Userinnen und User, denen die Präsenz Rechtsextremer bei Facebook reichte, mobilisierten am Sonntag zu einem Online-Flashmob gegen eine NPD-Seite bei Facebook - und erreichten eine enorme Resonanz. Inzwischen ist eine "Digitale Lichterkette" entzündet - zumindest teilweise, denn Protest von Hunderttausenden Individualisten zu koordinieren ist gar nicht so einfach, wie der Fall exemplarisch zeigt. Aber auch: Das Potenzial ist da, Rechtsextremismus im Internet mit mehr als Verboten zu begegnen.
Von Simone Rafael
Im Freundeskreis möchten die meisten in Deutschland keine Nazis haben, in der Schule oder auf der Arbeit wird der Ideologie widersprochen oder das Zusammentreffen gemieden, in Vereinen werden sie zumindest beäugt und bei politischer Betätigung oft ausgeschlossen – die gesellschaftliche Isolation Rechtsextremer in der realen Welt ist weitgehend Konsens. Auch in den sozialen Netzwerken, Kommentarspalten und Chats des Web 2.0 möchten die meisten Userinnen und User lieber ohne Menschen kommunizieren, die andere rassistisch oder antisemitisch beschimpfen, nationalistische oder NS-verherrlichende Ideologie verbreiten oder sie im Zweifelsfall gar selbst bedrohen, falls sie etwas gegen rechtsextreme Ideologie sagen. Derzeit erprobt die Community des in Deutschland am stärksten wachsenden sozialen Netzwerks Facebook ihre Möglichkeiten – mit ungewissen Ausgang, aber vielen Ideen.
Bisher funktionierte der Kampf gegen Rechtsextremismus im Internet vor allem repressiv – rechtsextreme Seiten, Profile oder Beiträge werden gemeldet und gelöscht. Denn, keine Frage, rassistischer, antisemitischer, NS-verherrlichender Propaganda muss keiner eine Plattform bieten. Vorteil: Hat sich die Userin oder der User erst einmal mit dem Procedere der Plattform vertraut gemacht, ist eine Meldung ist meist leicht und ohne viel Aufwand zu realisieren – und inzwischen oft von Erfolg gekrönt: Die Unternehmen, die Web 2.0-Angebote anbieten, müssen vor der Fülle an Daten in ihren Angeboten kapitulieren und sind auf Meldungen angewiesen. Weil die meisten inzwischen Passagen gegen „Hate Speech“ in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen haben, haben sie eine gute Grundlage, gegen rechtsextreme Ideologie vorzugehen. Schwieriger wird es bei Organisationen oder Einzelpersonen, die sich taktisch geschickt verhalten und vor allem auf Präsenz setzen – die bleiben oft bestehen. Nachteil außerdem: Seiten und Profile können schnell wieder neu eingestellt werden. Bei einigen Userinnen und Usern bleibt außerdem ein Unbehagen bestehen, die mit reinem Verbot auf rechtsextreme Seiten reagiert zu haben, statt eine Auseinandersetzung zu suchen.
Wie es anders gehen kann, erproben gerade Mitglieder des in den USA beheimateten sozialen Netzwerks Facebook, das zwar in seinen Nutzungsbedingungen aufführt: "groups that attack a specific person or group of people (e.g. racist, sexist or other hate groups) will not be tolerated. Creating such a group will result in the immediate termination of your Facebook account." Trotzdem existieren dort etliche rechtsextreme Profile, Gruppen, Seiten, die allerdings oft kaum Außenwirkung entfalten und nach Meldung trotz deutlicher Hetze gegenüber liberalerer Grundeinstellung nicht selten auch gelöscht werden. Dass aber die rechtsextreme Partei NPD dort diverse Gruppen und Seiten betreibt (übrigens auch die DVU und Pro NRW), erzürnt auch die Gemüter sonst nicht aktiv gegen Nazis engagierter Nutzerinnen und Nutzer. Zahlreiche kleinere Gruppen existieren schon lang zum Thema „Kein Facebook für Nazis“, am 08. Mai allerdings gelang den Machern der Seite „Kein Facebook für Nazis – NPD-Seite löschen!“ ein Paukenschlag mit ihrer Idee, eine online-eigene Aktionsform zu probieren: Der Aufruf zu einem Online-Flashmob gegen Nazi-Seiten. Rund 241.000 Facebook-Userinnen und –User wurden bis zum 18. Mai mittags Fans dieser Aktion, die zum Ziel hatte, rechtsextreme Seiten als Kontrapunkt mit Anti-Nazi-Symbolen und Anti-Nazi-Kommentaren zu füllen. Der Erfolg der Idee für die Netzcommunity ist enorm: Der Vernetzungseffekt ist nicht nur in der Außenwirkung deutlich zu sehen, sondern auch inhaltlich groß, jede Meldung wird zahlreich kommentiert, vor Nazi-Profilen und Nazi-Seiten auf Facebook gewarnt, gute Anti-Nazi-Aktionen und –Videos erfahren große Verbreitung, Menschen kommen ins Gespräch über die Werte, die ihnen wichtig sind und die Umgangsformen, die sie für angemessen halten.
