Der „Initiativkreis Antirassismus“ unterstützte die Familie des 2010 am Leipziger Hauptbahnhof von zwei Neonazis erstochen Kamal K.. Einerseits tat sie das konkret durch Öffentlichkeitsarbeit und Prozessbegleitung. Andererseits wollte sie Öffentlichkeit für die politischen Dimensionen der Tat schaffen. Eine intensive Recherche über „Rechte Morde in Leipzig“ führte im November 2014 zu einer gleichnamigen Ausstellung im Leipziger Rathaus. Diese ist für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie 2015 nominiert.
Von Miro Dittrich
Motiviert für seine Arbeit wurde der „Initiativkreises Antirassismus“ im Jahr 2009 durch einen Vortrag einer Berliner Gruppe über den sozialdarwinistischen Mord an Dieter Eich. Dieser wurde am 24. Mai 2000 in seiner Wohnung von einer Clique betrunkener Neonazis erst brutal verprügelt, später kamen die Täter zurück und erstachen den 60-Jährigen mit einem Jagdmesser. Eine kleine Gruppe von Studenten begann darauf, sich mit dem Thema rechter Morde in ihrer Stadt Leipzig zu beschäftigen. Im Spätsommer 2010 bekam diese Beschäftigung eine tragische Aktualität: Der 19-jährige Kamal K. wurde am Leipziger Hauptbahnhof von zwei Nazis erstochen. Der „Initiativkreis Antirassismus“ unterstütze die Familie mit direkter Hilfe bezüglich eines Anwaltes und bei der Prozessbegleitung. Auch 2011 nach dem Gerichtsprozess halfen die Studenten der Familie, die sich für einen Erinnerungsort für ihren ermordeten Sohn und Bruder engagierten. Die Familie wünschte sich die Sandstein-Skulptur eines aufgeklappten Buches mit Gedanken der Mutter. Diese Skulptur konnte aufgrund verwaltungstechnischer Hürden leider nicht aufgestellt werden. Immerhin gelang es aber, dass 2013 ein kleiner Findling aufgestellt wurde, welcher seitdem an den Mord erinnert.
Diese Erfahrungen brachten die Engagierten des „Initiativkreises Antirassismus“ dazu, sich zwei Jahre lang intensiv mit weiteren bereits bekannten, aber auch neu recherchierten Rechten Morden in ihrer Stadt seit 1990 zu beschäftigen. Sie trafen sich mehrmals im Monat, verteilten Rechercheaufgaben und planten Organisatorisches. Da die Gruppe trotz einer Förderung des Demokratierates Leipzig und einem Schreiben des Oberbürgermeisters keine Einsicht in Urteile erhielten, recherchierten s hauptsächlich in Zeitung und linken Publikationen. Nicht nur bei der Staatsanwaltschaft, die ihnen die Einblicke verweigerte, stießen die Studierenden auf Widerstand, sondern überall dort, wo die Verantwortlichen durch ihre Recherche Kritik befürchteten - vor allem bei der Polizei. Oft hatten die Aktiven das Gefühl, es ginge vor allem darum, das Image der weltoffenen Stadt Leipzig sauber zu halten. Dies ließen die Recherchen allerdings nicht zu: Nach bisherigem Recherche-Stand ist die Hälfte der 16 Nazi-Morde in Sachsen in der Stadt Leipzig zu verzeichnen. Zwei weitere Fälle werden derzeit geprüft. Bei der Auswahl der Fälle haben sie die engagierten Studenten an der Definition von politisch motivierte Kriminalität (PMK) orientiert und dabei die Tatumstände und das Motiv betrachtet. Ein Ergebnis dieser Arbeit: Der Fall des am 4. Oktober 2003 erstochenen Thomas K. wurde im Januar 2015 endlich, nach mehrfachen Anfragen über eine Landtagsabgeordnete, offiziell als Todesopfer rechter Gewalt von der Staatsregierung anerkannt wurde.
Um die Recherche-Ergebnisse über acht Todesopfer und zwei Verdachtsfälle rechtsextremer Gewalt in die Öffentlichkeit zu bringen, entwickelten sie eine Ausstellung. Diese informierte über die Tatumstände, das Handeln von Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht, Medien, Politik und Verwaltung mit diesen. Offiziell eröffnet wurde die Ausstellung im Rathaus, um Verwaltung und Politik direkt mit dem Thema zu konfrontieren.
Die Ausstellung selbst besteht aus 16 Tafeln, 1 Meter mal 2,20 Meter groß. Jeder Tat ist eine Tafel gewidmet, die das Opfer vorstellt, die Tat schildert und die Tatmotive wie Sozialdarwinismus, Rassismus oder Homosexuellenfeindlichkeit, erklärt. Gerahmt werden diese Schilderungen von Einführungstafeln zu rechten Morden, (staatlicher) Statistik und rechten Morden bundesweit. Neben den Ausstellungstafeln haben Besucher_innen die Möglichkeit, ein Pressearchiv zu den Fällen durchzusehen sowie diverse Videoberichte anzuschauen.
