Schüler*innen in Sachsen bot sich in den letzten Tagen in ihrem Unterricht folgendes Bild: Ein Plüschtier tingelt durch das Schulgebäude, posiert für Erinnerungsfotos mit den Kindern und teilt fleißig Umarmungen aus. Währenddessen laufen seine Begleiter durch die Tischreihen und wollen über die Gefahren der Droge „Crystal Meth“ informieren. Was auf den ersten Blick wie eine naiv-alberne Anti-Drogenkampagne wirkt, ist in Wirklichkeit die neueste Wahlkampfidee der Jungen Nationaldemokraten.
Von Marc Latsch
Ein Plüschtier als letzte Hoffnung
Im Mittelpunkt dieser Kampagne steht „Platzhirsch – der Schülersprecher“. Ein Plüschkostüm mit der Attitüde eines spätabendlichen Geniestreichs vom letzten JN-Sommerfest. Nun gut, die Landtagswahlen in Sachsen stehen vor der Tür, die NPD-Fraktion ist arm an Hoffnungsträgern, da bastelt man sich den perfekten Rechtsextremen doch lieber selbst. Der besitzt ein dickes braunes Fell, trägt Hirschgeweih und Schweinsnase und wirbt mit „Frei.Wild“-affinem T-Shirt-Design um junge Mainstreamgegner*innen. Die Aktion scheint sogar vom Erfolg gekrönt, ein Video im Netz zeigt die Aktion in der Klasse und sogar die freudige Offenheit einer Lehrerin – vielerorts scheint die Tarnung offenbar zumindest zeitweise zu funktionieren.
Anti-Drogen-Kampagne?
Das Thema ist hierbei perfide nach dem Aspekt der geräuschlosen Kontaktaufnahme gewählt. Die JN Sachsen spricht von einer groß angelegten „Anti-Drogen-Tour“, dabei geht es doch nur um die Verbreitung der üblichen Wahlkampfzeitschriften in Schülerkreisen. Passend zum Maskottchen trägt die aktuelle Schriftensammlung ebenfalls den Namenszug „Platzhirsch – der Schülersprecher“. Lediglich zwei Seiten beschäftigen sich mit dem angeblichen Kampagnenthema „Crystal Meth“ - und auch hierbei geht es vor alle darum, rassistische Ressentiments etwa gegen Polen zu verbreiten. Auf den verbliebenen 18 Seiten ist die übliche JN-Anbiederungsmaschinerie in vollem Gange: Die Rede ist von armen Jugendlichen, durch die Lehrer*innen unterdrückt, von Linken und Ausländer*innen verprügelt werden, bis sie sich schließlich nach all der Mainstream-Propaganda sogar ihres eigenen Geschlechts nicht mehr bewusst sind. Erst bei den Jungen Nationaldemokraten können diese verlorenen Seelen wieder zum Lebensglück zurückfinden – so die JN.
Inhaltlich ist das Engagement gegen Drogen für die Neonazis auch durchaus verlogen, wie Miro Jennerjahn, Rechtsextremismusexperte der sächsischen Grünen, weiß: "In den letzten Jahren sind in Sachsen immer wieder Neonazis als Drogenhändler auffällig geworden. Darunter auch mindestens ein ehemaliger Stadtratskandidat der NPD. Die Neonazi-Szene in Sachsen und damit auch die JN ist Teil des Problems Drogenhandel und organisierte Kriminalität, nicht Teil der Lösung."
Aktivist gegen Überfremdung
Um der Real-Satire des drogenfeindlichen Platzhirsches die Krone aufzusetzen, kommt natürlich auch noch der Platzhirsch selbst in der verteilten Zeitschrift zu Wort. In seiner Kolumne teilt er unter dem Motto „Überfremdung? Ich platz gleich!“ seine Sorgen mit den Jungs und Mädels im Land. Als Stärkster aus der Mitte der Hirsche ist er auserkoren, sein Revier vor Eindringlingen zu schützen. Doch nicht nur von außen droht die Gefahr, auch die Homo-Ehe macht dem armen Platzhirsch Angst. Somit bleibt er auf der Suche nach weiteren Platzhirschen, die mit ihm seine Identität und Existenz als Deutscher verteidigen. So muss die Gesellschaft besser aufmerksam bleiben, ob sich das Hirschkostüm zum neuen rechtsextremen Markencode aufschwingen kann. Die Schulen jedenfalls schienen vom Nazi-Platzhirsch jedenfalls völlig verblüfft zu sein. Dazu fragt sich Miro Jennerjahn: "Kannte der Verfassungsschutz die Aktion? Wann wurden die Schulen über den zu erwartenden Auftritt der Neonazis informiert? Wurde die Polizei durch den Verfassungsschutz rechtzeitig informiert, um ein Verbreiten neonationalsozialistischer Propaganda an sächsischen Schulen wirksam unterbinden zu können?" Offenkundig funktionierte zumindest Letzteres nicht. Im Internet postet der "Platzhirsch" fleißig, an welchen Schulen er gerade unterwegs ist.
Plüsch für Hass
Schon in der Vergangenheit haben junge Neonazis in hässlichen Kostümen bereits geschafft, von sich reden zu machen – auch wenn es ihnen nicht viel Glück gebracht hat. In Niedersachsen konnten die Aktivisten der Kameradschaft „Besseres Hannover“ mit einem ähnlich plüschigen und rassistischen „Abschiebären“ zumindest Interneterfolge feiern – bis die Justiz genug gegen die Macher in der Hand hatte und sie aus der aktiven Arbeit enfernte. Ihnen wird demnächst in Hannover der Prozess gemacht. In Brandenburg versuchte es die Kameradschaft „Widerstandsbewegung Südbrandenburg“ mit einem Krümelmonster-Kostüm, in dem sie etwa „Schule ohne Rassismus“-Schilder entwendeten. Doch auch die „Widerstandsbewegung Südbrandenburg“ ist inzwischen verboten, ebenso wie „Besseres Hannover“ – und die Plüschkostüme landen in der Asservatenkammer der Polizei. Jennerjahn sieht in der Hirsch-Aktion jedenfalls eine Verzweiflungstat: "Die Aktion der JN zeigt sowohl die Verzweiflung der Neonazis als auch ihre Verlogenheit. Der NPD droht der Verlust der Landtagsmandate und damit auch der finanziellen Basis. Darum schrecken die Neonazis wieder einmal nicht davor zurück, Kinder und Jugendliche für ihrer menschenverachtende Politik zu instrumentalisieren. "
Update 23.07.2014
In Sachsen wurde der "Platzhirsch" samt Nazi darin von der Polizei vor dem Landtag gestoppt und gestellt (Presseschau 10.07.2014). Dafür tauchte am 22.07.2014- mit demselben Kampagnenthema - im saarländischen Völklingen die JN im Löwenkostüm an einer Schule auf (Saarbrücker Zeitung).