergangen. Sie haben einige Fakten zutage gebracht - und lassen weiterhin viele Fragen unbeantwortet. In welchem Netzwerk agierte der "Nationalsozialistische Untergrund"? Welche Helfer*innen gab es noch vor Ort? Wie wurden die Opfer ausgewählt? Was wussten die Geheimdienste wirklich von den Aktivitäten - und haben sie sie gar über V-Leute gefördert oder gedeckt? Warum wurden die Akten der Geheimdienst-Operation "Rennsteig" geschreddert?  Diese Fragen stellen sich die Anwält*innen der Nebenklage - und vor allem stellen sie sich ihre Klient*innen, was zuallererst die Familien der Menschen sind, die vom NSU brutal hingerichtet wurden. Sie wünschen sich die "lückenlose Aufklärung" der Verbrechen, die ihnen Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Gedenkveranstaltung für die NSU-Opfer in Berlin 2012 versprochen hat. Im Gerichtsalltag sieht es nun anders aus.

Kein Interesse an Aufklärung spürbar

"Alle Aufklärungsversuche behindert die Generalbundesanwaltschaft", sagt Rechtsanwalt Sebastian Scharmer auf ein Pressekonferenz in Berlin am 17. Februar 2014. Das Hauptargument sei stets, das die zu klärenden Punkte nicht Teil der Anklage seien - was natürlich auch an der Anklage liegt, die die Generalbundesanwaltschaft formuliert hat. "Und es heißt stets: Diese Fragen können nicht im Prozess geklärt werden - dafür gab es den NSU-Untersuchungsausschuss. Dort hieß es allerdings ebenso, das könne nicht geklärt werden, das müsse Teil des Prozesses sein. So fallen viele wichtige Themen, die etwa das politische Umfeld betreffen, unter den Tisch", so Scharmer. Auch in der praktischen Arbeit fühlen sich die Rechtsanwält*innen behindert. So seien viele Akten etwa nur in Karlsruhe, wo die Bundesanwaltschaft sitzt, einsehbar - oder sie werden den Nebenklage-Anwält*innen gar nicht zur Verfügung gestellt. So gebe es etwa ein Verfahren der Generalbundesanwaltschaft gegen weitere, unbekannte Beschuldigte - dazu bekommen die Nebenklageanwält*innen allerdings keinen Zugang.

Warum dürfen rechtsextreme Zeugen lügen?

"Aus unserer Sicht ist es auch unverständlich, warum die Generalbundesanwaltschaft nichts dagegen unternimmt, dass rechtsextreme Zeugen ihnen offenkundig ins Gesicht lügen", sagt Sebastian Scharmer, "wobei doch bekannt ist, dass dies die noch folgenden rechtsextremen Zeugen ermutigt, es ebenso zu tun." Ein Zeuge aus der rechtsextremen Szene sei gar mit einem Zeugenbeistand gekommen, der ihn permanent ermutigte, nichts zu sagen - wobei der Zeugenbeistand vom Verfassungsschutz aus Hessen ausgewählt und bezahlt wurde. "Das sind unhaltbare Zustände, die die Generalbundesanwaltschaft aber ganz normal findet", sagt Scharmer. Er sieht die Opferfamilien so in einer Statist*innen-Rolle gedrängt, deren Interessen umgangen werden. "Die Generalbundesanwaltschaft untersteht dem Justizministerium und im Endeffekt der Bundeskanzlerin. Es wäre wünschenswert, wenn sie einen Einfluss nehmen würde", sagt Scharmer. Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung ergänzt: Durch Merkels Aussagen sei für die Opferfamilien Hoffnung inszeniert worden - es mache jetzt den bitteren Eindruck, dass dies nur eine leere Geste gewesen sei.

Das große Abhaken

Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler ergänzt, dass es eine sehr bedrückende Erfahrung sei, dass sich Politik und Gesellschaft offenbar wenig für die Aufklärung der NSU-Morde interessieren, und noch weniger für die Prinzipien, die die Morde und ihre jahrelange Unentdecktheit möglich gemacht haben: Der strukturelle und institutionelle Rassismus in Deutschland. "Ich hatte gehofft, dass der Prozess eine Debatte über Rassismus und Menschenfeindlichkeit in Deutschland auslöst", sagt Daimagüler, "stattdessen findet sich jeden Tag in den öffentlichen Diskursen Abwertung gegenüber Menschen, die hier Zuflucht suchen, und übelste Hetze gegen Sinti und Roma sogar aus Regierungskreisen." Dabei sollten sich doch gerade Politiker*innen darüber klar sein, dass man nicht punktuell rassistisch und abwertend agieren könne, sonders dies immer Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima habe. Um eine solche Auseinandersetzung mit "Werten, die wichtig sind", dennoch zu erreichen, fordern die Rechtsanwält*innen eine Enquete-Kommission der Bundesregierung, die sich mit der Lösung des gesamtgesellschaftlichen Problems des Rassismus auseinandersetzen soll. "Es darf nicht jetzt schon das große Abhaken beginnen", so Daimagüler.

 

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