Die Nationalsozialisten begannen am 1. September 1939 den 2. Weltkrieg. Darin sind sich alle einig – fast. Neonazis haben ihre ganz eigene Deutung der Geschehnisse um und nach diesem Ereignis. Während am 1. September der Antikriegstag zelebriert wird, mobilisieren Nazis zum 5. September – dem „Nationalen Antikriegstag“. Die Hintergründe.
Die Textauszüge wurden uns freundlicherweise von mobim zur Verfügung gestellt. Mobim-Analysen, Hintergrundinformationen und Recherchen der Mobilen Beratung im Regierungsbezirk Münster. Gegen Rechtsextremismus, für Demokratie
Vorgestellt von Bea Marer
Neonazis rufen zu Mahnwachen gegen Krieg auf
Am 1. September vor 70 Jahren brach mit dem Überfall der Deutschen auf Polen der 2. Weltkrieg aus, dem über 50 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Bereits seit 1957 wurde der 1. September daher als Antikriegstag betrachtet, an dem verschiedenste Gruppierungen mit Gedenkveranstaltungen Militarismus und Krieg ächteten.
Paradoxerweise hat die rechtsextreme Szene dieses Ereignis vor einigen Jahren auch für sich entdeckt. Sie rufen dann zum „Nationalen Antikriegstag“ am 5. September auf, dem jedes Jahr mehr Neonazis folgen. Auch dieses Jahr sind in ganz Deutschland Mahnwachen und Kundgebungen für den 5. angekündigt. Zur zentralen Demo in Dortmund sind nach den Erfahrungen aus den letzten Jahren weit über 1000 Beteiligte zu befürchten. Die Veranstaltung dort wurde zunächst verboten, wenige Tage davor allerdings doch noch erlaubt. Zur Sicherheit sollen über 3000 Polizeikräfte in Dortmund im Einsatz sein.
Besonders die „Autonomen Nationalisten“ kommen an diesem Datum gern zum Zuge, und verwirren mit ihrem Aussehen, das sie seit einigen Jahren zunehmend von der linken Szene abgekupfert haben. Auch die Sprüche auf ihren Bannern verunsichern, da diese auch ohne Stirnrunzeln bei jeder Friedensinitiative zu finden sein könnten.
Hier gilt es, Räume, die von Neonazis für ihre revisionistische Zwecke missbraucht werden sollen, mit dem Einsatz von engagierten Demokratinnen und Demokraten zu besetzten, wie es beispielsweise dieses Jahr bei den angekündigten „Flash-Mobs“ für Rudolf Hess der Fall war.
Auseinandersetzung mit dem Phänomen von „friedliebenden“ Nazis
Warum der Anspruch auf dieses Ereignis? Warum veranstalten Menschen, die chauvinistische, rassistische und autoritäre Wesenszüge aufweisen auf einmal vermeintliche Friedensdemos?
Die mobim aus Münster hat diese Frage in einer umfassenden Handreichung analysiert. Sie untersucht die Erwartungshaltung der Neonazis und schlägt Möglichkeiten zum Umgang damit vor. Im Folgenden sind einige Auszüge aus der Schrift zu finden. Die vollständige Analyse ist sehr zu empfehlen und kann auf der Homepage angefragt werden.
„Ein bisschen Frieden…“ – derzeitige Strategien der extremen Rechten
"In den zurückliegenden Jahren ist eine öffentlichkeitswirksame Hinwendung der neonazistischen Szene zu aktuellen politischen Themen und historischen Bezugspunkten zu beobachten, die zuvor nicht zum Kernbereich rechtsextremer Straßenpolitik in Form von Aufmärschen und Kundgebungen gehörten. Dominierten bis vor wenigen Jahren so genannte rechtsextreme Identitätsthemen die öffentlichen Aktionen der Szene, so müht man sich heute – teilweise durchaus erfolgreich – um eine Aktualisierung der im Kern weitgehend unverändert gebliebenen ideologischen Deutungsangebote. […]
Der Nationale Antikriegstag hat in den vergangenen Jahren ebenso erkennbar an Bedeutung gewonnen, wie die rechtsextremen „Trauermärsche“ anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 oder die seit 2006 stattfindenden Aufmärsche im niedersächsischen Bad Nenndorf. […]Die Teilnehmerzahlen des Nationalen Antikriegstags sind in Dortmund kontinuierlich gestiegen; von ca. 200 Aktivisten im Jahr 2005 auf über 1 000 Teilnehmer im Jahr 2008. […]
Es ist absehbar, dass Neonazis auch künftig versuchen werden, weitere lokale wie überregional bedeutende Jahrestage gezielt zu instrumentalisieren, in ihrem Sinne umzudeuten oder sich eigene Gedenkanlässe zu schaffen. Das Muster hierfür bieten die zahlreichen regionalen Aufmärsche im zeitlichen Kontext der Jahrestage der Bombardierung deutscher Städte während des Zweiten Weltkriegs, bei denen die rechtsextreme Szene versucht, lokalgeschichtliche und aktuelle Aspekte mit ihrer Propaganda zu verknüpfen. Diese ständige Konstruktion neuer Demonstrationsanlässe macht indessen deutlich, dass Versammlungsverbote, wie etwa im Falle der Rudolf-Hess-Gedenkmärsche, nur ein bedingt wirksames Instrument gegen den aktionsorientierten Rechtsextremismus darstellen. […]
Die Hess-Verehrung wird rechts überholt
Der straßenpolitische Aktionismus im Kontext des Nationalen Antikriegstages vielgestaltiger und teilweise deutlich aggressiver dar als die Rudolf-Hess-Märsche in Wunsiedel, an denen zwar bis zu 5 000 Rechtsextremisten teilnahmen, die jedoch nach außen vergleichsweise bieder wirkten. Vor allem in den Jahren 2007 und 2008 waren die Aufmärsche zum Nationalen Antikriegstag in Dortmund durch das Auftreten einheitlich schwarz gekleideter Blöcke geprägt, die den Demonstrationszügen ein martialisches Erscheinungsbild verliehen. […]
Genau hinsehen – was die Nazis wirklich erreichen wollen
Tatsächlich geht es den Veranstaltern des Nationalen Antikriegstages um eine grundlegende Umdeutung der Ursachen und Kausalitäten des Zweiten Weltkrieges. Die Instrumentalisierung des 1. September bezweckt aber nicht nur eine positive Neubewertung der NS-Vergangenheit, sondern dient vor allem dazu, grundlegende Mythen rechtsextremer Weltanschauung im Hinblick auf gegenwärtige Feindbilder und Ressentiments zu aktualisieren. […]
Die neonazistische Deutung des Zweiten Weltkrieges
In Bezug auf die Ursachen und die Verantwortung für den Beginn des Zweiten Weltkriegs greifen Neonazis auch heute noch im Wesentlichen auf die Propagandaphrasen des NS-Regimes aus den Septembertagen des Jahres 1939 zurück. So habe eine vor allem von England und Frankreich gegenüber dem Deutschen Reich betriebene Einkreisungspolitik die von Hitler angeblich beabsichtigte Verständigung mit den Mächten des Völkerbundes hintertrieben. […] Hitler habe schließlich kaum eine andere Wahl gehabt, als einen Krieg gegen das Nachbarland zu führen. Die Ausweitung des Konfliktes zu einem „Weltkrieg“ sei von Churchill bewusst mit dem Ziel forciert worden, Deutschland als konkurrierende Macht aus dem Weg zu räumen.
Die Opferrolle
In dieser heute von Neonazis verbreiteten Sichtweise firmiert das nationalsozialistische Deutschland nicht als Aggressor, sondern als Spielball und Opfer fremder Mächte, welche die vermeintlich „friedfertige“ Außenpolitik des NS-Staats unterlaufen hätten. Unerwähnt bleiben in diesem Zusammenhang die seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 konsequent betriebene Aufrüstungspolitik, [und die strategische Vorbereitung in den Jahren danach]. Der Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 war langfristig geplant. […]
Die von den Neonazis ständig wiederholte Leugnung und groteske Verdrehung des historischen Geschehens […] dient einzig und allein dazu, das nationalsozialistische Deutschland von der Kriegsschuld freizusprechen. […]
Einen zentralen Bestandteil der rechtsextremen Deutungsmuster des Zweiten Weltkriegs bildet daher die Polemik gegen die vermeintlich fortwirkende „Kriegsschuldlüge“ und deren Folgen. […]Beklagt wird nicht zuletzt die von den Alliierten angeblich systematisch betriebene Zerstörung der deutschen „Volksgemeinschaft“ durch die Etablierung eines „Schuldkults“ und eine gezielte „Amerikanisierung“ der Kultur. Beide Entwicklungen erscheinen im rechtsextremen Diskurs als die Fortführung des Zweiten Weltkriegs mit anderen Mitteln. Die deutsche Geschichte wird somit als andauernde Leidensgeschichte konstruiert, die freilich die Millionen Opfer des NS-Regimes vollkommen ausblendet oder sogar leugnet. […]
So wird der Zweite Weltkrieg im sprachlichen Duktus der NS-Propaganda zu einer legitimen Abwehrschlacht gegen den Bolschewismus verklärt. Im deutschen und europäischen Rechtsextremismus herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass der Krieg des nationalsozialistischen Deutschland gegen die Rote Armee Westeuropa vor dem Schicksal kommunistischer Herrschaft bewahrt habe.
Im Zentrum rechtsextremer Antikriegsrhetorik stehen jedoch antiamerikanische und mehr oder weniger deutlich formulierte antisemitische Argumentationsmuster. […]
Und wieder einmal Darwin…
[…] Der kriegerische Sozialdarwinismus, [der Nazis innewohnt,] sieht ein Lebensrecht nur für jene Einzelpersonen und Gemeinschaften vor, die sich in der Auseinandersetzung als die Stärkeren bewähren. Somit bildet der Krieg innerhalb des biologistischen Menschenbildes, das der Rechtsextremismus propagiert, eine gewissermaßen naturgesetzliche Tatsache. Diese ist mit pazifistischen Haltungen und Einstellungsmustern nicht zu vereinbaren. […]
Antiamerikanismus
Die in der rechtsextremen Propaganda ständig vorgenommene Gleichsetzung des Irakkrieges mit dem Zweiten Weltkrieg („USA World Terrortour Dresden-Bagdad“) reproduziert das antiamerikanische Klischee der USA als einer rücksichtslosen, imperialen Macht, die im Streben nach Weltherrschaft und ökonomischem Profit nicht zögert, andere Nationen notfalls auszulöschen. Auch wird den USA von Rechtsextremen vorgeworfen, anderen Nationen eine westliche, als dekadent und kulturlos denunzierte Gesellschaftsform – die Demokratie – aufzuzwingen. […]“