Weitaus weniger eindeutig ist es um das eigentliche Ziel der Aktion bestellt: Die NPD-Seite (und auch zahlreiche weitere rechtsextreme Internetseiten) wurden – nachdem die ersten rechtsextremen Seiten und Gruppen auf Facebook mit Symbolen geschmückt und von Kommentaren überwältigt wurden – von den Seitenbetreibern auf „unsichtbar“ gestellt – das heißt, sie sind nicht mehr über die Suchmaschinen zu finden, aber weiterhin da. Entsprechend war der Erfolg des Online-Flashmobs nur von symbolischer Dauer, die NPD-Seite ist etwa wieder online. Die Macherinnen und Macher der Seite „Online-Flashmob gegen die NPD“ zählten 15 Nazi-Seiten, die gesperrt wurden, und mehr als 243 (Fake-)Accounts, die gelöscht oder deaktiviert wurden.
Mit mangelnder Transparenz haben jetzt die Macher der Seite: „Kein Facebook für Nazis – NPD-Seite löschen!“ zu kämpfen. Um das Engagement gegen die NPD-Seiten auf Facebook fortzuführen, erdachten sie eine „Digitale Lichterkette“. Die allerding erfordert nach der Vorstellung der Macher Offline-Engagement, das vielen Userinnen und Usern offenbar schon zu weit geht: Ein Logo soll ausgedruckt, ein Foto gemacht und dann als Profilbild und im Fan-Album der Seite hochgeladen werden. Geht man von den Fotos im Fan-Album aus, haben das bis zum Mittag des 18. Mai von 241.000 Personen ganze 214 gemacht. Zudem erzürnten die – bisher unbenannt gebliebenen - Macher die aktivierte Community wieder, da sie vorschlugen, alternativ ein T-Shirt mit dem Logo zu kaufen, dessen Erlöse nicht nur das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin unterstützen sollten, sondern auch den Aufwand der Online-Flashmob- und Digitale-Lichterketten-Macher finanziell ausgleichen – eine Offenheit, die bei den quasi "ehrenamtlich" Surfenden nicht gut ankam.
Da das Internet aber stark nach dem Prinzip „Mach‘s mit, mach‘s nach, mach‘s besser“ funktioniert, ist die Idee der digitalen Lichterkette allerdings auch schon auf ein online-affineres Niveau weiterentwickelt worden: Die „Digitale Lichterkette gegen Nazis auf Facebook“ funktioniert, indem ein Bild einer Kerze als Profilbild geladen wird. Eine Aktion, die nicht nur leichter umzusetzen ist, sondern auch mehr persönliche Freiheit in der Gestaltung ermöglicht. Hier sind am Dienstagmittag schon 601 Menschen dabei (auch wenn noch nicht alle eine Kerze als Profilbild geladen haben).
Aus diesem aktuellen Stand lassen sich die Chancen und Problematiken von Online-Aktivitäten recht deutlich erkennen: Im Internet sind viele Leute einfach und niedrigschwellig zu erreichen und sogar zu aktivieren, was Verbreitung von Informationen und Diskussionen angeht. Inwieweit sich dieses Engagement auch praktisch nutzbar machen lässt, ist unklar. Facebook hat sich übrigens bisher nicht zur Aktion geäußert.
Mehr im Internet:
| Netzwerken gegen Nazis (Bayerischer Rundfunk)
| Digitaler Protest gegen Nazis auf Facebook (Störungsmelder)
| Status: Kein Facebook für Nazis (mut-gegen-rechte-gewalt.de)