Im Anschluss wurde die Ausstellung an neun weiteren Orten ausgestellt. Besonders im Selbstverwaltetes Jugend-Kulturzentrum „Conne Island“ war die Ausstellung gut besucht und es gab ein gutes Feedback für die Macher_innen. Derzeit ist die Ausstellung in der Uni Leipzig zu sehen.
Weitere Ausstellungen plant der Initiativkreis Antirassismus“ sie vor allem in der Nähe der Todesorte, um lokales Erinnern zu stärken, das Thema am Ort zu halten und gegen das Vergessen anzukämpfen. So ist geplant, die Ausstellung etwa in der Schule des ermordeten Thomas K. auszustellen, um Jugendliche für das Thema zu sensibilisieren.
Das Preisgeld des „Sächsische Demokratiepreises“ würde den Engagierten dabei helfen, ihre Recherchen und die Ausstellung auf den Landkreis Leipzig zu erweitern. Auch würden die Engagieren die Ausstellung gern in eine Online-Form zu bringen. Wünschen würden sie sich auch ihre Ausstellung in anderen Städten zu zeigen, um so vielleicht auch andere, so wie sie damals, anzuregen sich mit der Thematik in ihrer Stadt auseinander zu setzten. Klar ist: Die Sensibilisierung für Rechte Morde, die auch zu einer Anerkennung der Taten führt, ist wichtig – und hat hoffentlich Anteil daran, dass solche Taten sich zukünftig nicht wiederholen.
Info: Der Sächsische Förderpreis für Demokratie 2015
64 Bewerbungen für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie – Preisverleihung am 9.11. in Dresden mit Laudatio von Anja Reschke
In diesem Jahr wird der Sächsische Förderpreis für Demokratie zum neunten Mal verliehen. Der Preis würdigt herausragendes Engagement von Initiativen und Kommunen gegen Rechtsextremismus und für Menschenrechte und eine demokratische Kultur in Sachsen. 64 Initiativen, Projekte, Kommunen und Landkreise bewarben sich für die Auszeichnung. Ende September tagte die Jury, um aus der Fülle spannender Einreichungen diejenigen auszuwählen, die am 9. November in Dresden ausgezeichnet werden.
Die Nominierten des Sächsischen Förderpreises 2015 sind:
- Banda Comunale: Mit der Initiative Neujahrsputz und der Angsthasen Prozession setzten sie Pegida eine Protestform entgegen, die mit Satire und positiven Bildern viele Dresdner ermutigte, sich mit zu positionieren.
- Bündnis "Willkommen in Roßwein": Die Bürgerinitiative organisierte sich, um mit Politik, Verwaltung, Kirchen und Vereinen Asylsuchenden die ersten Schritte im Ort zu erleichtern und der lokalen Pegida-Bewegung die Stirn zu bieten.
- Initiativkreis Antirassismus: Das Projekt "Die verschwiegenen Toten" informiert über statistisch nicht erfasste Opfer rechter Gewalt in Leipzig und kämpft um ihre Anerkennung und ein an-gemessenes Gedenken.
- Legida? Läuft nicht. Leipziger Studierende gegen Rassismus: Die hochschulübergreifende Initiative ist eine der treibenden Kräfte der No-Legida-Bewegung und aktiv bei der Unterbringung von Asylsuchenden in Gebäuden der Hochschulen.
- Schüler für Flüchtlinge: Die Schüler des Goethe-Gymnasiums Bischofswerda setzen sich für Aufklärung und praktische Hilfe im benachbarten Asylbewerberheims ein und wurden zum Zentrum der ehrenamtlichen Unterstützungsstrukturen der Stadt.
- Bürgerinitiative "Gesicht zeigen" - Netzwerk für demokratisches Handeln: Engagierte Eltern starteten trotz ständiger Bedrohung ein vielfältiges Programm zur Entwicklung einer demokratischen Soziokultur im ländlichen Raum um Penig und Lunzenau
- Jürgen Opitz, Bürgermeister der Stadt Heidenau: Der Bürgermeister positionierte sich klar gegen rassistische Ausschreitungen und gewalttätige Flüchtlingsgegner und schaffte es so, auch andere Bürger für Willkommensaktivitäten zu mobilisieren
Die Verleihung des Preises findet am 9. November im Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden statt. Dort wird auch das Projekt bekannt gegeben, das mit dem Hauptpreis von 5.000 Euro ausgezeichnet wird. Die Laudatio hält die Journalistin und Panorama-Moderatorin Anja Reschke, die jüngst in einem Tagesschau-Kommentar klar Stellung gegen rechte Hetze in den Sozialen Medien bezog.
Der Preis wird ausgelobt von der Amadeu Antonio Stiftung, der Freudenberg Stiftung, der Sebastian Cobler Stiftung und der Stiftung Elemente der Begeisterung.
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Ergänzung 10.11.2015: